Davids Sicht
Ich war auf dem Weg von Toronto nach Hause. Es war November und der erste Schnee war gefallen. Der Highway lag dunkel vor mir. Alle zehn Minuten kam mir ein einziges Auto entgegen, ansonsten waren da nur die Bäume am Straßenrand, die ich mit den Scheinwerfern des Geländewagens anleuchtete. Tja, wir wohnten echt in der Einöde Kanadas. Langsam kam am Ende des Horizontes die Zivilisation in Sicht. Man konnte unser Anwesen, kurz vor der Kleinstadt, schon erahnen. Ich bog jedoch eine Auffahrt früher ab, um meinem Bruder einen Besuch abzustatten und ihn zu fragen, ob er Morgen zum Frühstück zu uns kommen würde. Seit Thanksgiving hatten wir kein großes Familienessen mehr gehabt. Ich fuhr über die lange Auffahrt bis zum Stall vor und stellte den Motor ab. Im Stall brannte Licht und die beiden großen Stalltüren standen wie immer offen. Einer von Henrys Hunden kam angelaufen und bellte mich an. Ich rief dem Hund entgegen, damit er wusste dass ich es bin und er mich nicht zerfleischen brauchte. Normalerweise kam Henry direkt nach dem Bellen einer seiner Hunde aus dem Haus oder dem Stall, aber es geschah nichts. Ein wenig genervt davon, schlug ich die Autotür zu uns ging über den Hof, der durch das Fluchtlicht am Haupthaus beleuchtet wurde. Im Stall standen alle Pferde in ihren Boxen und fraßen. Also war eben noch da gewesen, da er sie alle gefüttert hatte. Kein Pferd fehlte, also ritt er auch nicht die Weidezäune ab. Ich verließ den Stall und sah dass im Haupthaus kein Licht brannte. Als ich in der Scheune nach sah, fehlte sein Jeep. Er war also unterwegs. Wieso hab ich nicht gleich danach geguckt? Kopfschüttelnd stieg ich in mein Auto und fuhr wieder von der Auffahrt und bog auf unsere Auffahrt ab. Ich stellte den Motor ab und verweilte einige Zeit. Von meinem Auto aus konnte ich sehen, wie Camille mit Brad in der Küche stand. Sie war dabei irgendetwas zu kochen und Brad schien von ihr zu lernen. Brad und Carl waren für Camille Familie geworden. Sie liebte große Familien, es war schließlich typisch für Italiener. Und so lange es sie glücklich machte, machte es auch mich glücklich. Sam tauchte im Hintergrund auf und schien ihr frische Eier zu geben, scheinbar hatte er sie aus dem Hühnerstall im Garten geholt. Seitdem Sam offiziell bei uns wohnte, war Laurie entspannter und erträglicher. Allerdings ließ sich seitdem James fast nie blicken. Er schien Sam nicht zu mögen. Ich gab mir einen Ruck und ging zur Veranda. Ich schloss die Tür auf und wurde von einem bellenden Rudel an Hunden begrüßt. Lexi bahnte sich ihren Weg zu mir und sprang an mir hoch. Die vielen Kilos an Hund lagen so schwer gegen mich, dass ich ein paar Schritte rückwärtsgehen musste, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen.
„Hallo"-rief ich.
„Hallo"-kam es durcheinander aus der Küche zurück. Als ich das Zentrum unseres Hauses, in Form der Küche, betrat, saßen Sam und Laurie in der Sitzecke mit Carl. Brad schnitt an der Kücheninsel Gemüse und Camille kochte auf dem Herd irgendetwas. Ich nickte einmal in die Runde, als ich merkte, dass die Blicke abwartend auf mir lagen. Augenblicklich ging das muntere Gequatsche wieder los. Ich gab Camille einen Kuss und lehnte mich gegen die Küchentheke, währenddessen ich ihr beim Arbeiten zusah.
„Warst du bei Henry?"-sie
„Ja, aber er war nicht da"-ich
„Wo treibt der sich denn so spät rum?"-sie
„Vielleicht hat er jemanden kennengelernt? Die Pferde waren versorgt"-ich Schulter zuckend.
„War sein Auto nicht da?"-Camille.
„Ne. Die Scheune war leer"-ich
„Vielleicht holt er ein neues Pferd ab"-Camille
„Das ist gut möglich"-ich.
„Willst du dich eben umziehen? Es gibt gleich essen"-meine Frau und sah mich lächelnd an. Ich nickte und stolperte die Treppe hoch in unser Schlafzimmer. Keine fünf Minuten später saß ich bei den anderen in der Küche um den großen Tisch herum und hörte mir an, was die anderen zu berichten hatten. Sam jobbte in einem Skatershop ganz in der Nähe und Laurie machte immer noch Homeschool.
„Gibt es Neuigkeiten von Ennie?"-Brad plötzlich. Alle schüttelten den Kopf, nur ich reagierte nicht. Abwartend sahen mich alle an. Seufzend legte ich mein Besteck weg und nahm mein Handy aus der Hosentasche. Ich las vor.
‚Hey Daddy, mir geht's gut. Ich hab viel gesehen bis jetzt und war ehrlichgesagt mehrmals in schwierigen Situationen, aber mir geht es gut. Sag den anderen das bitte auch. Ich vermisse Kanada und mein Zuhause. Eines Tages werden wir uns alle wiedersehen, ich freue mich darauf. Ich hab dich lieb Daddy und richte den anderen bitte auch aus, dass sie mir fehlen. Alles Liebe Ennie'
Die Runde sah mich mit großen Augen an. In Lauries Augen sah ich Tränen. Sie vermisste ihre Schwester noch immer.
„Ich geh hoch"-brach Laurie raus und stand vom Tisch auf. Sam sah sie besorgt an und stand dann mit einem entschuldigenden Blick ebenfalls auf. Wir aßen alle auf und räumten die Küche auf. Brad, Carl, Camille und ich setzten uns gemeinsam ins Wohnzimmer und schauten uns Nachrichten im Fernsehen an und später noch eine Serie, die wir zu viert immer guckten.
Es war 11pm, als einige der Hunde ihre Köpfe hoben und aufmerksam zur Tür sahen. Ich ignorierte es kopfschüttelnd, doch als dann auch Lexi aus ihrer seitlichen Starre erwachte und ebenfalls zur Tür sah, wurde ich skeptisch. Lexi setzte ihren massigen Körper in Bewegung und ging zur Tür. Sie knurrte.
„Gehst du mal eben gucken?"-Camille und sah mich mit müden Augen an. Ich nickte und sie kuschelte sich noch ein wenig mehr in ihren warmen Abendmantel. Jemand klopfte an der Tür und ich sah auf dem Weg zur Haustür durch das kleine Fenster auf den Parkplatz. Mitten auf dem Kiesplatz stand im Licht unserer Außenbeleuchtung ein Polizeiauto. Was wollte die Polizei bitte hier? Ich stand gut mit der Polizei, wenn die mir was sagen wollten, riefen sie an oder kamen zu Besuch in mein Büro, nie kamen sie bei mir Zuhause vorbei und schon gar nicht zu dieser Uhrzeit. Noch immer skeptisch packte ich Lexi bei ihrem Halsband und öffnete die Haustür. Die Kälte des Novembers strömte augenblicklich in das Haus. Zwei Polizisten standen vor mir und musterte erst Lexi und dann mich. Ihre Mienen waren ernst.
„David Piper?"-der eine Polizist.
„Ja, der bin ich"-ich.
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Remember Me.
Teen FictionDenn von Anfang an war eins klar: eines Tages würde ich gehen. Ich würde gehen und nicht wieder kommen. Was ich zurück ließ? So ziemlich alles.