3-2 A'shei und Ranoz

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A'shei und Ranoz

Am Morgen liegt auf Silita-Suan der erste Schnee. Es ist, als schütze die weiße Decke den Samen des Mondbaums, den Silàn und A'shei letzte Nacht im Licht des Vollmondes pflanzten. Die beiden verbrachten den Rest der Nacht im oberen Burghof, wachten über den Samen und spekulierten zum wiederholten Mal über die Bedeutung von Dánirahs Traum. Im Morgengrauen setzte der Schneefall ein, langsam und mit großen Flocken, die schon bald die ganze Burg mit einer weiß glitzernden Mütze bedeckten. A'shei und Silàn kehrten kurz vor Tagesanbruch in ihr geschütztes Haus zurück.
Silàn tritt mitten am Vormittag mit einer Tasse Tee in der Hand vor die Tür, um die vom Schnee verzauberte Burg zu betrachten. A'shei legte sich nach der schlaflosen Nacht hin. Es ist das erste Mal, dass er mit Silàn die ganze Nacht durchwachte. Ob das an der Magie des Mondbaums liegt?Silàn berührt das Blütenblatt, das sie an einer Kette um den Hals trägt. So vieles ist geschehen, seit Silmira dieses Blatt von Silita-Suan nach Atara brachte! Und nun steht sie selbst hier, auf der Burg der Königinnen der Nacht. Wenn es nach den Wünschen der Xylin oder des Drachenschattens Ranoz ginge, würde sie Femolai sofort herausfordern und den Thron der Nacht für sich zurückgewinnen. Silàn ist sich aber sicher, dass dieser Weg ins Verderben führt. Sie vertraut auf den Wahrtraum Dánirahs, der ihr bis hierher zuverlässig den Weg wies. Zwar gab es kleine Unstimmigkeiten, aber grundsätzlich sagte die Tanna damals in Atara viele Dinge voraus, die inzwischen passiert sind. Dazu gehört Silàns Flucht aus dem Kerker. Dánirah wusste von Details wie dem Abstreifen der Handfesseln. Es spielt wohl keine Rolle, dass Silàn in dem Traum durch die Kerkerwand ging, während sie in Wahrheit zum Fenster des Verlieses hochklettern musste, um es zu verlassen. Das nächste Bild des Traums zeigte Silàn auf der Burg Silita, beim sterbenden Mondbaum Silfanu.
Den Rest des Traums kann sie noch nicht zuverlässig deuten. Sie entdeckte auf der Burg bis jetzt kein Loch im Boden, durch welches sie hinuntersteigen könnte. Außerdem rätselt sie immer noch, welche Bewandtnis es mit dem Schlüssel hat, der in Dánirahs Traum und Silmiras Nsilíprophezeiung als verbindendes Element auftaucht.
Silàn seufzt und trinkt den kalt gewordenen Tee aus. Dann holt sie aus ihrer Tasche das ausgeblichene Blatt, auf welches Antim damals den Text der Nsilíweissagung notierte. Die Übersetzung und damit auch die Deutung des Spruchs sind nicht einfach. Trotzdem hat Silàn inzwischen eine Lieblingsvariante.

Silondai kamanin, Henoda katenin
Silhini erenin, Silfanu laitalin
Silita arg hamin

Wenn der Spiegel durchschritten, wenn der Schlüssel geschmiedet,
Wenn die Mondkönigin gefunden, wenn der Mondbaum erblüht,
Dann ist Silitas Fluch gebrochen

Antim war der Meinung, dass die Reihenfolge der Textteile nicht unbedingt eine Rolle spiele. Deshalb ist denkbar, dass einige der erwähnten Dinge bereits geschehen sind, während andere noch eintreffen müssen. Sowohl Silàn wie Tanàn durchquerten zum Beispiel den Spiegel. Und Silàn ist nach Ansicht der Nsilí, der Xylin und nun auch Ranoz die verlorene Mondkönigin. Der Mondbaum brachte zu dem Zeitpunkt, als sie zum ersten Mal den Spiegel durchschritt, eine letzte Blüte hervor. Deshalb fehlt vor allem noch dieser eine unverständliche Teil, derjenige über den Schlüssel. Abgesehen davon, dass niemand zu wissen scheint, was für ein Fluch über dem Haus Silita liegt. Silàn gibt schließlich das Grübeln auf, um sich schlafen zu legen. Sie will bei nächster Gelegenheit Ranoz nach seiner Meinung fragen.

Am Abend sitzen Silàn und A'shei trotz der Kälte rittlings einander gegenüber auf einer Mauerkrone im obersten Burghof und beraten, wie sie weiter vorgehen wollen. Jetzt, da der Winter einsetzt, müssen sie sich entscheiden, wohin ihr Weg führen soll. Silàn ist allerdings mäßig bei der Sache. Immer wieder betrachtet sie fasziniert A'sheis Augen. Während sie tagsüber gewohnt blau waren, leuchten sie seit dem Mondaufgang wieder silbern. Die Magie des Mondbaums scheint anzuhalten. A'shei selber ist überwältigt, was er neuerdings nachts alles erkennen kann. Deshalb lässt auch er sich ständig ablenken. Der Schnee auf den Ästen des Mondbaums und im Burghof reflektiert silbern das Mondlicht und verzaubert den Hof.
Plötzlich zuckt Silàn zusammen. Instinktiv zieht sie Energie der Dunkelheit zusammen und hüllt sich in einen schützenden Schatten. A'shei starrt überrascht die dunkle Stelle an, wo eben noch seine Freundin saß. Langsam löst sich der Schatten wieder auf und die Konturen der Magierin werden sichtbar. Gleich darauf sitzt Silàn dem Tanna gegenüber, als ob nichts geschehen wäre.
«Was war das? Du bist dich vor meinen Augen verschwunden!»
Silàn fröstelt. Die toten Äste des Mondbaums knarren unheimlich, als ob ein kräftiger Wind sie bewegen würde.
«Ich fühlte plötzlich einen sehr starken Angriff aus der Dunkelheit. Ich glaube, ich versteckte mich unbewusst in den Schatten, um ihm auszuweichen! Das war gespenstisch. Irgendwo ist etwas wichtiges passiert, ich weiß nur nicht, was es war. Etwas Schlechtes, fürchte ich.»
A'shei starrt seine Freundin erschrocken an. Bevor ihm eine geeignete Antwort einfällt, hebt Silàn lauschend den Kopf. Laute Flügelschläge nähern sich.
Die Äste des Mondbaums knarren und ächzen in einem stärker werdenden unnatürlichen Wind. A'shei greift zu seinem Bogen, um rasch die Sehne zu spannen und zieht einen Pfeil aus dem Köcher. Silàn bedeutet ihm mit einer Geste, innezuhalten. Sie kennt diesen Flügelschlag. Elegant schwingt sich Ranoz' mächtiger Schatten über die Mauerkrone, um sich im Hof niederzulassen. Gleichzeitig neigt sich die Silhouette des Mondbaums ächzend zur Seite und stürzt mit lautem Krachen von brechenden Ästen und Zweigen um. Die Augen und Nüstern des Drachenschatten glühen orangerot. Er legt den Kopf schräg und betrachtet den umgestürzten Baum sorgenvoll, um dann A'shei einen misstrauischen Blick zuzuwerfen.
«Ahranan, was ist passiert? Ich spürte einen mächtigen Fluch, der gegen dich und diesen Ort gerichtet war. Und nun sehe ich, dass Silfanu gefallen ist.»
«Einen Fluch? Ich empfand das als Angriff der Dunkelheit. Er war stark, aber ich glaube, ich konnte ihn abwehren. Weißt du woher er kam?»
«Von Femolai, der Verräterin, denke ich. Wie hast du den Fluch abgewehrt?»
«Ich hüllte mich instinktiv in Schatten, wie du es mich gelehrt hast. War das falsch? A'shei meint, er hätte mich einen Moment lang nicht gesehen.»
Der Drachenschatten betrachtet den jungen Mann mit zusammengekniffenen Augen. Schließlich rumpelt er fast freundlich ein Willkommen.
«Du bist also A'shei, der junge Schattenwandler? Ich habe viel von dir gehört, die Ahranan hält große Stücke auf dich, Sternenwanderer. Was genau ist in deinen Augen passiert?»
«Nicht viel, außer dass sich Silàn vor meinen Augen auflöste. Als sie wieder sichtbar wurde, quälte ein Wind den Mondbaum und da bist du schon aufgetaucht. Ich weiß nicht ob der Wind oder dein Flügelschlag den Baum zum Umstürzen brachte. Wer oder was bist du, Wesen der Nacht?»
A'shei betrachtet den Drachenschatten neugierig. Er kann nicht durch Ranoz' Schattengestalt hindurchsehen, so sehr er sich bemüht. Silàn dagegen hat sich inzwischen wie selbstverständlich angewöhnt, ihren neuen Freund mit den Augen der Wesen der Dunkelheit zu sehen. Verwundert blickt sie den Jungen an. Ranoz brummt ungeduldig.
«Er sieht mich nur als Dunkelheit, er besitzt keine Magie der Nacht. Du musst ihm helfen, Ahranan.»
«Oh!»
Silàn nimmt A'shei bei der Hand und lässt vorsichtig etwas Energie der Nacht in ihn hineinfliessen. Verwundert reißt der Junge die Augen auf, als Ranoz' wahre Gestalt vor ihm Form annimmt. Silàn holt schuldbewusst die verpasste Vorstellung der beiden nach.
«A'shei, das ist Ranoz, der älteste der Drachenschatten, Hüter von Silita. Ranoz, das ist mein Freund A'shei-te-naorim aus Atara, Schattenwandler und Schüler von Antim.»
Die beiden nicken einander zu, nicht wirklich entspannt, aber das anfängliche Misstrauen lässt nach. Ranoz kommt übergangslos auf das Thema des Fluchs zurück.
«Ich befürchte, dass Femolai dich und das Haus von Silita verfluchte, Ahranan. Glücklicherweise konntest du dich schützen. Es bleibt abzuwarten, was dieser Fluch sonst für Wirkungen entwickelt.»
A'shei lässt den Drachenschatten nicht aus den Augen. Er bleibt wie immer pragmatisch.
«Was kann so ein Fluch anrichten?»
«Das hängt davon ab, was Femolai bezweckte. Ich denke, sie richtete ihn vor allem gegen Silàn. Offensichtlich ist ihr nicht klar, wieviel Macht der Dunkelheit die Ahranan besitzt. Auf jeden Fall traf der Fluch Silfanu hart.»
Silàn nickt beunruhigt. Obwohl der Baum bereits seit langem im Sterben lag, stürzte er nicht erst durch Ranoz' Flügelschlag. Das seltsame Knarren des Holzes hatte bereits beim Angriff respektive Fluch begonnen. Silàn fallen ihre Überlegungen vom Vormittag zu den Prophezeiungen von Dánirah und Silmira ein. Rasch erzählt sie Ranoz vom Wahrtraum der Tanna, vor allem natürlich von dem Traumbild, das sie auf Silita-Suan in ein Loch steigend zeigte, um einen Schlüssel zu suchen. Ranoz wirkt zunächst ratlos. Erst als A'shei auch die Weissagung der Nsilí wiederholt und Antims Mutmaßungen dazu erwähnt, nickt er.
«Nun, so ergibt das Ganze Sinn. Typisch Silmira, die Prophezeiung ohne Erklärung weiterzugeben. Für sie muss alles dramatisch und poetisch daherkommen. Euer Antim scheint dagegen vernünftig genug zu sein, vielleicht unterschätzte ich ihn. Wenn ich richtig verstehe, braucht es einen Schlüssel, um den Fluch zu brechen, den Femolai heute ausgesprochen hat.»
Silàn schluckt leer. Natürlich! Bisher fragte sie sich immer, was mit ‹Silita arg hamin› gemeint war. Nun gibt es tatsächlich einen Fluch über Silita, der gebrochen werden muss. A'shei schaut das Ganze wie üblich von der praktischen Seite an.
«Ranoz, kennst du hier irgendwelche Keller oder Höhlen, wo dieser Schlüssel versteckt sein könnte? Bisher deckte sich Dánirahs Traum sehr gut mit den Tatsachen.»
«Abgesehen davon, dass sie träumte, ein Schatten könne durch Mauern gehen. Aber du hast recht, Sternenwanderer, sie scheint die Gabe einer echten Wahrträumerin zu besitzen, wie davor ihre Mutter Shonai. Und es gibt tatsächlich eine uralte Geschichte von Höhlen unter Silita-Suan. Sie sollen der Grund sein, dass die Burg an dieser Stelle errichtet wurde. Allerdings wusste selbst Haonàn nicht, ob es sich dabei nicht nur um eine Legende handelt. Auch Tanàn stieß nie auf die Höhlen, und das will etwas heißen. Sie war das neugierigste Wesen, das ich kannte.»
Nachdenklich fügt er nach einer Weile eine Ergänzung hinzu.
«Es gibt auf jeden Fall Höhlen in diesen Bergen, ich wohne schließlich in einer davon.»
Silàn lässt A'sheis Hand los und stützt das Kinn in die Hände. Sie versucht, all die neuen Informationen zu verarbeiten. Da fällt ihr zusammenhangslos etwas auf, was sie nicht versteht.
«Ranoz, weshalb nennst du A'shei ‹Sternenwanderer›? Schon Dánan verwendete damals in Kelèn diesen Namen.»
Das Rumpeln aus Ranoz' Kehle klingt wie ein Lachen.
«Auch die Hrankaedí haben ihre Geschichten. Aber das ist schließlich sein Name, A'shei-te-naorim, der Stern-der-in-den-Himmel-fällt, also eine Sternschnuppe oder, wie es in der Legende heißt, ein Sternenwanderer.»
Silàn blickt ihren Freund überrascht an. Sie machte sich bisher nie Gedanken über die genaue Bedeutung seines Namens.
«Ein schöner Name, er passt zu dir, A'shei! Um was geht es in deiner Geschichte, Ranoz?»
Die gute Laune des Drachenschattens scheint schon wieder wie wie weggeblasen. Er schnaubt verächtlich.
«Es geht um die große Liebe, wie immer in solchen Geschichten. Aber das ist im Moment nicht wichtig. Wir sollten besser herausfinden, wo der Eingang zu dieser Höhle liegt. Außerdem möchte ich wissen, was der Zweck dieses Schlüssels ist.»
A'shei blickt den Drachenschatten nachdenklich an. Es ist seltsam, mit einer Dunkelheit zu sprechen, die nur als Schatten zu erkennen ist. Aber Ranoz scheint auf Silàns Seite zu stehen. Er beschließt, diesem Wesen der Nacht zu trauen.
«Du hast recht, Ranoz. Es wird Winter, wir können nicht ewig hier bleiben, ohne Vorräte und genug Feuerholz. Wenn es diese Höhle und den Schlüssel gibt, müssen wir sie rasch finden. Aber ich bin mir wegen dem Schlüssel nicht sicher. In Silmiras Gedicht heißt es, dass er zuerst geschmiedet werden muss. Wir suchen also vielleicht ein Stück Erz oder etwas Ähnliches.»
Ranoz blinzelt zweimal mit seinen goldenen Drachenaugen. Der junge Schattenwandler zeigt wider Erwarten keine grundsätzliche Abneigung gegen Wesen der Nacht. Außerdem hat er offensichtlich etwas im Kopf. Vielleicht ist an der alten Geschichte vom Sternenwanderer trotzdem mehr dran, als Ranoz bisher glauben wollte. Auf jeden Fall will er dem Jungen eine Chance geben, Name hin oder her. Ranoz bedeutet A'shei, näher zu kommen. Dieser versteht aber die Geste, die sich im Schatten verliert, nicht. Der Drachenschatten schnaubt ungeduldig.
«Komm hierher, Schattenwandler. Es ist besser, wenn du mich richtig sehen kannst.»
Vorsichtig und mit zweifelndem Gesichtsausdruck nähert sich A'shei dem Hrankae. Silàn schaut gespannt zu, wie Ranoz eine große klauenbewehrte Hand ausstreckt und A'shei vorsichtig bei der seinen fasst. Dann bläst er ihm eine dunkle Rauchwolke ins Gesicht. Der Tanna unterdrückt ein Husten. Silàn ist besorgt, sie weiß, wie heiß der Atem des Drachenschattens werden kann. Aber diesmal sprühen keine Funken, es ist eher, als würde Ranoz seine Dunkelheit auf A'shei übertragen. Der schwarze Nebel kräuselt sich und sucht einen Weg in A'sheis Nase und Mund. Der Junge wirft Silàn einen fragenden Blick zu. Diese zuckt die Schultern und beobachtet etwas verwirrt das Geschehen. A'shei atmet zögernd tief ein, nur unwillig bereit, sich auf diese fremde Magie einzulassen. Langsam wird Ranoz' Gestalt für ihn sichtbar und goldene Drachenaugen halten den Blick von silbernen Menschenaugen fest. Der Hrankae lässt die Hand des Jungen los, zufrieden mit seiner Entscheidung.
«So, ein Problem weniger. Es bedeutet nicht, dass du im großen Rahmen Magie der Nacht verwenden kannst. Aber du solltest nun in der Lage sein, durch die Dunkelheit hindurchzusehen.»
«Das tue ich. Danke, Ranoz.»
Silàn lächelt, froh, dass ihre Freunde sich nach dem anfänglichen Misstrauen doch zu verstehen scheinen. Sie ist auf alle Hilfe angewiesen, die sie bekommen kann. Während A'shei und Ranoz sich gegenseitig mustern steht sie auf und beginnt, im Hof hin und her zu gehen. Der Schnee knirscht unter ihren Schuhen. Sie lächelt als sie daran denkt, wie Antim diese für sie und A'shei kaufte, mitten im Sommer. Dann kehren ihre Gedanken in die Gegenwart zurück. Sie tritt zum umgestürzten Mondbaum und betrachtet traurig das tote Holz. Vielleicht kann sie ein Stück davon herausschneiden und Andres mitbringen? Aber es widerstrebt ihr, den Mondbaum zu verletzen. Zu sehr erscheint er ihr wie ein gefallener Freund. Seine mächtigen Wurzeln rissen beim Sturz große Löcher in den Boden. Daraus kräuselt sich etwas, was wie feiner Nebel aussieht. Neugierig geworden, tritt Silàn näher. Tatsächlich, da steigt Nebel aus einer Erdspalte. Sie beugt sich neugierig darüber.
«A'shei, Ranoz, seht her. Hier gibt es einen Hohlraum unter den Wurzeln von Silfanu!»
Sofort sind beide an ihrer Seite. A'shei streckt vorsichtig die Hand aus und hält sie über die Austrittsstelle des Nebels. Ranoz rumpelt tief in der Kehle.
«Vorsicht. Du weißt nicht, ob das nicht Teil von Femolais Fluch ist.»
Erschrocken zieht der Schattenwandler die Hand zurück. Aber Silàn schüttelt den Kopf.
«Ich glaube ich würde spüren, wenn das Femolais Magie wäre. Ihre Kraft ist der meinen ähnlich. Das hier ist etwas anderes.»
Langsam bewegt sie die eigene Hand über die Stelle.
«Da ist ein warmer Luftzug, der aus der Tiefe kommt. Vielleicht ist das der Grund, warum sich Nebel bildet.»
«Ich glaube, du hast dein Tor zu den Höhlen von Silita gefunden, Ahranan. Kein Wunder, dass es verschollen war. Silfanu selbst war sein Wächter.»
«Ja, ich verstehe nur nicht, weshalb. Du sagst, die Legende von den Höhlen sei alt. Wie alt genau? Älter als der Mondbaum?»
«Bestimmt älter als der Mondbaum. Als ich am Beginn des Hauses Silita deiner Namensmutter Silàn die Treue schwor, gab es weder Silita-Suan noch den Mondbaum. Die erste Silàn ließ in den folgenden Jahren die Burg erbauen. Weshalb sie auf dieser Stelle bestand, hinterfragte ich nicht. Sie lag bequem nahe der Drachenberge, wieso sollte ich mich beschweren? Den Mondbaum pflanzte Generationen später Ureshàn. Sie war die größte der Magierinnen unter den Königinnen der Nacht. Ich vermute, dass sie ihre Gründe hatte, den Eingang zu den Höhlen zu verschließen.»
Silàn nickt. Was Ranoz erzählt, leuchtet ein. Nun stellt sich die Frage, weshalb Ureshàn es für nötig befand, den Zugang zu den Höhlen zu verbergen. Ist es denkbar, dass das Wissen um die Höhlen verloren war und der Standort von Silfanu rein zufällig gewählt wurde?
«Ranoz, ich kann mir nicht vorstellen, dass Silfanu ohne Grund über dem Eingang der Höhlen stand. Kann es sein, dass Ureshàn etwas verbergen wollte? Zum Beispiel diesen Schlüssel, von dem wir immer noch nicht wissen, wozu er dient?»
A'shei und Ranoz blicken sich einen Moment lang nachdenklich an. Schließlich ergreift der junge Mann das Wort.
«Wie gesagt, der Schlüssel muss laut der Prophezeiung noch geschmiedet werden. Wir suchen also eher nach dem Rohmaterial dafür.»
Ranoz schnaubt zustimmend.
«Die Legenden von Silita berichten von einem Material, welches Magie einfangen und bewahren kann. Es befand sich im Besitz von Silàn, der Gründerin des Hauses. Es heißt, dass sie nur mit seiner Hilfe genug Magie aufbringen konnte, um die vorherige Königin der Dunkelheit zu stürzen. Ich weiß nur, das sie damals alle Wesen der Nacht befreite. Einige von uns schworen ihr und ihrem Haus deshalb ewige Treue. Andere zogen sich zurück und wollten nie wieder etwas mit Königinnen zu tun haben. Aber das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall weiß niemand, wohin dieses geheimnisvolle Material nach Silàns Tod verschwand. Vielleicht wusste Ureshàn mehr, als sie mit dem Mondbaum den Zugang zu den Höhlen versiegelte?»
Silàn beginnt entschlossen, mit den Händen das Loch, aus welchem der Nebel quillt, zu erweitern. A'shei kniet sich neben sie, um ihr zu helfen. Aber sie rechnen nicht mit Ranoz.
«Geht zur Seite, Ahranan, Sternenwanderer. Das ist Arbeit für einen Hrankae.»
Mit geschickten Bewegungen seines kräftigen, mit einer schildförmigen Spitze bewehrten Schwanzes schiebt der Drachenschatten die Erde zur Seite, die den Höhleneingang verdeckt. Kurz darauf legt er ein Loch frei, welches senkrecht in die Tiefe führt. A'shei holt aus dem Haus das Seil, mit dem er aus Penira floh, und knotet es um den liegenden Stamm von Silfanu. Dann grinst er Silàn an.
«Nun, bist du bereit für die Höhlen von Silita?»
Die letzte Erbin von Silita grinst genauso breit zurück.
«Klar, wenn ihr beide bereit seid, bin ich es auch. Lasst uns diesen Schlüssel finden!»

SilànWo Geschichten leben. Entdecke jetzt