Es waren weitere Wochen vergangen und ich hatte bei einer Party, zu der mich James mitgenommen hatte, Matthew flüchtig getroffen. Er hatte genau zwei Minuten mit mir geredet. In diesen zwei Minuten hat er mir an den Kopf geworfen wie genervt er von mir sei, das er kein Bock mehr auf mich hätte und ich ihn ja in Ruhe lassen solle. Ich hatte es zu keinem einzigen Wort gebracht.
„Ennie, schmeiß die Sättel auf den Pick Up"-Henry an mich gerichtet und führte drei Pferde in den Anhänger, welcher am Pick Up hing. Ich nahm einen der schweren Sättel und warf ihn auf die Ladefläche, zwei weitere folgten. Laurie kam auch endlich an der Ranch von Henry an und wirkte noch etwas verschlafen. Da Dad wieder einmal unterwegs war und Carl und Brad auch nicht in Kanada waren, lebten wir momentan bei Henry. Das bedeutete viel Arbeit auf der Ranch. Heute würden wir zwei Verkaufspferde im Gelände testen, da sie bereits Interessenten hatten und das Verhalten im Gelände ein wichtiger Verhandlungspunkt war.
„Laurie lässt du nochmal eben die Pferde aus den Boxen?"-Henry an meine Schwester gerichtet und befestigte die Stricke im Anhänger. Mit einem genervten Seufzten machte sich Laurie auf den Weg in die Stallgasse und öffnete die ganzen Boxen. Kurz darauf trabten die vielen Pferde in Richtung Weide. Ich setzte mich in die Mitte der Sitzbank und wartete auf meine Schwester und meinen Onkel. Als beide es dann endlich in das Auto geschafft hatten, tuckerten wir von der Ranch auf den Highway und dann in Richtung Wald. Aus dem Radio kam alte Country-Musik, da unser Onkel nicht so begeistert von den Charts war. Er war halt noch einer der Traditionellen Ranch Besitzer. Schon ziemlich lustig, wenn man bedenkt dass er gerade mal Mitte 30 war. Wir fuhren knapp eine Stunde, bis wir am Parkplatz im Wald ankamen und uns auf den langen Ritt vorbereiteten. Es war im Wald ziemlich kalt, weswegen Laurie und ich noch dicke Westen über unsere Wollpullover zogen. Henry grinste nur amüsiert und beließ es bei seiner relativ dünnen Jacke. Laurence und ich sollten die Verkaufspferde reiten, damit Henry sie genauestens betrachten konnte. Meiner Meinung nach wollte er nur die entspannte Nummer28 reiten. Wir luden aus, sattelten und schwangen uns auf die Rücken der Pferde. Im ruhigen Schritt ging es den Waldweg entlang ins Dickicht. Ich musste die ganze Zeit darauf achten, nicht gegen einen Ast zu reiten und Laurie hatte mit der Energie ihres Pferdes zu kämpfen. Als es hügeliger wurde, begann endlich der Spaß. Wir trabten und galoppierten. Ein kleines Stück ritten wir durch einen Bach und Henry erzählte uns viel davon, wie es früher war, als er hier noch Kind war.
„Davids und mein Dad hat uns immer mitgenommen zur Jagd. Damals hat er vom Pferd aus Wild geschossen. Wir hatten hier in diesem Wald auch eine Herde an Kühen und in einem Sommer war hier auch eine Weide mit einigen unserer Pferde. Eine Stute hat hier damals ihr Fohlen bekommen und der Enkel dieser Stute ist Nummer28."-erklärte er.
„Und seitdem ist das hier Trainingsgebiet für deine Pferde?"-Laurie. Henry nickte.
„Ist ein Pferd hier ruhig, kann es überall geritten werden"-er und schickte Nummer28 einen steilen Hang hoch. Laurie und ich sahen uns skeptisch an und schickten dann unsere Pferde hinterher. Als wir oben ankamen, schnauften beide vor sich hin und wir blieben eine kurze Zeit stehen, um ihnen eine Pause zu gönnen. Nummer28 schien die Anstrengung nicht zu stören. Ich sah mich um und erblickte den schmalen Weg, der durch eine dicht bewachsene Stelle führte.
„Wartet kurz hier"-ich und lenkte mein Pferd den Pfad entlang. Ich lehnte mich auf den Pferdehals um unter den Ästen durch zu passen und erblickte dann den Baum mit der Bank. Neben der Bank ließ ich mein Pferd anhalten und sah den Ausblick an. Kurz schloss ich die Augen und hatte das Gefühl Matthew wäre auch hier. Doch als ich die Augen öffnete war ich allein mit dem Pferd. Vor mir lag der Ausblick über den Wald, welcher in der Frühlingssonne Kanadas lag. Ich wendete mein Pferd und ritt wieder den schmalen Pfad in Richtung von Henry und Laurie. Ich musste zweimal hinsehen, um zu realisieren was ich sah. Dort, wo eben noch Laurie und Henry mit Nummer28 und dem anderen Pferd standen, waren nur noch die Hufspuren der beiden Pferde zu sehen. Sie teilten sich in verschiedene Richtungen und sahen aus, als wären beide Pferde durchgegangen und dann in beide Richtungen geflohen. Von Laurie und Henry fehlte jede Spur. Ich lauschte, doch ich hörte weder ein Wiehern, noch die Stimmen der zwei. Sie waren weg. Etwas unruhig begann ich in einem Umkreis von 500 Metern die beiden zu suchen, doch ich wurde nicht fündig. Wenn beide galoppiert waren, wären sie jetzt über alle Berge. Ich ritt in Richtung des Parkplatzes, auf welchem Matthew und ich immer parkten und als ich von oben auf ihn rauf sah, sah ich den Grund weswegen beide weg waren. Auf dem Parkplatz zwischen den Bäumen versteckt standen zwei schwarze große Geländewagen. Sie waren also hier. Sie waren hier und wollten uns finden. Fassungslos schüttelte ich den Kopf und in mir kam Wut und Angst hoch. Ich wendete mein Pferd abrupt und ließ es im Galopp den Hügel wieder hoch laufen. Ich ging zu der Stelle, wo Henry und Laurie sich getrennt hatten und drehte mit meinem Pferd mich auf der Stelle, dann galoppierte ich in eine dritte Richtung weg. Das würde für einiges an Verwirrung sorgen. Im rasenden Tempo ging es durch den Wald. Permanent duckte ich mich, aus Angst mit einem Ast zusammen zu stoßen. Der Sattel knatschte vor sich hin. Erst als ich am Fluss ankam, verlangsamte ich das Tempo. Ich trabte durch das Wasser und wählte einhändig die Nummer von James.
„Ja?"-er genervt.
„Ich hab ein verdammt großes Problem"-ich.
„Mathe oder Chemie?"-er.
„Sie haben uns gefunden"-ich monoton und leise, um sicher zu gehen, dass sie mich nicht hörten, wenn sie in der Nähe waren.
„Wo bist du?"-James ernst.
„Im Wald. Mit einem Pferd."-ich
„Wo sind Henry und Laurie?"-er
„Weg. Ich hab sie nur kurz alleine gelassen"-ich.
„Ach du Scheiße. Schaffst du es bis zum Ende des Waldes zu reiten?"-er
„Das sind etliche Kilometer"-ich
„Ich komm und hol dich ab"-er.
„Und Laurie?"-ich.
„Ich sag Justin Bescheid"-er und legte auf.
Als ich am Parkplatz lang ritt, war Henrys Auto weg. Der Anhänger stand allerdings dort. Verwundert sah ich mich um und erblickte an einem Baum Nummer28 festgebunden. Mein Blick scannte alles, niemand war zu sehen. Schnell ritt ich zu Nummer28, band ihn los und nahm ihn als Beipferd mit. Henry muss wohl geflohen sein, ohne sein Pferd. Eine gefühlte Ewigkeit floh ich durch den Wald, mit dem unheimlichen Gefühl, sie würden mich jagen. Wenn sie mich finden würden wäre alles aus. Ich spannte mich wieder an. Ich hatte Angst vor ihnen, Dad hatte zu oft schlimmes über sie erzählt.
Dass die Pferde ruhig blieben, war ein Wunder und ich war Gott dankbar dafür. Das war das letzte was ich jetzt noch gebrauchen konnte. Plötzlich hörte ich etwas im Gebüsch und es klang, als wenn mehrere Menschen sich durchs Dickicht schlagen würden. Unmittelbar danach schnellte ein Reh aus einem Gebüsch und rannte vor uns entlang. Ich umklammerte den Strick von Nummer28 fester und trieb das Pferd, auf dem ich saß vorwärts. Mir war es jetzt egal, unauffällig zu bleiben, ich wollte einfach nur weg von hier. Im Galopp preschte ich durch die eng gewachsenen Bäume und langsam kam das Ende des Waldes immer mehr in Sicht. Die Sonne stand schon etwas tiefer und ich mein Puls raste nicht mehr ganz so schnell, wie vorher. Ich verlangsamte in den Trab und hörte das Vibrieren meines Handys.„Ja?"-ich leise.
„Justin hat Kontakt zu Laurie, sie ist in die ganz andere Richtung. Ich steh in der alten Scheune auf dem Feld hinterm Wald. Da werden sie uns nicht finden"-James.
„Alles klar"-ich und legte auf. Ein letztes Mal setzte ich zum Galopp an und lenkte die beiden Pferde auf die Straße. Die Hufe klapperten auf dem Asphalt und ich überquerte die Brücke. Mit einem kleinen Sprung gelangen wir über den schmalen Graben auf das Feld und so schnell wie möglich in die Scheune. Dort stand der Geländewagen von James Vater mit einem Pferdeanhänger hinten dran. Noch immer stand ich unter Strom. James öffnete die Türen am Anhänger und ich ließ beide Pferde einsteigen. Ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen und James fuhr aus der Scheune. Als wir auf dem Highway in Richtung Ranch fuhren, normalisierte sich mein Puls langsam.
„Alles ok?"-James besorgt. Ich nicke benommen.
„Ich bin gerade mit 13.000 US Dollar durch den Wald geflohen"-ich seufzend.
„Ernsthaft?"-er
„Das Verkaufspferd ist für 10.000 Dollar angesetzt"-ich.
„Ennie"-er plötzlich ziemlich ernst.
„Ja?"-ich
„Es wird langsam alles ziemlich eng"-er
„Die schnüren mir die Luft zum Atmen ab. Das war doch vorhersehbar"-ich
„Wenn es sein muss komm ich mit dir."-er mit einer ernsten Tonlage.
„Du kannst nicht. Du weißt genau dass es für dich das Ende ist"-ich.
„Ja ich weiß"-er und fuhr auf Henrys Ranch. Sein Pick Up stand vor dem Haus, doch von ihm war keine Spur zu sehen. Die Sonne hing tief am Himmel und tauchte die Weiden in ein rötliches Licht. Wir hielten neben der Weide und luden beide Pferde aus. James nahm mir Nummer28 ab und wir sattelten beide Pferde ab. Ich merkte wie erschöpft mein Pferd war und führte es in seine Box. Ich gab ihm frisches Wasser und Heu und es schnaubte erschöpft.
„Danke"-Henry plötzlich neben mir. Ich sah ihn an und schüttelte den Kopf
„Du hast Nummer28 im Wald gelassen"-ich.
„Ich konnte nicht anders."-er. Ich schüttelte nur den Kopf und seufzte. Hier ist nichts mehr sicher. Am Ende der Auffahrt kam Justin mit Laurie und dem anderen Pferd im Gepäck in Sicht. Sie war also auch sicher wieder angekommen.
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Remember Me.
Novela JuvenilDenn von Anfang an war eins klar: eines Tages würde ich gehen. Ich würde gehen und nicht wieder kommen. Was ich zurück ließ? So ziemlich alles.