Prisoners

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Die Gesichter meiner beiden Mitbewohner zeigten mir denselben Ausdruck. Sie konnte nach wie vor nicht glauben, was ich da gewagt hatte. Ich ging davon aus, dass der Schlag sicherlich ein Grund war mich in die Kammer der Stille zu schicken, doch da landete ich nicht. Ich saß auf dem Sofa und wurde von zwei Augenpaaren mit unverständlichen Blicken gestraft.
„WAS!" durchbrach ich das Schweigen und zog die Wolldecke an mein Kinn. Mir war auch nach zwei Stunden noch kalt.
„Wie kannst du nur so dumm sein?" fing Sam an und blinzelte.
„Habt ihr eigentlich einen Schaden, ich wollte die Frau retten und er hat mich davon abgehalten. Er ist an dem Tod schuld!" fuhr ich die beiden direkt an und würde meine Tat nicht bereuen. „Ist euch das eigentlich total egal!" warf ich ihnen vor und sprang auf.
„Was redest du da nur? Du hättest keine Chance gehabt letztlich hat er dir das Leben gerettet, peilst du das nicht!" konterte die Blondine und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Keiner hätte etwas unternehmen können ohne sich selber in Gefahr zu bringen nur weil du dem Tod mit offenen Armen entgegen rennst, kannst du das nicht von denen erwarten, die ihr Leben lieben!" machte Sam weiter und nahm ihre Hand runter. Ich merkte wie sich Tränen der Wut in meinen Augen bildeten.
„Sie hat Recht, du wärst ebenfalls eingebrochen meinst du nicht, ich hätte Lolli nicht geholfen wenn ich es gekonnt hätte?! Das Eis war einfach zu brüchig!" während Leah dies sagte, erhob sie sich und kam auf mich zu. Sie nahm meine kalten Hände in ihre warmen und lächelte. Mir wurde ganz anders, aus Wut wurde nun Unsicherheit. Wenn die beiden Recht hatten, was wenn ich die Situation durch meine naive und starrköpfige Brille ganz falsch eingeschätzt hatte?
„Marcus will nur das Beste für uns und das er Thomas den Befehl gab dich zu stoppen war das Richtige!" Jedes Wort aus den Mündern der beiden ließ mich weiter zusammenschrumpfen. War ich dem Mann, dem ich so vorbildlich eine geklebt hatte doch zu Dank verpflichtet?
Diese Frage kreiste in meinem Kopf umher, während ich auf dem Bett lag und regungslos an die Decke starrte, und die anderen drei draußen alles für einen DVD-Abend vorbereiteten.
„Nein er ist Schuld an dem Tod!" murmelte ich vor mir her und versuchte diese Meinung zu manifestieren. Ich dachte an Lolli wie schnell ihr Leben von einem Moment auf den anderen zu ende war und ging mit der rechten Hand über meine linke Elle, die durch den Schlag angeschwollen war. Mit zusammen gekniffenen Augen schnappte ich mir mein Kissen und hielt es auf mein Gesicht. Mit voller Kraft schrie ich in das Federkonstrukt und versuchte diesen Druck von meiner Brust zu bekommen. Ich hatte aus Reflex gehandelt und wie es nun zu sein schien, komplett falsch. Hatte ich das Telefonat mit meiner Familie umsonst aufs Spiel gesetzt? Vielleicht musste ich mich wirklich entschuldigen und demütig angekrochen kommen. Kaum ausgedacht hörte ich auch schon seine Stimme, er begrüßte die drei charmant und ich hörte es knistern. Sollte ich wirklich rausgehen? Ich drückte das Kissen noch fester auf mein Gesicht und hoffte daran zu ersticken. Überforderung machte sich breit, der Tod von Lolli, der hier irgendwie niemanden an die Nieren zu gehen schien außer mir und eine notwendige Entschuldigung, die mir schwerfiel. Im Prinzip brauchte ich mich niemals entschuldigen, schließlich hielt er mir  gefangen wie... mein Gedankenkarussell legte eine kleine Pause ein. „Wie ein Tiger..." das waren seine Worte gewesen. Wieder ein Schrei, der aus vollkommener Hoffnungslosigkeit entstanden war, füllte das Kissen.
„Bist du fertig?" hörte ich Sam fragen, die mich wohl abholen sollte. Ich nahm nur zögerlich mein Schutzschild vom Gesicht weg und sah zu ihr herüber.
„Muss ich?" Sie nickte.
„Komm schon, das wird cool und gemütlich!" Nicht ganz so zuversichtlich wie die gutaussehende Blondine rollte ich mich aus dem Bett und folgte ihr ins Wohnzimmer. Es roch nach Nachos und Salsa Sauce. Der Fernseher lief bereits und die Plätze waren eingenommen. Sam sprang über die Lehne der Couch und setzte sich neben Leah, die direkt neben Marcus Platz genommen hatte. Links von ihm saß wie erwartet Marie. So unbemerkt wie möglich ging ich zu Sam und ließ mich nieder.
„Geht es dir besser?" hörte ich sich Marcus erkundigen und blickte mit so viel Mut wie ich finden konnte zu ihm herüber.
„Danke und dir?" Ich wollte gar nicht auf seine Wange gucken doch die leichte Färbung konnte ich nicht ausblenden.
„Alles bestens." Bestätigte er mir und sah dann wieder zu den anderen.
„Dieses Mal durfte Sam die Wahl treffen und somit sehen wir uns heute den Film Prisoners an." Verkündetet der Hahn im Korb und drückte auf die Fernbedingung. Der Blueray-Player sprang an und kam seiner Aufgabe nach. Marie warf eine Decke über sich und Marcus und rückte noch etwas näher an ihn heran.
„Der Film ist super." Freute sich meine Sitznachbarin und ich musste ihr beipflichten. Nur der Titel spiegelte die Ironie der Situation wieder. Wir waren ebenfalls Gefangene auch wenn das  der ein oder andere hier anders sah. Die gemütlichen Sitzpositionen wurden eingenommen und der Film fing an. Ich versuchte mich auf die Geschichte zu konzentrieren und doch lag meine Aufmerksamkeit auf den Anwesenden. Vor allem auf Marcus, der sich wie der netteste Mensch der Welt um Marie kümmerte, die sich zu fürchten schien und Schutz bei ihm suchte. „Kindergarten." Murmelte mir Sam ins Ohr als sie merkte, dass mir aufgefallen war was die Rothaarige da machte. „Das macht sie immer egal was für nen bekackter Film es auch ist...!" hetzte sie weiter und stopfte sich ein paar Nachos in den Mund.
„Ich muss mal auf Klo!" sagte ich wie aus dem Nichts und erhob mich. Meine Füße trugen mich so schnell es ging in durch mein Zimmer ins angrenzende Bad. Ich warf die Türe zu, die nicht ins Schloss fiel und stemmte mich am Waschbecken ab. Die Illusionen waren zu mächtig, sie machten mich mürbe und die mir bekannten Bilder an denen ich festhalten wollte um alles hier zu hassen brachen in sich zusammen. „Er ist ein Arsch!" bestätigte ich mir und fixierte dabei meine Augen.
„Ich weiß es gibt keinen zweite Chance für  den ersten Eindruck aber meinst du nicht es wäre nur fair, dein anfängliches Bild zu revidieren?" ertappt drehte ich mich um und sah den Hausherrn an, der an der Türzarge lehnte und sanft lächelte. „Du magst mich kennengelernt haben und dir eine Meinung gebildet haben... ich habe diese Meinung sicherlich durch mein Verhalten bestärkt und deine Entführung war sicherlich auch nicht richtig aber mittlerweile solltest du gemerkt haben, dass ich gar nicht so schlimm bin..." er hielt inne und hob eine Augenbraue. „Du weißt im Inneren, dass du zu dieser Erkenntnis bereits gekommen bist!"
„Was auch immer du mir hier vorspielst..." fing ich sofort an wurde aber unterbrochen.
„Was soll ich dir hier vorspielen meinst du nicht, das wäre mir zu lästig? Ich lebe hier, hier bist du bei mir und ich sehe keine Notwendigkeit dir etwas vorzuleben, das nicht der Wahrheit entspricht!"
„Ok, ich habe dir vorhin eine gescheuert und die Strafe?"
„Emily... ich bestrafe dich nicht für einen emotionalen Ausbruch. Du bist durch die vergangenen Ereignisse genug gestraft und verstört. Deine Seele muss heilen, da kann ich dir wegen solch einer Kleinigkeit nicht sauer sein. Was glaubst du was Sam schon alles gemacht hat." Er zog den Ärmel seines Pullovers hoch und zeigte mir eine Narbe. „Sie hat mich gebissen und das nicht zu knapp. Frag sie ruhig wie ich darauf reagiert habe! Ich weiß wie junge Frauen sein können, die schlechtes erfahren haben. Ich will euch helfen und nicht mit unnötigen Peinigungen noch mehr Schaden zufügen!" Es war faszinierend aber ich glaubte ihm.
„Es tut mir leid... ich habe die Situation falsch eingeschätzt..." wieder unterbrach er mich.
„Nein Emily, eine Entschuldigung das ist wirklich nicht nötig." Wieder lächelte er. „Komm mit raus, sonst verpassen wir noch den Film." Er streckte mir seine gepflegte Hand entgegen und ich zögerte kurz, dann aber legte ich meine Hand in seine und er umschloss sie mit seinen Fingern. Ohne Hast führte er mich ins Kaminzimmer zurück und wir nahmen wieder Platz.
„Ich habe dich bereits vermisst." Hörte ich Marie säuseln.
„Sie will heute gevögelt werden." Vernahm ich wieder die Stimme von Sam im Ohr und musste grinsen.

Sein Wort - Mein Gesetz (slow update / In der Überarbeitung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt