Ironie

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Der Deal mit Valentin half mir, meine Angst ein wenig abzulegen. Ich hatte mir ein Ultimatum gesetzt und wusste spätestens nach zwei Wochen würde ich wissen woran ich war. Ich würde nach zwei Wochen diesen Ort verlassen können, wenn ich es wollte.

Mit dieser neuen Einstellung fühlte ich mich besser und freute mich sogar ein wenig auf die Zeit. Ich würde das Beste herausholen und gucken zu welcher Entscheidung ich kommen würde.

Die nächsten 5 Tage fühlten sich anders an, ich wachte nicht mit dieser Benommenheit auf, die sonst der Herr meines Körpers war. Nein, ich war neugierig. Valentin freute sich über meinen Wandel. Er war eine große Stütze und verbrachte viel Zeit mit mir.

Diese Veränderung schien auch mein Entführer zu bemerken.

Abends als wir uns in dem Kaminzimmer trafen, schien er erfreut über meine Kleiderwahl und bat mir an mich auf die Couch zu setzen. Ich kam dieser Bitte nach und nahm Platz. Er reichte mir ein Glas Rotwein und setzte sich mir gegenüber. Er sah gut aus, die letzten Tage hatte ich ihn kaum gesehen. Er war nur in seinem Zimmer gewesen. So hatte ich alleine gefrühstückt zu Mittag und zu Abend gegessen. Valentin und Kelly leisteten mir netterweise Gesellschaft. Die beiden wurden zu meinen engsten Vertrauten hier in dieser Hölle.

Heute aber gehört der Abend Mister Norton und mir.

"Du scheinst dich einzuleben." fing der Ältere an und sah mich mit seinen tiefblauen Augen prüfend an. Ich nickte.
"Habe ich eine Wahl?"
"Ich hatte erwartet, dass du dich bis aufs Blut gegen das hier wehren würdest... doch die Erzählungen meiner Belegschaft überraschten mich." Er führte das Glas an seine Lippen und nahm einen Schluck. Ich schwenkte das blutrote Getränk und ließ mein Gegenüber nicht aus den Augen.
"Sagen wir so, ich habe mir selber ein Ultimatum gesetzt." erklärte ich kurz und knapp und nahm schließlich auch einen Schluck.
"Verstehe." Kannte er auch diese Masche schon? Ungewiss darüber stellte ich das Glas vor mir auf den Tisch und stand auf. Er folgte mir mit seinem Blick, das spürte ich. Gemütlich ging ich zu der Etagere und nahm mir eine Dattel im Speckmantel.

"Warum muss ich morgens immer diesen Berg von Tabletten nehmen?" fragte ich dann und nahm mir die nächste Dattel.
"Vorsorge nicht mehr. Dein Unfall ist noch nicht allzu lange her und ich möchte nicht, dass du aufgrund eines schwachen Immunsystems krank wirst ." führte er seine Erklärung aus und stand ebenfalls auf. Ich konnte seine Schritte auf dem knarrenden Holzboden vernehmen. Er ging zu dem Flügel und setzte sich hin. Ich drehte mich zu dem Mann, der seine Finger auf die Tasten legte.

Er fing an zu spielen. Ich ging zurück zum Sofa und nahm wieder Platz. Ich lauschte den Tönen und schloss die Augen. Die Musik streichelte meine geschundene Seele und beruhigte mein Gemüt. Er spielte fabelhaft gab es eigentlich irgendetwas, was er nur halb so anmutig konnte? Ich liebte die Musik des Flügels, jeder einzelne Ton berührte mich auf eine ganze spezielle Art und Weise.

Die zuerst beruhigende Wirkung wich einer Entladung der Gefühle. Ich schluckt schwer und versuchte die Tränen, die sich an die Oberfläche drängten zu unterdrücken. Der Schmerz war da und er saß zu tief. In diesen Momenten konnte ich kaum dagegen ankämpfen. Warum hielt meine Stärke die letzten fünf Tage und zerbrach innerhalb weniger Augenblicke?

Ich öffnete meine Augen und sah nur verschwommen. Der Mann spielte weiter und gab sich ganz seinem Spiel hin, während ich mich langsam erhob. Das bemerkte mein Entführer und hörte auf zu spielen. Die Töne verstummten und mit ihnen auch meine optimistische innere Stimme.

"Ich bemühe mich... ehrlich..." fing ich leise an. Mister Norton stand auf und kam zu mir rüber. Sein Blick ruhte auf mir. Er war nicht sauer über meinen emotionalen Zusammenbruch. Ich erkannte etwas wie Mitleid. Mitleid? Das wollte ich nicht, ich wollte Verständnis und mein Leben zurück.

"Es tut mir leid Emily, doch Bemühungen reichen nicht aus." sagte er dann und nahm meine Hände in seine. Ich sah von unseren Händen auf und spürte die Tränen, die über meine Wange glitten und sich an meinem Kinn sammelten.

"Ich will dir nicht weh tun. Emily, ich will nicht, dass es dir schlecht geht aber ich kann an dem hier nichts ändern!"

"Doch, du kannst mich gehen lassen." flüsterte ich und hatte Mühe nicht zu verstummen.

"Nein, das ist unmöglich!" sagte er leise und ich erkannte er wurde auch nichts anderes tun. Ich wollte meine Hände zurückziehen aber er hielt sie fest.

"Lass mich los!" schrie ich und versuchte gegen seinen Griff anzukämpfen. Er zog mich zu sich und legte seine Arme um mich. Ich versuchte mich wegzudrücken stemmte mich mit aller Kraft gegen seine Brust doch ohne eine reelle Chance. Ich fing an zu weinen schlug gegen den Oberkörper meines Peinigers. Schluchzte schließlich und krallte mich gerade an den Mann, der mir das angetan hatte. Ich hielt mich an seinem Hemd fest und drückte mein Gesicht gegen seine Brust. Meine Beine wurden schwach und ich sackte zusammen, er folgte mir auf den Boden und gemeinsam saßen wir eine ganze Weile dort. Er hielt mich fest und ich hatte aufgehört mich gegen irgendetwas zu wehren, hatte immer noch mein Gesicht vergraben und konzentrierte mich auf das Heben und Senken seines Brustkorbes. Sein Geruch, seine Umarmung, sein Herzklopfen und seine Berührungen,  all das gaben mir das Gefühl von Geborgenheit.

Was für eine Ironie.

Sein Wort - Mein Gesetz (slow update / In der Überarbeitung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt