Kapitel 10: Feuerzunge

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„Ich kann es nicht fassen, das Miles wirklich das Haus von Chloe betritt!", schnaubte Sav empört auf, während sie sich ein paar Blätter aus den Haaren fischte. Sich in den Büschen vor Noras Haus zu verstecken war zwar effektiv, aber leider auch ziemlich nervenaufreibend, da andauernd ein anderes Krabbelvieh dachte, es müsste sich auf uns sein Imperium errichten.

Ich fühlte mich wie ein Spielfeld bei Clash of Clans, so oft wechselte ich den Besitzer.

„Außerdem", fügte Sav flüsternd hinzu und deutete auf den Jungen, der neben uns gekniet alles mit beobachtete. „Versteh ich auch nicht, warum wir Chad mitnehmen mussten."

Bevor ich antworten konnte, übernahm er und drehte sich mit hochgezogenen Brauen zu Sav, die ertappt zusammenzuckte. „Ich bin nicht taub", begann er kurz, dann lächelte er. „Und wenn ihr über sowas redet, während ich anwesend bin, muss euch doch irgendwie klar sein, dass ich mitkomme. Also eigentlich alles eure Schuld."

Ich nickte kurz. Das war ein Argument, dem auch Savannah nichts entgegnen konnte. Zumindest schien ihr momentan nichts einzufallen.

Was mich anging, hatte ich seltsamerweise gar keine Probleme damit, dass er bei uns war. Ich fühlte mich im Gegenteil dazu sogar noch etwas sicherer bei der Sache.

„Ich frage mich, wer die anderen sind, von denen Chloe in der Bibliothek gesprochen hatte", redete ich laut vor mich hin, obwohl ich selbst einen Verdacht hatte, wer es sein könnte. Ich wagte es nur nicht, diesen laut auszusprechen. Das wäre verrückt.

„Vielleicht sind sie ja schon drin." Chad wirkte unruhig. „Aber was habt ihr bitte mit diesem Spinner zu tun?"

„Er ist kein Spinner!" Meine Stimme klang aggressiver als geplant und Chad riss sofort abwehrend die Hände vor die Brust. Entschuldigend sah er mich an und ich seufzte nur. Es hatte doch keinen Sinn, mich über solche Kommentare aufzuregen.

„Wir haben eine Art Pakt mit ihm", fing Savannah, schien das Ganze dann aber doch zu überdenken. „Wenn man es als solchen bezeichnen kann. Was meinst du, Licia?"

Ein kalter Schauer fuhr mir über den Rücken, als ich an unsere Abmachung dachte. Ich hatte sie längst in die hinterste Ecke meines Gehirns verbannt.

„Wenn wir sie wirklich finden, dann werdet ihr euch öffentlich stellen. Ihr werdet zugeben, was ihr getan habt. Und dann wechselt ihr die Schule. Und ihr kommt nie wieder in meine Nähe."

Das waren seine Worte, wenn ich mich recht erinnerte. Ein Stich in mein Herz. Er wollte mich aus seinem Leben verbannen, wie ich meine Gedanken an alles, was früher geschehen war. Ich war für ihn wie ein Parasit, der langsam und tödlich alles zerstörte, was ihm in die Quere kam.

„Ich glaube, es ist ein Pakt." Mehr hatte ich dazu nicht zu sagen, mir war nun eher zum Heulen zumute.

„Da kommt jemand", wisperte Chad und zog so unsere Aufmerksamkeit auf die Einfahrt, wo ein rotes Auto hielt und sich die Seitentür öffnete. Jemand stieg aus.

Augenblicklich zuckte ich zurück und weiter in den Busch, um bloß nicht gesehen zu werden. Ich begann zu zittern, als ich sah, wer sich da seinen Weg zur Haustür bahnte.

Nora Newill. Die, dank uns, kurzhaarige Reporterin.

„Komm runter!", ertönte Chloes Stimme aus dem Inneren des Hauses, als hätte sie geahnt, dass Nora angekommen war. „Wir sind schon mitten im Planen!"

Nora sagte nichts, sondern winkte dem Auto, das dann wegfuhr, nur kurz zu und betrat dann das Haus durch die Tür. Kurz darauf verschwand sie aus meinem Blickfeld.

Was planten Nora, Chloe und Miles bitte zusammen?

Mir lief erneut ein kalter Schauer über den Rücken. Jetzt fehlte nur noch eine Person und wenn sie schon drinnen war, war meine Annahme wohl doch nicht so falsch.



Ihre Finger glitten über die Tasten, als seien sie nur Wolken, die sie streichelte. Zärtlich und elegant, dennoch so gekonnt. Sie war ein Profi. Und das schon mit 16 Jahren.

Ich hingegen sah mit meiner Blockflöte, auf der ich gerade mal „Alle meine Entchen" spielen konnte, ziemlich alt aus.

Ich war neidisch. Sehr neidisch, das gebe ich zu. Aber ohne den vorherigen Vorfall hätte ich es nie getan.

Josie setzte gerade an, um auf ihrer Geige ein Lied anzustimmen, als sie in sie hineinlief. Die Geige fiel zu Boden und das Holz splitterte, sodass sie unbrauchbar war.

Empört sah Josie sie an. „Sag mal! Geht's eigentlich noch?!"

Man sah Chloe Sanders an, dass das eigentlich gar nicht ihre Absicht gewesen war. Aber unsere Bravo-Pianistin war nicht unbedingt für ihre überschwänglichen Entschuldigungen bekannt, sondern eher durch ihre flinken Finger und ihre spitze Zunge.

„Naja", meinte sie abfällig. „Es war wohl das Beste für alle, dass du daran gehindert wirst, weiterhin Ohrenkrebs zu verteilen." Sie war eigentlich nicht so, das wusste ich. Ich kannte sie seit der Grundschule, sie war ein ziemlich nettes Mädchen. Sie hatte wohl einen schlechten, sehr schlechten Tag.

Und das sollte sie noch bereuen.

„Und du." Ihr Blick wechselte zu mir und ich zuckte zusammen. Ich hatte nicht erwartet, ins Gefecht gezogen zu werden und wenn, dann eigentlich von Josie, nicht Chloe. „Zu deinem Talent muss man ja gar nichts mehr sagen, da lachen alle drüber. Die Bühne gehört den Pianisten. Kommt klar."

Und mit diesen Worten hatte sie sich wieder an den großen Flügel gesetzt und eine wundervolle Melodie erklang, die uns fast hätte vergessen lassen, wie sie sich gerade noch aufgeführt hatte.

Aber eine Josie Baxter vergaß nie.

Sie hatte mir eine SMS geschrieben, ich solle so schnell wie möglich in den Musiksaal kommen und das tat ich, nur um sie dabei vorzufinden, wie sie eine helle, durchsichtige Masse auf das Klavier kleisterte.

Ich musste nicht fragen, was es war. Der Geruch kam mir bekannt vor. Hochprozentiger Wodka.

Und so musste ich auch nicht fragen, was sie vorhatte. Ich wünschte nur, wir hätten ihn trinken können, danach war mir damals nämlich mehr.

„Hilf mir", befahl sie. Und ich tat es. Schließlich hatte ich mit Chloe auch noch ein Hühnchen zu rupfen.

Der Musiksaal war prall gefüllt mit all unsren Lehrern, dem Direktor und dem Studienrat, für den das alles getan wurde. Als Chloe sich an den Flügel setzte, nickte Josie mir kurz zu. Sie roch es nicht, wir hatten den Wodkageruch mit feinem Parfüm überdeckt.

Als Hauptcheerleader musste ich am Ende von Chloes Stück eine Rede halten und darum kurz davor an ihr vorbei zu meinem Pult laufen. Da sollte unser Plan sich um die Tat umsetzen.

Josie hatte eine extra Kerze neben Chloe angebracht, damit es im verdunkelten Saal romantischer wurde und Chloe dennoch sehen konnte, was sie spielte.

Jedoch hatte Josie bei diesem Auftrag sich etwas anderes einfallen lassen: Statt einer normalen Kerze hatte sie eine besondere gekauft, die man nur kurz mit Wasser besprühen musste und schon schossen aus ihr kleine Flämmchen wie bei einer Silvesterwunderkerze. Ein schönes, kleines Schauspiel, wenn man wegließ, was wir damit vorhatten.

Das Publikum schien wie verzaubert von der schönen Melodie, die Chloe anscheinend mit geschlossenen Augen spielte und niemand achtete auf mich, die nach dem Zeichen des Rektors loslief und an Chloe vorbei. Mein kleines Sprühfläschchen erfüllte seinen Zweck.

Ihre Hände und das gesamte Klavier gingen in Flammen auf.

Chloe Sanders war gebrandmarkt für ihr Leben.


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heyy!
Ich bin momentan im Urlaub und hab so gut wie kein Internet!
Weshalb ich jetzt nur noch so circa einmal die Woche so viele Kapitel wie möglich hochlade!

Tut mir leid!:/

GoneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt