Lauries Sicht
Zuhause. Ich war wieder Zuhause. Das Anwesen am Highway in der Nähe einer Kleinstadt in Kanada. Ich war Zuhause. Ich wohnte wieder in diesem großen altern Haus, mit dem großen Kies-Parkplatz davor, den Bäumen am Rand des Parkplatzes, dem kleinen Stall mit den zwei Boxen von Nummer28 und dem großen Bullen. Am Horizont die Ranch von Henry – meinem Onkel. Er würde heute vorbei kommen und mit uns essen. Carl und Brad waren hier, und auch Mom. Sie war endlich wieder da. Sie war aus Italien nach drei Monaten zurückgekehrt. James und seine Eltern lebten bei sich auf dem Hof – gemeinsam mit Schutzmännern von Dad. Es wirkte alles immer unrealer. Ich stieg aus dem Geländewagen und Brad, Carl und Sam schleppten Koffer ins Haus. Ich stand zögerlich da und sah das große, weiße Haus mit dem Efeu an der Hauswand an. Seitdem sich so viel verändert hatte und Ennie weg war, fühlte es sich nicht mehr an wie mein Zuhause. Inzwischen war es September, bald würde die Erntezeit wieder losgehen. Ich ging ebenfalls ins Haus und zirkelte mich durch das Rudel an Hunden, welches uns stürmisch begrüßte. Sie hatten all die Monate bei Henry gelebt und freuten sich uns wiederzusehen. Normalerweise würde ich mich mit Ennie in mitten den Haufen der vielen Hunde legen und jeden einzelnen begrüßen, aber Ennie war nicht hier und mich störten Hunde in dem Moment einfach nur. Es war zu viel Hektik. Mitten in dem Rudel an freudigen Hunden stand Lexi. Sie hatte den großen Kopf hoch über dem Rücken der anderen Hunde und bellte tief. Ich seufzte und floh aus dem Chaos. Ich schleppte meine Tasche hoch und stellte sie in meinem Zimmer ab. Danach ging ich den Flur im Obergeschoss auf und ab. Die Wände waren übersäht von Bildern unserer Familie. Jemand kam die Treppe hoch und stellte sich neben mich. Aus dem Augenwinkel sah ich den Dreitagebart und die zerzausten blonden Haare meines Onkels.
„Wann zog hier eigentlich die Seele der Pipers aus?"-ich mehr an mich selbst gerichtet, als an ihn.
„Wenn ich ehrlich bin, letztes Jahr im Sommer. Seitdem geht alles den Berg runter"-er. Ich nickte. Letztes Jahr im Frühjahr war Dad noch häufig Zuhause gewesen, dann war er immer länger weg und dieses Familienleben, welches wir alle zu geschätzt hatten, verschwand.
„Familie ist doch eigentlich das Wichtigste im Leben"-ich.
„Darum sind wir ja hier"-er
„Ohne Ennie sind auch wir keine Familie. Dieses Haus fühlt sich nicht an wie Zuhause"-ich.
„Muss ein Gebäude unbedingt für so etwas Bedeutendes stehen? Ein Haus kann abgerissen werden"-er
„Irgendwo muss eine Familie doch vereint sein"-ich. Henry nickte.
„Im Herzen"-er.
„Wo ist Ava?"-ich und sah mich nach meiner kleinen Cousine um.
„Bei ihrer Mutter"-Henry, und man merkte, dass er sehr sachlich über das Thema dachte.
„Sie soll in der Stadt zur Schule gehen?"-ich. Er nickte. Henry legte einen Arm über meine Schulter.
„Sehe die ganze Situation mal aus einem anderen Blickwinkel: klar, wir wissen alle nicht wo Ennie gerade ist und was sie vielleicht gerade durchmacht, aber vielleicht ist sie wirklich so gut untergetaucht, dass sie unbeschwert leben kann und vielleicht gerade das Abenteuer ihres Lebens erlebt. Wir können es nicht wissen. Ich glaube, auch wenn dein Dad Matthew überhaupt nicht leiden kann, ist er der Richtige, der mit Ennie in dieser Zeit ist. Ich habe ein gutes Gefühl bei ihm"-er und ging mit mir die Treppe runter.
„Du bist der einzige der so denkt"-ich und musste lächeln, weil Henrys Worte mich aufmunterten.
„Einer in der Familie muss schließlich optimistisch denken"-er grinsend und wir gingen in die Küche. Wir setzten uns alle an den Küchentisch und aßen zusammen. Ich war froh wieder hier zu sein, auch wenn Ennie fehlte, aber Henrys Anwesenheit, brachte Lebensfreude zurück in diese Wände, die früher nur davon geprägt waren.
„Ich gehe nachher noch zu Naomi"-warf ich in die Runde. Dad und Mom sahen sich skeptisch an, doch Henry warf beiden einen vielsagenden Blick zu.
„Okay, amüsiere dich"-Dad und zwang sich zu einem Lächeln. Henry, der mir gegenüber saß, lächelte mich siegessicher an. Ich musste leicht auflachen.
Eine Stunde später setzte mich Brad vor Naomis Haus ab. Sie wohnte in der Stadt, ganz in der Nähe der Schule. Ich verabschiedete mich von Brad und sprintete die Veranda hoch. Ich klingelte Sturm und sprang dann Naomi förmlich in die Arme. Einige Monate hatten wir uns nicht gesehen.
„Laurie! Wo ist Ennie?"-sie und ließ mich wieder los. Ich seufzte.
„Erkläre ich dir noch"-ich und trat ins Haus. Auf der Couch saßen Mia und Emma und begrüßten mich ebenfalls.
„Meine Schwester hat auch besuch, die wollen nachher hier Fernsehen gucken, wir ignorieren die einfach"-Naomi Augen rollend. Ich nickte und wir pflanzten uns auf die Couch und den Teppich davor.
„Was ist mit Ennie?"-Naomi in einer etwas ernsteren Tonlage, als ich von ihr gewohnt war. Wir hatten alle Pizza und Getränke und saßen im Kreis und belagerten das Wohnzimmer.
„Sie ist nicht mehr hier und sie wird so schnell nicht wiederkommen"-ich.
„Warum?"-Mia. Ich holte tief Luft.
„Ich weiß dass ich euch vertrauen kann, dennoch habe ich es euch die letzten Jahre verschwiegen"-ich und sah beschämt zu Boden.
„Lieber spät als nie"-Emma und sah mich fürsorglich an.
„Ennie lebt seit 11 Jahren in einem Zeugenschutzprogramm. Es war von Anfang an klar, dass sie ab einem bestimmten Zeitpunkt abtauchen würde und vor ihrem 18 Lebensjahr nicht wiederauftauchten würde."-ich leise. Die drei sahen mich geschockt an. Ich nickte gedankenverloren.
„Wo ist sie?"-Mia mit großen Augen. Ich zuckte mit den Schultern.
„Das weiß keiner. Vielleicht in Europa irgendwo"-ich.
„Ihr wisst nie wo sie ist?"-Naomi. Ich schüttelte den Kopf.
„Und wer ist bei ihr?"-Mia.
„Wahrscheinlich Matthew"-ich. Die drei schüttelten fassungslos die Köpfe.
„Jemanden schlechteren konnte man ja nicht finden"-Emma.
„Wer weiß alles davon?"-Naomi.
„Meine Familie, ihr, Matthew, Sam, James und seine Eltern"-ich.
„James?"-Mia. Ich nickte.
„Seine Eltern sind sowas wie die besten Freunde meiner Eltern"-ich.
„Ist das der Grund, warum James nicht in der Schule war?"-Emma. Ich nickte.
„Er war mit uns"-ich.
„Themawechsel"-Naomi plötzlich, als wir Schritte auf der Treppe vernahmen. Ihre Stiefschwester kam die Treppe herunter gepoltert mit zwei weiteren Mädchen und hockte sich zu uns. Mia kannte eine der Mädchen aus ihrem Team und vertiefte sich in ein Gespräch. Naomi und ihre Schwester beschloss Pfannkuchen für alle zu machen und das andere Mädchen setzte sich zu mir und Emma. Wir begannen über belangloses Zeugs zu reden, bis sie anfing von ihrer besten Freundin zu erzählen, die nach Miami gezogen ist. Sie schien wie eine Dramaqueen zu sein, da sie von ihrer Freundin redete, als wäre sie gestorben. Emma und ich warfen uns viel sagende Blicke zu, ehe das Mädchen eine Frage stellte, die mich zu sehr an Ennie erinnerte.
„Wenn du eine Freundin hast, von der du weißt, du wirst sie nie wiedersehen, was würdest du ihr sagen? Wenn du eine letzte Sache für jemanden tun kannst, der dir wichtig ist, was würde es sein?"-sie
„Was für einen Unterschied macht es? Denn am Ende, wenn du eine Person verlierst, ist alles was du übrig hast ist ein Loch in deinem Leben, wo diese hingehört die dir so viel bedeutet."-ich
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Remember Me.
Teen FictionDenn von Anfang an war eins klar: eines Tages würde ich gehen. Ich würde gehen und nicht wieder kommen. Was ich zurück ließ? So ziemlich alles.