Als ich am nächsten Morgen wach wurde, lag Matthew mit dem Rücken zu mir. Genauso wie er auch eingeschlafen war. Ich sah aus dem Fenster auf den See. Die Sonne kletterte langsam über die Berge und es schien ein schöner Tag zu werden. Nur vereinzelt lag Schnee auf den Rasenflächen. Neben mir bewegte sich langsam Matt. Er sah mich mit verschlafenen Augen an. Sein Blick war neutral. Zum ersten Mal. Normalerweise lag immer etwas ernstes, verklemmtes, aggressives, Wütendes oder provozierendes in seinem Blick. Doch diesmal war es einfach neutral. Ich saß aufrecht im Bett, die Bettdecke über meinen Beinen, obenrum ein zu großes Top und meine Haare hingen zerzaust runter.
„Was ist bloß passiert mit dir?"-er mit seiner Morgenstimme und musterte mich. Ich zuckte mit den Schultern und zuckte kurz zusammen, als Matt meinen Unterarm in seine Hände nahm. Er umschloss ihn mit seinem Daumen und seinem Mittelfinger.
„Du bist halbwegs mager"-er. Ich sah stumm weg. Matthew war der Junge, der nicht darauf achtete wie dünn ein Mädchen war, sondern wie trainiert. Er bevorzugte leicht trainiert vor absolut rank und schlank. Ich war schon immer dünn gewesen, weil ich wegen meiner Zwillingsschwester als Baby nicht ganz so viel bekam, wie andere Babys. Hinzu kommt dass Mom auch zierlich gebaut ist, da sie Italienerin ist. Ich hab schon immer viel Sport gemacht und passte somit in Matthew Beuteschema. Naja, eher gesagt passte mal. Denn der Stress der letzten Wochen hatte an mir gezerrt und mich zu einem relativ schmalen Mädchen gemacht.
„Wir haben Müsli, wir können hier frühstücken"-Matt und stand auf.
„Okay"-ich und stand ebenfalls auf. Ich ging ins Bad, machte mich einigermaßen fertig und zog mir Jogginghose und Sweatshirt an. Mit dicken Wollsocken an setzte ich mich an den Esstisch zu Matthew und schnitt mir einen Apfel in das Müsli.
„Ich hasse diese eisige Stimmung zwischen uns"-er plötzlich und sah von seinem Müsli auf. Ich tat es ebenfalls und seufzte.
„Es ist alles so anders"-ich. Er nickte.
„Sind wir mal ehrlich, wir haben beide Fehler gemacht"-er.
„Aber wir können doch nicht einfach alles vergessen und so tun, als wäre nie was gewesen"-ich.
„Das ist das Problem"-er und sah wieder auf seine Schüssel. Ich aß schweigend, bis Matthew auf die Frage antwortete, die seit Monaten im Raum gestanden hatte.
„Weißt du warum wir uns näher waren, als wir damals getrennt waren?"-er. Ich schüttelte den Kopf und sah ihn wartend an.
„Weil wir keine Verpflichtung hatten, weil wir nicht aneinander gebunden waren. Theoretisch könnten wir nur in einer Beziehung sein, wenn wir es nicht sind"-er.
„Das sind wir momentan und guck uns an. Wir sind ein Desaster"-ich. Matt nickte und sah auf die Uhr.
„Fuck. Wir müssen gleich los. Mach dich fertig"-er und sprang hektisch auf.
Eine halbe Stunde später gingen wir zu dem Mini Bus, welcher uns zum Trainingsgelände fahren würde. Matt schmiss sein Snowboard in die große Dachbox und wir setzten uns in die letzte Reihe des 15-Mann-Autos. Nach und nach stiegen immer mehr Leute ein und ein Sprachenmeer war zu hören. Etliche Sprachen aus verschiedensten Ländern erfüllten die Leere des Busses. Matthew unterhielt sich mit dem Jungen vor uns, welchen er schon aus anderen Camps flüchtig kannte.
„Und wer bist du?"-er und nickte plötzlich in meine Richtung. Matt und meine Blicke trafen sich, er sah mich mit einem vielsagendem Blick an und ich wusste, dass ab sofort er die Überhand über die Gespräche nehmen würde, die ich führen würde.
„Ennie"-er mit einer bestimmten Tonlage. Ennie, der Name hatte nichts zu bedeuten. Meine Freunde nannten mich so, meine Eltern nannten mich so, aber nur, weil wohl kaum einer auf die Idee kommen würde, dass ich Florence hieß. Die Namen Ennie und Laurie wurden ins Leben gerufen, weil Florence und Laurence so ähnlich klangen.
„Freut mich"-der Junge und lächelte minimal. Ich erwiderte es.
„Ihr seid irgendwie so ein ungewohntes Paar"-er.
„Wir sind kein Paar"-ich
„Im Moment"-ergänzte Matthew und mir war sein Hintergedanke klar. Es wäre seltsam, wenn wir nur als Freunde durch die Welt reisen würden. Es würde auffällig rüber kommen. Wenn Carl bei Mom war, gab er sich auch aus, als wären die beiden in einer Beziehung.
Wir waren an der Piste angekommen und Matthew bekam die ersten Einführungen. Ich latschte ihm die ganze Zeit hinter her und sah mich immer mal wieder um. Nach einem kurzen Gespräch mit einem der Trainer, kam er auf mich zu.
„Ich fahr gleich in der großen Halfpipe. Du kannst dich da oben hinstellen"-er und zeigte auf die Tribüne, die komplett leer war. Ich nickte und wir gingen in verschiedene Richtungen. Matt fuhr seine Tricks und ich hatte nie gewusst, wie gut er war. Nach seinem ersten Training hatte er wieder ein Gespräch mit den Trainern. Als er wieder zu mir kam, sah er glücklich, aber auch erschöpft aus. Er kam auf mich zu, breite seine Arme aus und hielt sein Snowboard leicht hoch.
„Chicken, das ist meine Welt"-er grinsend. Ich musste auch leicht grinsen, da es ungewohnt, aber auch schön war, ihn so glücklich zu sehen. Wir wollten beide zum Minibus, doch er wurde zurück gerufen.
„Hey"-eine Mädchenstimme. Wir drehten uns um und sahen zwei Mädchen in Snowboard Klamotten.
„Ich bin Ashley, ich hab dich fahren sehen. Sehr beeindruckend, was du alles kannst"-sie und nickte ihm zu.
„Danke"-Matt und wirkte ziemlich distanziert, dennoch relativ höflich.
„Kommst du auch aus dem Camp?"-sie. Er nickte nur.
„Welches Land vertrittst du"-sie und strich sich durch ihre blonden Haare.
„Kanada"-er und musterte sie. Ich hasste es, wenn er andere Mädchen musterte, doch ich ließ es mir nicht anmerken.
„Das ist Rose und wir beide kommen aus dem anderen Camp, welches weiter weg ist, aber größer und luxuriöser. Ihr könnt ja wechseln"-sie und ich spürte ihre herablassenden Blicke auf mir.
„Ich denk nochmal drüber nach"-er.
„Wie heißt du überhaupt?"-Ashley und sah ihn mit ihren klimpernden Wimpern an.
„Cody"-er mit souveräner Stimme. Er hatte sich also daran gewöhnt.
„Freut mich."-sie und sah ihn bezaubernd an.
„Wir müssen langsam mal wieder"-Matt und sah mich kurz an.
„Man sieht sich"-sie und warf mir einen vernichtenden Blick zu.
„Ein Tag auf der Piste und sie knien wieder alle vor dir"-ich seufzend.
„Hör auf sowas zu sagen."-er
„Es ist die Wahrheit. Nirgends kann man hin, ohne dass du wieder alle Mädchen weich machst"-ich
„Tja, und du bist die Ausnahme"-er heiser auflachend.
„Ich bin nicht ganz so strohdoof"-ich
„Aber Stur wie ein Esel"-er. Ich zuckte nur mit den Schultern.
„Mit dir Leben bedeutet leiden"-ich
„Mit dir Leben bedeutet fliehen"-er. Unsere Blicke trafen uns kurz und ich wusste in diesem Moment, dass das zwischen mir und Matt immer eine Spannung bleiben würde, doch das er auch da sein würde, wenn ich am Boden wäre. Zwar nicht als die Person, die mich lieben wird, aber als die Person, die weiß was ich dann brauche.
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Remember Me.
Teen FictionDenn von Anfang an war eins klar: eines Tages würde ich gehen. Ich würde gehen und nicht wieder kommen. Was ich zurück ließ? So ziemlich alles.