Der Geruch von Waffeln

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Der Geruch von Waffeln und die Stimme von Chloe holten mich aus meiner Traumwelt in die Realität. Ein sanfter Übergang und schon war ich wieder im Hier und Jetzt. Langsam öffnete ich meine Augen und schloss diese umgehend wieder. Es war zu hell und ich zu müde. Mit Mühe zwang ich mich, meine Lider zu öffnen und den neuen Tag zu begrüßen.

"Guten Morgen." hörte ich eine mir bekannte Stimme flüstern, so als wolle die Person keine Unruhe verbreiten.

"Guten Morgen..." murmelte ich und schaffte es den Sonnenschein zu ertragen. Ich richtete mich auf und sah zu meiner Linken. Nicholas saß neben mir mit einem Buch in der Hand und einer Brille auf der Nase. Selbst mit Brille sah er gut aus. Er las einen dicken Roman und wirkte so als wäre er schon eine ganze Weile wach. Ich musterte ihn und mir fiel peinlicher Weise ein, dass ich diese Nacht einmal wach wurde und ihn dabei beobachtet hatte wie er neben mir schlief. Ich wurde sicherlich rot. Eine Ablenkung musste her.

"Wie viel Uhr haben wir?" fragte ich als hätte das irgendeine Bedeutung. Zeit und Raum waren hier im Prinzip nichts wert. Es gab nichts was auf mich wartete oder unbedingt zu einer bestimmten Uhrzeit erledigt sein musste.

"9:55 Uhr." antwortete Nicholas und klappte sein Buch zu. Er wandte sein Gesicht zu mir und lächelte.
"Wie hast du geschlafen?" Diese Frage war zu leicht zu beantworten.
"Gut..." murmelte ich und wollte es mir selber nicht eingestehen.
"Und du?"
Er nickte: "Gut!" wieder ein Lächeln.

"Wir sollten Frühstücken!" meinte er dann und stand auf. Er rollte einen Servierwagen vors Bett. Jetzt wusste ich auch, dass der Geruch von frischen Waffeln kein Hirngespenst gewesen war. So gut es auch roch konnte ich meine Augen nicht von dem Mann abwenden der mir seinen Rücken zeigte. Erst jetzt fiel mir etwas auf, erst jetzt erkannte ich die Unebenheiten auf seiner Haut. Ich stand auf und ging zu ihm rüber, mein Blick auf seinen Rücken gerichtet. Ohne Worte streckte ich die Hand nach ihm aus.

Dieser Mann wirkte wie eine zerrissene Seele, die mehr als nur das Seelenheil suchte. War er vielleicht einfach nur verloren? Warum kamen diese Gedanken? Warum konnte der Hass, der gestern beinahe dafür gesorgt hatte, dass ich ihn mit einem Brieföffner ermordet hatte nicht auch jetzt die Oberhand meiner Gefühle haben. Als meine Fingerspitzen die unebene Haut berührten zuckte Nicholas zusammen, es war kaum zu bemerken, meiner Aufmerksamkeit war es nicht entgangen.

"Ich werde dir keine Antwort geben." sagte er leise.

"Was wenn ich gar nicht fragen wollte." murmelte ich und ging die lange Narbe nach. Von was kam so eine Narbe? Ein Gürtel? Eine Gerte? Was war es gewesen?

"Du wirfst mehr Fragen auf, als du Antworten gibst das ist nicht fair." fuhr ich fort und zog meine Hand zurück. Erst jetzt drehte sich der Ältere zu mir um und reichte mir ein Teller mit Waffeln.

"Iss!" wies er mich an.

Das Gespräch danach verlief nüchtern. Je mehr ich über ihn erfuhr umso mehr bemühte er sich wieder in der Dunkelheit zu verschwinden und mich alleine im Licht stehen zu lassen. Ich hatte gegessen, den Cocktail von Tabletten in mich rein geschüttet und hatte Nicholas alleine gelassen und ging mit einem zwiespältigen Gefühle Richtung Zimmer. Ich musste duschen. Auf dem Weg dorthin kam ich an einer offenen Tür vorbei. Ich hörte ein leises Stöhnen und die Neugier hatte mich gepackt. Ich spähte durch den Schlitz zwischen Zarge und Tür und erblickte Valentin. Er stand dort und verband sich die Hand. Ich trat herein.

"Was ist passiert?" wollte ich wissen. Valentin wirkte ertappte und stellte sich kerzengerade hin. Er brauchte wenige Sekunden um sich zu fassen und sah dann zu mir.
"Dummer Unfall mit einem Messer!" sagte er und lachte auf.
"Ich bin nicht sonderlich geschickt im Umgang mit Gabeln, Messern und sonstigen Gegenstände, die scharf sind." Das Lachen wirkte nicht echt und das Gefühl, dass er mich anlog verflog nicht.

Ich schloss die Türe und musste an den Vorabend denken. Hatte Ivan etwas mit dieser Verletzung zu tun? Ich lehnte mich gegen die verschlossene Türe und sah Valentin eingehend an.

"Und wie genau die wahre Geschichte verlaufen?" fragte ich. Ich würde ihn solange nicht  rauslassen, bis er mich nicht mehr anlog.
"Emily, lass es gut sein!" sagte mein Gegenüber schließlich und das Lächeln verschwand.
"War das Ivan?" kam es aus mir heraus. Diese Aussage verwunderte den Blondschopf. Er sah wieder auf.
"Wie kommst du darauf?" Zu viel gesagt mit nur drei Worten. Nun wurde ich unsicher und lachte auf. "Ah nur so... ich meine ihr hattet euch gestritten und ich dachte...!"
"Nein Ivan hat damit nichts zu tun!" fiel er mir ins Wort und glaubte meine kleinen Notlüge. Er hatte den Verband fertig angelegt und ging auf mich zu.
"Ich muss los." sagte er und stand dicht vor mir.
"Valentin... wenn was wäre würdest du es mir doch sagen oder?"

Jetzt tauchte ein ehrliches Lächeln auf seinen Lippen auf.

"Wen, wenn nicht dir!" sagte er und beugte sich etwas vor. Er legte seine Lippen auf meine Stirn.

"Das hoffe ich!" murmelte ich und öffnete die Türe um ihn herauszulassen. Er ging und ich blieb zurück. Ich glaubte der Geschichte dennoch nicht und ich wusste Ivan musste damit was zu tun haben! Die Drohung von gestern und mein Fehler bei Nicholas zu übernachten. Sicherlich hatte Chloe, Ivan sofort auf Valentin angesetzt nachdem sie mich bei ihm im Bett gesehen hatte.

Ich durfte mich nicht erpressen lassen! Ich musste den beiden klar machen wer hier die Hosen anhatte. Ich war hier gefangen?! Ich hatte nichts zu verlieren! Es gab nichts mehr, mein Leben gehörte mir seit einer ganzen Weile nicht mehr und so lange hier war würde ich mich weder von einem Gorilla noch von einer Blondine unterdrücken lassen.

Ich musste handeln und das würde ich umgehend tun. Ich würde Ivan aufsuchen und ihm klar machen, dass er seine grobe Art und Weise gerne woanders ausleben konnte aber nicht hier!

Sein Wort - Mein Gesetz (slow update / In der Überarbeitung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt