3-4 Rat der Hrankaedí

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Rat der Hrankaedí

Ranoz stößt schnaubend den Atem aus. Er hebt seine Flügel leicht an und wirkt dadurch noch imposanter. Silàn und A'shei bleiben neben ihm stehen, sich fest an der Hand haltend. Mit einem raschen Blick stellt die Erbin von Silita fest, dass keiner der versammelten Drachenschatten in der Nähe der Stelle steht, wo sie den Mondbaumsamen pflanzten. Immerhin wurde der kostbare Samen noch nicht zertrampelt.
Die Hrankaedí sind beeindruckend. Sie strahlen keine offene Feindschaft aus, aber doch klares Misstrauen. Mit ihren großen, goldenen Augen und schräggeschlitzten Pupillen starren sie die Freunde kritisch an. An den schuppigen Gesichtern lässt sich keine Gemütsregung ablesen und im einen oder anderen halb geöffneten Mund glänzt eine Reihe von bedrohlich spitzen Drachenzähnen.
Ranoz gibt seinen Artgenossen Zeit, die beiden Menschen ausführlich zu mustern. Erst als die Pause unerträglich lang wird, hebt er mit seiner tiefen Rumpelstimme zu sprechen an.
«Hrankaedí. Ich rufe das Volk zusammen, weil die Zeit gekommen ist, wichtige Entscheidungen zu fällen. In diesen Monden passieren Dinge, welche das Volk der Hrankaedí betreffen. Manche von euch glauben, dass ich alt geworden bin und meine Kraft verliere. Manche hier denken, dass der Bund zwischen dem Haus Silita und den Wesen der Nacht gebrochen ist und dass ich ein Narr bin, den alten Zeiten nachzuträumen. Manche glauben, dass es eine gute Sache ist, frei zu sein von den Königinnen der Nacht. Andere fragen sich, warum die Hrankaedí nicht endlich Femolai, der neuen Königin der Dunkelheit, Gefolgschaft schwören.»
Ranoz macht eine dramatische Pause, bevor er fortfährt.
«Hrankaedí. Ich habe euch zusammengerufen um euch Silàn vorzustellen, Tochter von Tanàn, Erbin von Silita, letzte Ahranan der Hrankaedí.»
Alle Blicke richten sich auf Silàns schlanke Gestalt. Sie spürt neben Misstrauen und offenen Zweifeln nun auch eine gute Portion Neugier. Schließlich spricht Ranoz mit einem tiefen Rumpeln weiter.
«Hrankaedí. Silàn bewies ihren Anspruch, als sie Femolais Kerker in Penira verließ, wie nur ein echtes Wesen der Nacht es kann. Sie macht Anspruch auf Silita geltend und hat den Samen von Silfanu gepflanzt, der zum nächsten Mondbaum reifen wird. Sie öffnete die Höhlen von Silita-Suan und tritt damit das Vermächtnis Ureshàns an. Es ist Zeit, dass die Hrankaedí sich zu ihrem Bund bekennen.»
Ein Raunen geht durch die Reihen der versammelten Drachenschatten. Silàn lässt A'sheis Hand los und tritt selbstbewusst einen Schritt vorwärts. Sie steht kerzengerade, die Schultern zurückgezogen und das Kinn erhoben. Dennoch kann A'shei ihre Unsicherheit spüren. Die Drachenschatten verstummen sofort, als sie ihre helle Stimme erhebt.
«Hrankaedí. Im Name des Hauses Silita grüße ich euch. Ich bin Silàn-àna-Tanàn-àna-Haonàn. Es ist ein langer Weg, der mich zu euch führte. Ich erhebe Anspruch auf das Erbe meiner Ahnen. Ich bitte die Hrankaedí um ihre Freundschaft und die Erneuerung des Bundes zwischen Haus Silita und dem Volk der Drachenschatten. Ich höre, dass eine Usurpatorin die Freiheit der Wesen der Nacht bedroht. Ich höre, es sei die Aufgabe des Hauses Silita, dies zu verhindern. Ich stelle mich dieser Aufgabe. Werden die Hrankaedí an meiner Seite stehen?»
Die junge Magierin lässt ihren Blick über die versammelten Drachenschatten schweifen und sieht zuletzt Ranoz an. Der Älteste blinzelt und stößt zufrieden seinen glühenden Atem aus. Die Ahranan spricht besser, als er es ihr zutraute. Trotzdem braucht es mehr, um die Drachenschatten zu überzeugen. Er lässt langsam eine schwarze Rauchwolke aus seinen Nüstern kräuseln.
«Hrankaedí. Die Zeit der Entscheidung ist da. Ich achte den Bund mit Haus Silita. Wird das Volk der Hrankaedí seine Verantwortung tragen?»
Ein mittelgroßer Drachenschatten mit erstaunlich hellen Augen tritt bedächtig einige Schritte vor.
«Ranoz spricht von einem alten Bund. Die Erbin von Silita ist jung. Weiß sie den Bund der Wesen der Nacht zu achten? Hat sie die Kraft, das Erbe einer Ureshàn oder Haonàn anzutreten? Ist sie eine würdige Ahranan?»
Ranoz schnaubt leise. Silàn glaubt in seinen Gedanken Verachtung für den jüngeren Drachenschatten zu spüren und das starke Bedürfnis, sie zu beschützen. Entschlossen tritt sie noch einmal einen Schritt vor und steht nun inmitten der Runde. Sie weiß, dass sie ihre Stärke unter Beweis stellen muss. Langsam hebt sie beide Arme und lässt Energie der Nacht in ihren Körper fließen. Nahtlos wechselt sie in ihre Schattengestalt. Ihr Stimme ist ungewohnt tief, als sie das Wort an die Versammlung richtet.
«Hrankaedí. Ich bin Silàn von Silita. Ich stehe zum Bund, den Silàn die Ältere mit den Hrankaedí einging. Den Drachenschatten gehört die Freiheit der Nacht. Ich anerkenne ihren Anspruch und bitte sie, das Amt der Wächter von Silita-Suan und des Hauses wieder aufzunehmen. Möge der Bund ewig halten.»
Langsam lässt sie ihre Schattengestalt entgleiten. Alle Augen sind gebannt auf die junge Frau gerichtet, die von ihnen verlangt, zu den alten Abmachungen zu stehen. Langsam senkt der helläugige Hrankae den Kopf und flüstert leise, aber deutlich ein einziges Wort.
«Ahranan.»
Damit ist das Eis gebrochen, zunächst zögernd aber immer bestimmter folgen die Drachenschatten seinem Beispiel. Es scheint wichtig zu sein, dass jeder einzelne, jede einzelne in der Versammlung Silàn anerkennt. Sie blickt deshalb reihum in goldene Drachenaugen, jeweils bis der Kopf gesenkt und ihr Titel ausgesprochen ist. Das dauert lange und erst als der letzte und kleinste Hrankae sich vor ihr verneigt hat, erlaubt sich Silàn ein Lächeln. Hinter sich hört sie Ranoz verhalten aufatmen.
Diesen Moment wählen die Xylin, um in den Hof zu wirbeln. Erstaunt und überrascht heben die Drachenschatten die Köpfe. Die Lichtkugeln tanzen um die Krone des gefallenen Mondbaums, bevor sie sich der Stelle nähern, wo Silàn im Zentrum der Versammlung steht. Mit einem freudigen Lachen streckt sie den Xylin eine Hand entgegen. Wie gewohnt lässt sich eine Xyl darauf nieder, um als Sprecherin zu dienen.
«Silàn von Silita entscheidet, ihr Erbe anzutreten. Xylin folgen Silàn. Xilyn sind froh, dass Hrankaedí alten Bund achten.»
Überrascht stellt Silàn fest, dass die Drachenschatten rings um sie herum gebannt der Xyl lauschen und sie auch verstehen. Eine der größten Hrankae tritt etwas vor. Ihre Schuppenhaut hat einen dunkelvioletten Ton und ihre Flügel wirken fast durchscheinend. Sie stößt beim Sprechen etwas Rauch aus.
«Ich bin Noak aus Eshekir. Es ist lange her, dass ich Xylin sah. Wo hattet ihr euch versteckt?»
«Xylin sind Kinder der Nacht, lieben Freiheit. Haus Silita respektiert Wesen der Nacht. Femolai verlangt mehr, als Xylin geben können. Wenige Xylin überleben, versteckt in Wäldern von Atara und Eshte. Xylin folgen Silàn von Silita, zusammen mit Hrankaedí.»
Die Xyl macht eine Pause, während ihre Artgenossinnen in einem Farbenwirbel um Silàn kreisen. Schließlich beruhigen sie sich und schweben still auf der Stelle. Die Sprecherin fährt fort.
«Xylin bringen Nachricht von Silmira aus Nirah. Silmira bittet Silàn zum Treffen in Ramenar zum ersten Vollmond des neuen Zyklus. Nsilí warten auf Silhini.»
Nach dieser Erklärung erheben sich die Xylin und tanzen über die Burgmauern davon. Noak blickt ihnen nachdenklich hinterher, bevor sie sich wieder Silàn zuwendet.
«Die Xylin sprechen für dich, Ahranan. Es ist lange her, dass sie Botschaften überbrachten, und immer nur im Dienst der Königin. Was erwartest du von uns?»
«Ich weiß noch nicht, wohin mein Weg mich führt. Ich bin hierher gekommen wegen einer Prophezeiung der Nsilí und des Traums einer Tanna. Was ich fand, ist mehr als ich suchte. Aber noch bin ich nicht bereit für eine Konfrontation mit Femolai. Es gibt Dinge die ich zuerst herausfinden und lernen muss.»
Sie zögert einen Moment und lässt den Blick über die Versammlung schweifen. Ashei lächelt ihr zu und Ranoz blinzelt einmal mit dem ihr zugewandten Auge. Mit neuem Mut spricht sie weiter.
«Ich werde mich auf den Weg nach Ramenar machen, wie die Xylin mich bitten. Sie würden die Nachricht Silmiras nicht ohne guten Grund tragen. Aber ich habe einen Wunsch an die Hrankaedí. Werdet ihr Silita-Suan und den Samen des Mondbaums für mich bewachen, den ich dort drüben gepflanzt habe?»
Alle Augen richten sich respektvoll auf die Stelle, wo ein kleiner, zugeschneiter Hügel den Samen Silfanus bedeckt. Ranoz brummt einen Namen und einer der kleinsten Drachenschatten tritt vor.
«Salik. Ich bestimme dich zum nächsten Wächter von Silita-Suan und dem neuen Silfanu. Bist du bereit, die Ehre deines Volkes zu tragen?»
Salik blickt schüchtern zu Boden. Er ist für einen Drachenschatten noch sehr jung. Aber dann richtet er sich stolz auf und schaut Silàn direkt in die Augen. Er ist gleich groß wie die Ahranan. Seine Stimme ist fest und aus seinen Nüstern kräuselt sich feiner weißer Rauch.
«Ich werde die Ahranan und den Ältesten der Hrankaedí nicht enttäuschen.»
Silàn nickt ihm freundlich zu.
«Hier gibt es eine Höhle, in der du wohnen kannst. Ich danke dir, Salik. A'shei meint, der neue Silfanu werde im Frühjahr keimen. Pass bitte gut auf ihn auf.»
Salik nickt und Ranoz brummt zufrieden.
«So mag es sein. Ich traue den Xylin, aber ich hoffe, dass Silmira weiß, was sie tut. Die Hrankaedí werden bereit sein, wenn ihre Ahranan sie braucht. Noak und ich werden nach Eshekir ziehen, wo die wilden Drachenschatten leben. Wir werden ihre Hilfe brauchen im Kampf gegen Femolai und ihre Anhänger.»
Das Mädchen nickt und senkt den Blick. Sie hoffte bisher, dass es gar nie zu einem Kampf kommen würde. Aber langsam versteht sie, dass es nicht an ihr liegt, darüber zu entscheiden. Die Drachenschatten haben gewählt. Sie bleiben lieber dem alten Bündnis mit Haus Silita treu, als sich von Femolai beherrschen zu lassen. Sie akzeptierte ihre Gefolgschaft, nun muss sie die Konsequenzen tragen und ihrem Volk vorangehen. Noch einmal richtet sie sich kerzengerade auf und nimmt das Wort.
«Hrankaedí. Ich suche den Kampf mit Femolai nicht. Aber ich werde mich stellen, wenn es soweit ist. Ich danke für eure Freundschaft und freue mich auf unser Wiedersehen. Diese Nacht geht zu Ende. Ich wünsche euch eine gute Heimkehr - ewig und eine Nacht.»
Die Drachenschatten senken die Köpfe. Ein Raunen geht durch ihre Reihen.
«Ahranan.»
Dann erheben sich die mächtigen Wesen der Nacht reihum elegant in die Luft und ziehen in alle Richtungen davon. Nur Ranoz, Noak und Salik bleiben zurück. Der Älteste stößt eine schwarze Rauchwolke aus, bevor er sich Silàn und A'shei zuwendet.
«Du machst deine Sache gut, Ahranan. Ich wünsche euch beiden Erfolg auf eurem Weg. Beschütze mein kleines Mondlicht, Sternenwanderer! Und ruft mich, wenn ihr mich braucht!»
Mit einem raschen Schritt tritt Silàn auf ihn zu und drückt ihm einen Kuss auf seine breite Drachennase.
«Vielen Dank für alles, Ranoz!»
Ranoz schnaubt ungewohnt freundlich und etwas verlegen, bevor er sich in die Luft schwingt, dicht gefolgt von Noak.

SilànWo Geschichten leben. Entdecke jetzt