Kapitel 43: Schmutzige Angelegenheit

10 0 0
                                    


Geschmeidig wie Ninjas huschten wir durch die dunklen Gassen von Ravensky. Zumindest als sich meine Augen an die Dunkelheit gewohnt hatten: Davor war ich auf eine Katze getreten, gegen eine Hauswand gerannt und über eine Mülltonne gefallen, die mit mir krachend die Straße herunterrollte, bis Miles uns seufzend zum Anhalten brachte.

„Ich kann zwar nichts hören", hatte er mir zugeflüstert und mit den Augen gerollt. „Aber ich hab das Gefühl, du bist nicht sonderlich leise." Ich zuckte nur entschuldigend mit den Achseln und er half mir hoch.

Nun hatten wir es fast geschafft. Josies Haus war hell erleuchtet, es war also klar, dass der freundliche Herr zu Hause sein musste. Wir gingen näher heran, blieben dabei immer in der Dunkelheit und wichen jeglichem Licht aus.

Wir pirschten uns zur Haustür und sahen durch das kleine Fenster daneben. Auf dem Klo saß er schon mal nicht, das war sicher. Der Raum war dunkel und ziemlich eindeutig leer.

Er deutete mir an, mit ihm ums Haus zu laufen und ich folgte. Die Büsche strichen an meiner schwarzen Leggins vorbei und stachen Löcher hinein, was mich ziemlich ärgerte. Die wollte ich eigentlich nochmal anziehen.

Mein schwarzer, dicker Pulli schützte mich vor allem, was schon mal ein Vorteil war. Ich fühlte mich darin um einiges geborgener.

Unter einem weiteren Fenster, das ins Wohnzimmer zeigte, jedoch zu weit oben war, als dass wir einfach hineinschauen konnten, kamen wir zum Stehen. Er zeigte auf seine Schultern und kniete sich dann vor mir nieder.

Ich schluckte und setzte ich dann auf seine Schultern. Ohne zu Zögern erhob er sich, sodass ich fast hinten heruntergefallen wäre, aber ich schaffte es, mein Gleichgewicht zu halten und mich nach vorne zu lehnen. Dass ich dabei mit meinem Gesicht gegen die Fensterscheibe knallen würde, hätte ich damals nicht gedacht.

Es tat weh. Mir war es davor noch nie passiert, dass mein Gesicht auf einmal ein flacher Pfannkuchen wurde. Und vor allem war es laut.

„Alicia!", ermahnte Miles mich, ruhig zu sein, aber ich konnte ihn unter seiner Stimme lachen hören und trat ihm beleidigt gegen die Brust. „Guck rein!"

Ich verdrehte die Augen, äffte ihn tonlos nach und sah dann ins Fenster. Und ausgerechnet da, sah mir sein krankes, hochrotes Gesicht entgegen.

Schreiend stieß ich mich vom Fenster ab, wodurch auch Miles das Gleichgewicht verlor und wir beide nach hinten taumelten und im Rindenmulch des Gartens landeten.

Er rieb sich noch den Rücken, als ich schon wieder aufgesprungen war und energisch an seiner Hand zog. „Er hat mich gesehen! Er hat mich gesehen!"

Er sah auf. „Alicia. Ich bin taub." Ich rollte mit den Augen und wiederholte den Satz, während er mich genau anschaute.

„Ach so." Er zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Das hab ich mir denken können."

Ehe ich antworten konnte, hörte ich, wie die Haustür aufgerissen wurde und Duke einen lauten Kriegsschrei ausstieß. Das verwirrte „Was?" von Miles, der nur meinen Gesichtsausdruck sah, ignorierte ich und zog ihn hoch.

Ich rannte so schnell ich konnte und Miles begriff auch schnell, dass wir wegsollten. Wir schossen um eine dunkle Ecke herum und bogen dann noch einmal nach links, als es keinen anderen Ausweg zu geben schien. Von weiter weg hörte ich Dukes Schritte.

Ich schnappte nach Luft. Mein Herz raste. Der Typ hatte seine Freundin ins Krankenhaus geschlagen, gar nicht auszumalen, was er uns, Menschen zu denen er keine Beziehung hatte, antun würde.

Eine Sackgasse. Ich schüttelte heftig den Kopf. Er kam, das hörte ich. Es gab keinen Ausweg mehr.

„Er verfolgt uns?", riet Miles und ich konnte nur nicken und mich weiterhin panisch umsehen.

Klingeln? Wenn jemand da wäre, wäre die Zeit zu knapp, um noch ins Haus zu gelangen. Und wenn keiner da war, dann wars das. Game over.

Als ich noch innerlich am hyperventilieren war, schnappte Miles sanft meine Hand. „Hey, ich hätte da vielleicht eine Idee."



Ich hielte meinen Atem an. Zum einen, weil der Geruch hier drinnen nicht unbedingt angenehm war und zum anderen, weil ich Dukes laute Atemgeräusche durch die Wände hören konnte. Miles Arm lag ihm meine Schultern und er drückte mich an sich.

Fragend sah er mich an. Ich schüttelte nur den Kopf und legte einen Finger auf meinen Mund. Er nickte verstehen und strich mir sanft durch die Haare. Er musste wohl spüren, dass mein Herz kurz davor war, aus meiner Brust zu springen.

Ich erschrak, als unser Versteck von einem Tritt erschüttert wurde, konnte es aber verkneifen, einen verratenden Laut zu machen. Miles Blick war ernst, aber er wirkte gar nicht ängstlich. Eher zu allem entschlossen.

„ICH ZEIG EUCH ALLE AN!", hörte ich seinen Schrei, dann folgten Schritte in die andere Richtung. Der Alkohol hatte seinen Körper und Geist wohl mal wieder übernommen. Oder eher das, was davon noch übrig war. Wenn er jetzt zur Polizeistation ging, würden sie ihn dort festhalten. Das wäre perfekt.

Miles sah mich erneut an und ich nickte unsicher. Er stand auf und schob den Deckel etwas auf. Keine Spur von Duke.

„Tolle Idee", nuschelte ich, stand ebenfalls auf und zog mir eine Bananenschale aus den Haaren, die ich ihm demonstrierend vor die Füße warf. „Ich wollte heute sowieso nochmal duschen."

Er zuckte amüsiert mit den Schultern. „Wenn du lieber in Form einer blutigen Matsche hier drinnen gelandet wärst, hättest du es nur sagen müssen." Dann sprang er aus der großen, grünen Tonne, in der wir gesessen waren und hielt mir wie ein echter Kavalier die Hand hin. „Die feine Dame."
„Ach, Klappe", nuschelte ich so leise, dass nicht mal ich es hörte, aber der Herr war ja in der Lage, mir jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Er lachte auf und ich ergriff seine Hand und ließ mich von ihm hinausgeleiten.

Ich hörte das Aufbrummen des Motors und überlegte für eine Sekunde, ob wir ihn aufhalten sollten. Aber ich wollte das Schicksal nicht stören. Wenn er heute sterben würde, dann würde er heute sterben. Wir hatten anderes zu tun.

„Er ist weg. Mit dem Auto. Uns anzeigen."

Ein breites Grinsen machte sich auf Miles Gesicht breit. Dann griff er in meine Pullitasche und zog ein dünnes Seil heraus. „Na dann, legen wir los."

„Ach, eigentlich wollt ich noch ein bisschen in unserer Wohnung chillen", meinte ich zwinkernd, während ich auf den Mülleimer deutete, aus dem gerade jetzt eine fette, schwarze Ratte kroch und uns dumm anglotzte.

Erschrocken quietschte ich auf und umklammerte reflexartig Miles Arm. „Lass uns gehen." Dann zog ich den laut lachenden Miles um die Ecke zum Fenster des Büros.

„Verdammt, es ist verschlossen." Er dachte kurz nach. „Aber das Klofenster war gekippt."
Ich seufzte. Na toll. „Worauf warten wir dann noch?"

Er lächelte mich aufmunternd an und hielt mir das Seil hin, während wir die Steinstufen zur Haustür wieder hinaufgingen. Ich lehnte mich rechts, wäre aber fast in die Hecken darunter gefallen.

Seine Arme schlangen sich um meine Hüften und ich starrte ihn geschockt an. Er verdrehte nur die Augen. „Mach du deinen Job, ich sorg dafür, dass du keinen Abgang machst."

Ich nickte und begann konzentriert, meinen Arm durch die kleine Öffnung zu schieben. Es war gar nicht so einfach, einen festen Knoten um den glitschigen Fenstergriff zu machen, aber nach gefühlten 10 Anläufen war er fest und ich zog daran.

Das Fenster ging zu, wie es Kevin prophezeit hatte. Miles fasste nun auch mit an und gemeinsam zogen wir solange, bis der Griff die richtige Position hatte und das Fenster aufsprang.

Die erste Hürde war geschafft.


GoneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt