Wiedersehen, oder auch nicht.

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Er parkte im Licht der Scheinwerfer und stellte den Motor aus. Vereinzelt hörte ich die Hunde schon bellen. Zögernd stieg ich aus und sah mich um. Die kalte kanadische Frühlingsluft hüllte mich in ein vertrautes Gefühl. Die Luft wirkte so rein und frisch. Ich sah rüber zum kleinen Stall. Es war mein erstes Ziel. Als ich den Schuppen betrat, stand in der linken Box der Bulle mit dem langen zotteligen Fell, in der rechten Box stand das Pony von Ava, welches sie einst zu Weihnachten bekam. James stand hinter mir und mein Blick blieb an dem Bild hängen, welches in der Box des Ponys hing.

„Was ist passiert mit Nummer28?"-ich leise und sah mich in dem Stall um.

„Er war bei Henry, als es passierte"-James seufzend. Ich nickte nur und verließ den Stall.

„Geh du vor"-ich. James nickte und schloss die Haustür auf. Lexi bellte lautstark und aus dem Wohnzimmer kam ein ‚Sei leise, das ist nur James' von Dad. Doch als der große Hund mich erblickte wurde aus dem lauten Bellen ein noch lauteres freudiges Jaulen. Lexi warf sich auf den Fußboden auf den Rücken, wedelte mit der Rute und wollte gestreichelt werden. Ich hockte mich hin und schenkte der Hündin Aufmerksamkeit. Ein verwunderter Dad kam aus dem Wohnzimmer und sah Lexi prüfend an, als ich ihm ins Gesicht sah, blieb ihm der Mund offen stehen und seine Augen wurden wässrig.

„Ennie"-er schockiert und schloss mich in eine Umarmung. Er hob mich hoch, drückte mich an sich und lachte. Er lachte vor Freude. Mom, Carl, Brad und Laurie kamen aus dem Wohnzimmer und sahen mich alle mit großen Augen an. Als Dad mich runter ließ, nahm Mom mich in den Arm und Carl und Brad klopften auf meine Schultern. Als Mom mich dann los ließ und ich meiner Schwester gegenüber stand, ging es nicht mehr. Ich brach in Tränen aus und Laurie auch. Wir fielen uns in die Arme und weinten laut und stark. Unsere Körper zitterten und niemand von uns konnte sich beruhigen. Ich drückte Laurie einfach nur an mich und Mom und Dad legten ihre Arme um uns. Als ich endlich wieder Luft holte zum Atmen, sah ich in das verweinte Gesicht meiner Zwillingsschwester und konnte mein Glück kaum fassen. Das war es, was mir alle die Monate fehlte. Lauries Augen waren Feuerrot und niemand brachte ein Wort raus. Wir standen einfach nur mitten im Flur, weinend und waren glücklich. Es dauerte einige Zeit, bis wir uns beruhigten und ich es schaffte aus meiner Hosentasche den Briefumschlag zu nehmen. Ich gab ihn Dad kommentarlos und setzte mich in der Küche auf die Küchenbank. Mom kochte uns allen einen heißen Kakao und Dad las schweigend das Formular. Als er wieder hoch sah, wirkte er erleichtert. Er lächelte und ich hatte ihn noch nie so lächeln gesehen.

„Wir haben gleich 3am. Ich fahre direkt ins Büro, rufe Rob und die anderen an. Wir bringen es jetzt über die Bühne. Ennie, du hast das erreicht, was ich vor 20 Jahren mein Ziel war. Ich bin unendlich stolz"-er und griff zum Telefon. Ich lächelte nur und wischte mir über meine nassen Wangen.

„Wo warst du all die Monate?"-Mom und stellte den Kakao vor mich.

„Überall"-ich.

„Du hast eine lange Reise hinter dir"-Brad beeindruckt.

„Es war das beste Jahr meines Lebens und das, obwohl ich ständig Angst lebte"-ich

„Matthew war bei dir?"-James. Ich nickte.

„Immer. Ohne ihn hätte ich es nie geschafft. Ihr habt alle nicht an ihn geglaubt. Er ist der Hauptgrund, warum Dad jetzt so stolz ist"-ich und drehte den Anhänger meiner Kette zwischen meinen Finger, welche mir Matt geschenkt hatte.

„Wir haben vielleicht nicht an ihn geglaubt, aber einer hat immer an ihn geglaubt"-Laurie seufzend. Mom nickte und sah zu Boden.

„Henry war immer davon überzeugt, dass Matt der Richtige wäre. Irgendwie hat Henry ein besseres Auge für sowas gehabt"-Mom

„Wann wird es hell?"-ich

„Gegen 5am"-James.

„Ich will rüber. Ich will sehen, was noch übrig ist"-ich leise. Mom nickte verständnisvoll.

Gegen 5am ging ich gemeinsam mit James und Laurie rüber zu Henrys ehemaliger Ranch. Sein Auto und sein Anhänger standen nicht mehr in der Scheune, sie waren verschrottet nach dem Unfall. Sein Haus stand unberührt da. Der Winter hatte ihm ordentlich geschadet. Vereinzelt liefen Katzen und Hunde rum, die wohl in dem zerfallenen Gebäude ein neues Zuhause gefunden hatten. Das Haus war komplett leer geräumt und dem Verfall ausgeliefert, die Stallgasse dagegen war noch belebt. Vereinzelte Pferde waren hier noch untergebracht und auch auf der Weide stand eine große Herde.

„Was passiert mit denen?"-ich

„Brad kümmert sich um alle, bis sie verkauft sind"-Laurie. Ich stand auf dem Parkplatz, drehte mich im Kreis und sah mich um.

„Ein Jahr kann so viel ändern"-ich kopfschüttelnd.

„Das ist wahr"-James seufzend und sein Blick flog auch über die ehemals so belebte Ranch. Ich ging zögerlich zu dem Stall und blieb am Eingang stehen. Ich hörte das zufriedene Schnauben einiger Pferde und schlenderte über den sandigen Boden. Einige Boxen waren leer, in anderen standen Pferde und wieder andere sahen aus, als wenn gerade erst jemand die Pferde rausgelassen hätte und sie gleich zurückkommen würden. Man konnte den Atem der Pferde sehen und sie wirkten alle zufrieden. Mittig der Stallgasse war dieses Loch im Dach und ich stellte mich genau darunter. Stumm sah ich hoch und erblickte den Mond. Die Schleierwolken verdeckten ihn leicht und der rötliche Himmel deutete darauf hin, dass die Sonne bald aufgehen würde. Ich drehte mich zu James und Laurie um. Sie standen unbeholfen nebeneinander und sahen mich an. Etwas unschlüssig drehte ich mich weg und öffnete die Tür an der Seite der Stallgasse, die zu dem verlassenen Haus von Henry führte. Drinnen war es schummrig, doch die ersten Sonnenstrahlen warfen sanftes Licht in die verstaubten und einsamen Wände. Zu dritt gingen wir durch die Räume und im ehemaligen Wohnzimmer fand ich noch ein paar vereinzelte Bilder. James und Laurie sahen über meine Schulter und wir schauten sie uns gemeinsam an. Sie zeigten Laurie und mich, Laurie, mich und die anderen Mädels, James und Matthew, Laurie und Sam, mich und James, Mom, Dad, und auf einem Bild sah man Matthew und mich. Er war zu einer einzigen Familienfeier eingeladen gewesen. Auf dem Bild standen wir nebeneinander und Matt wollte eigentlich seinen Arm über meine Schulter legen, doch ich hatte an irgendetwas Witziges gedacht und war genau in dem Moment fotografiert worden, wo ich einen Schritt nach vorne machte und lauthals lachte. Matts Hand lag auf meiner Schulter und er sah amüsiert aus. Es war kein komplett scharfes Bild, da wir uns zu sehr bewegt hatten. Ich liebte es.

„Er hat an euch geglaubt. Er hat Matt sehr gemocht und in seinen Augen war Matthew der Richtige gewesen"-Laurie seufzend. Ich legte die anderen Bilder beiseite und behielt nur das von Matthew und mir.

„Henry war der Einzige, der jemals an uns geglaubt hat"-ich in einer bestimmten Tonlage und spürte, wie meine Augen brannten. Laurie sah mich nur an, doch James griff zu meinem Handgelenk und zog mich an sich. Er nahm mich in den Arm und ich spürte, wie sehr die Gefühle in mir hoch kamen. Ich war bei meiner Familie, aber ich habe ein Jahr lang jeden Tag mit Matt verbracht. Ich konnte nicht von jetzt auf gleich ohne ihn, und ich wollte es auch nicht.

„Ich wünschte auch, du hättest ihn mitbringen können"-James heiser. Er musste seinen besten Freund auch furchtbar vermissen.

„Das Leben ist unfair"-ich und löste mich von James. Mein Blick wanderte durch das Fenster hoch zum Himmel.

‚Danke Henry, danke dass du immer an uns geglaubt hast. Ich vermisse dich', hauchte ich.

Remember Me.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt