3-19 Licht und Dunkelheit

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Licht und Dunkelheit

Silàn sitzt mit untergeschlagenen Beinen am Feuer und beobachtet A'shei, der sich angeregt mit Raill, Fjenis und Fenesh unterhält. Sie freut sich, dass er seine Freunde wiedergefunden hat. Gerne würde sie auch Raills Schwester Hamain kennenlernen, von der sie schon so viel hörte. Vielleicht, wenn das alles hier vorbei ist... Dánan legt ihr sanft eine Hand auf den Arm.
«A'shei ist heute glücklich. Weshalb sehe ich in deinem Gesicht die Zeichen von Sorge, Tochter der Nacht?»
Silàn schüttelt den Kopf. Sie weiß selber nicht genau, was mit ihr los ist. Endlich sind die Verhandlungen zu einem guten Ende gekommen. Eigentlich sollte sie mit ihren Freunden feiern, jetzt wo der offizielle Teil der Vertragsunterzeichnung vorbei ist.
«Es ist so eine Ahnung, Dánan. Als ob irgendwo etwas Schlimmes passiert. Es ist möglich, dass ich mir das nur einbilde. Aber solange ich nicht weiß, was Femolai vorhat, kann ich mich nicht entspannen.»
Dánan blickt nachdenklich in die Flammen. Sie versteht die Befürchtungen der jungen Königin. Silàn wird früher oder später Femolai in einem Entscheidungskampf gegenübertreten müssen. Gerne möchte die Schattenwandlerin Silàn trösten und unterstützen, auch wenn es nur mit aufmunternden Worten ist. Bevor sie ihre Gedanken in Worte fassen kann, betritt Pentim mit seinem Gefolge den Kreis des Feuers.
Der König von Kelèn macht seinem Namen ‹der Strahlende› alle Ehre. Er trägt seine goldene Rüstung, sein Haar und seine Krone glänzen im flackernden Feuerschein. Pentim ist in bester Stimmung. Die Verhandlungen führten zu einem neuen, soliden Vertrag mit den Lelliní. Er kommt gerade aus deren Lager, wo er mit dem Rat von Lelai das Abendessen einnahm. Die Stimmung dort war ausgelassen, alle sind froh, dass der Konflikt am Verhandlungstisch gelöst werden konnte. Aber Pentim ist sehr wohl bewusst, welchen Anteil Silàn von Silita und A'shei-te-naorim am Erfolg der Verhandlungen hatten. Die natürliche Ausstrahlung der silberhaarigen Erbin von Silita sorgte für ein freundliches Gesprächsklima und die besonnenen Vorschläge des jungen Tannaríprinzen halfen mehr als einmal bei der Klärung strittiger Punkte. Deshalb liegt dem König daran, an diesem Abend des Vertragsabschlusses auf seiner Runde durch die Lager auch die abgelegenen Feuer der Tannarí zu besuchen.
Hehama bittet den König von Kelèn auf einen Ehrenplatz. Silàn, A'shei, Dánan und Tòmani erheben sich, um Pentim zu begrüßen. Dieser neigt vor Silàn den Kopf und blickt A'shei an, bevor er der Einladung des Ältesten folgt. Der Sohn von He'sha führte geschickt für die Tannarí die Verhandlungen und unterzeichnete als ihr Vertreter den Vertrag. Das Recht auf sein Erbe scheint damit unbestritten. A'shei wiederholt lächelnd Hehamas Einladung. Pentim nickt dem jungen Anführer dieses seltsamen, auf seine Unabhängigkeit bedachten Volkes beinahe unmerklich zu, bevor er sich würdevoll niederlässt. Seine Wachen halten sich im Hintergrund, nur sein Heerführer bleibt an seiner Seite und mustert mit unleserlichem Gesichtsausdruck die gemischte Versammlung an diesem Feuer. Nach allem, was in den letzten Tagen passierte, akzeptiert dieser erfahrene Soldat A'shei als ebenbürtigen Partner und Freund. Der junge Schattenwandler war immer bereit, zu vermitteln und verlangte niemals etwas Unvernünftiges. Der Vertrag gibt den Tannarí das Recht, nach Belieben durch die Länder zu ziehen, die Pentim und dem Rat von Lelai unterstehen. Er entbindet sie aber nicht davon, die jeweiligen Gesetze zu achten.
Pentim beobachtet A'shei. Der junge Mann hat Freunde sowohl unter den Lelliní wie auch den Keleni. Es ist gut, zu sehen, dass die unterschiedlichen Völker trotz aller traditionellen Konflikte friedlich am gleichen Feuer zusammensitzen. Dann wandert sein Blick zu der jungen Königin der Nacht. Die Ungezwungenheit, mit der Silàn mit den Wesen der Nacht umgeht, beeindruckte die Verhandlungspartner immer wieder. Nun plaudert sie mit einer schwarzhaarigen Tanna und einer blonden Kelen. Obwohl sie niemals an die kalte Schönheit Femolais heranreicht, sieht Pentim in ihr großes Potential. Er weiß, dass sie eine erschreckende Magie besitzt und hofft, dass er ihr niemals in Feindschaft gegenüberstehen wird.
Pentim ist so in seine Gedanken und Beobachtungen versunken, dass er die Frage nicht versteht, die Hehama schon zum zweiten Mal an ihn richtet. Aber bevor er den Ältesten um eine weitere Wiederholung bitten kann, springt Silàn unvermittelt auf. Erschrocken folgen ihr alle Blicke. Dánirah hat ein Gefühl, als würde ein eiskalter Finger sie im Nacken berühren, und Dánan empfindet plötzlich Angst und tiefe Trauer.
Über das Feuer hinweg wirbeln einige leuchtende, durchscheinende Kugeln auf die junge Königin zu. Eine davon lässt sich in ihrer ausgestreckten Hand nieder. Das Gesicht der jungen Magierin, welches soeben noch Freude ausstrahlte, wird ungewohnt ernst. Nach einem scheinbar endlosen atemlosen Moment tanzen die Xylin eilig davon. Am Feuer ist es still, niemand wagt zu sprechen. Silàn steht regungslos und gedankenverloren im Zentrum der Aufmerksamkeit. Schließlich läuft ein Zittern durch ihren Körper. In ihren silbernen Augen stehen Tränen.
«Die Xylin bringen schlechte Nachrichten. Femolai hat den Schattenwandler Antim vom Berg gestellt und tödlich verwundet. Es ist Zeit für mich, diesen Ort zu verlassen. Ich habe noch einen anderen Krieg zu führen.»
Sie legt den Kopf zurück, um mit geschlossenen Augen einen magischen Ruf an Ranoz zu senden. Ihr lautloser, verzweifelter Schrei hallt in den Gedanken aller Anwesenden wider. A'shei legt tröstend einen Arm um die Schultern seiner Freundin. Aber auch seine Augen sind feucht.
Den beiden bleibt kaum Zeit, sich zu verabschieden. Ranoz und Noak setzen ungewohnt rücksichtslos inmitten der Versammlung zur Landung an. Hastig weichen die Menschen zurück, um den Hrankaedí Platz zu machen. Ranoz' goldene Augen sind auf Silàn fixiert. Er spürt ihre Verzweiflung wie ein Messer in seinen Gedanken.
«Ahranan, was ist passiert?»
«Femolai hat Antim getötet. Noch ist es zu früh, den Frieden zu feiern. Ich muss eine Aufgabe zu Ende bringen. Lass uns fliegen, mein Freund, die Nacht ist kurz.»
Der Klang ihrer Stimme wechselt von verzweifelt und traurig zu kalt und entschlossen, als sie sich an den Sonnenkönig wendet.
«Pentim, würdest du uns beim Rat von Lelai entschuldigen? Wir bedauern, das Fest morgen zu verpassen. Wir werden Penira und Lelai besuchen, wenn dies alles vorbei ist.»
Ohne Pentims Antwort abzuwarten, schwingt sie sich auf Ranoz' Rücken. Noak und A'shei sind schon bereit. Mit kräftigen Flügelschlägen erheben sich die Hrankaedí in den nächtlichen Himmel, verfolgt von den besorgten Blicken ihrer Freunde und des Sonnenkönigs.

SilànWo Geschichten leben. Entdecke jetzt