Nachdem wir einige Zeit bewegungslos verharrt waren, sprang Chad mit einer Plötzlichkeit auf, die uns erschreckte. Er marschierte direkt auf die Tür zu, als wäre er selbst hier zu Hause.
„Chad!", fauchte ich panisch. „Pass doch auf! Was machst du denn?!"
Er stieß die Tür leicht an, die sich sofort öffnete. Er grinste breit. „Sie hat nicht richtig zugemacht...."
Ich schüttelte rasch den Kopf. „Das können wir nicht bringen. Was, wenn sie uns erwischen! Das ist illegal!"
Er zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Geheime Sektentreffen doch auch. Sie sind im Keller, sie hat ja selbst „Unten" gesagt. Sie entdecken uns schon nicht und wenn, auch egal. Wir müssen alles, was in unserer Macht steht tun, um Josie zu finden."
Ich zuckte leicht zusammen, als er das sagte. Er hatte also doch denselben Verdacht wie ich. Ich erhob mich ebenfalls und lief unsicher auf ihn zu, Savannah tapste mir mit kleinen Schritten hinterher. Auch sie schien das nicht unbedingt für die beste Idee zu halten, aber sie sagte nichts dazu.
Der Flur war elegant eingerichtet. Verzierte, alte Vasen auf hölzernen Tischchen und die Fenster waren verdeckt von lila Seidenvorhängen, die wohl mehr kosteten, als das Auto meiner Eltern. Egal, wie schön hier alles war, die vielen Bilder von berühmten Pianisten an der Wand, eingerahmte Noten und einige Pokale und Auszeichnungen, fehlte mir doch etwas. Und zwar die Bilder der Familie. Die Nötige Menschlichkeit dieses Hauses fehlte.
Ehe ich mich versah, standen wir auch schon vor der Kellertreppe, auf der dick „Chloes Künstlerzimmer" stand, was jedoch mehrmals durchgestrichen worden war. Chad sah mich prüfend an und ich nickte langsam, wagte es nicht, ein einziges Wort zu sagen.
„Das gilt schon als Einbruch." Savannah sprach leise. Sehr leise. Sie verschluckte das Ende jedes Wortes, aber wir verstanden sie schon und sowohl Chad als auch mir war das nicht geheuer, hier rumzuschleichen.
Du wirst jetzt nicht wieder umdrehen. Es geht hier um Josie, machte ich mir selbst etwas Mut und drückte vorsichtig die Türklinke hinunter. Das leichte Quietschen, als die Tür sich öffnete, reichte, dass wir alle erstarrten. Hatten sie uns gehört? Stürmten sie gleich hoch?
Ich seufzte erleichtert, als sich nichts bewegte. Ich konnte Chloes Stimme hören, aber nur unterdrückt. Sie schienen sich in einem geschlossenen Raum zu befinden.
Chad schluckte und ich merkte gleich, wieso. Unter uns befand sich eine Holztreppe, die nicht sonderlich begehbar wirkte.
Ich machte einen Schritt auf die erste Stufe, die sofort verächtlich krachte. Chad zog mich augenblicklich davon runter und Savannah schüttelte verzweifelt den Kopf. So würde es nicht funktionieren.
Von unten ertönte ein „Hallo? Ist da jemand?" von Chloe. Als niemand antwortete, hörten wir, wie sich die Tür unten wieder schloss und atmeten gleichzeitig auf.
„Na toll. Wir schaffen es sicher nicht die ganze Treppe hinunter, ohne entdeckt zu werden", meinte Savannah lustlos und schnappte sich meine Hand. Sie wollte mich mitziehen, aber Chad hielt meine andere Hand fest.
„Vielleicht doch", meinte er breit grinsend. Savannah und ich sahen uns ratlos an, aber er schien sich sicher zu sein.
„Das ist doch komplett verrückt", beschwerte sich Savannah, die auf dem Treppengeländer lag und sich mit beiden Händen daran festkrallte. „Wehe ich hab am Ende irgendwo einen Spreißel, Fallon, das wirst du bereuen."
Sein Grinsen wurde nur noch breiter, dann gab er ihr einen Schubs und sie rutschte ruckartig hinunter, wo sie sanft auf dem Boden landete. Tatschlich lautlos. Das lauteste an der Aktion war wohl ihr Protest dagegen gewesen.
Er zwinkerte mir zu und ich setzte mich ebenfalls grinsend darauf und rutschte runter. Ich musste mich dagegen wehren, nicht zu lachen. Die ganze Situation kam mir einfach so komisch vor.
Ich landete unversehrt neben Savannah und gleich darauf war Chad auch wieder bei uns.
„Fragt sich nur, wie wir wieder hochkommen sollen", gab Savannah zu bedenken. Sie hatte Recht. Wir könnten rennen, aber dann wüssten die anderen, dass sie beobachtet wurden und Miles konnte 1 und 1 zusammenrechnen, auch wenn er selbst die Schritte nicht hörte. Da war ich mir sicher.
Wir folgten den unterdrückten Stimmen bis zu einer Tür, hinter der sie sich befinden mussten. Ich konnte Chloes Stimme hören, die aufgeregt sprach.
Ich verstand nicht viel, aber weitaus genug. Die Worte „Rache", „Hass" und „Josie" konnte man einfach in einen Kontext bringen.
Auch Chad schien das zu denken, denn er hatte schnell meine Hand geschnappt und sie fest gedrückt. Ich drückte kurz zurück, um ihm zu zeigen, dass ich es auch bemerkt hatte.
Savannah drückte ihren Kopf leicht gegen die Tür und ihre Augen vergrößerten sich auf einmal. Sie bedeutete uns, mit einer Handbewegung, uns auch anzulehnen und zu lauschen und wir taten das.
„Wir lassen sie nicht einfach damit durchkommen." Das war eindeutig Nora. In meinem Kopf sah ich, wie sie mit ihrer kurzen Haarsträhne spielte. „Sie müssen spüren, was wir durchgemacht haben."
„Das sehe ich genauso. Aber nein. Stattdessen laufen sie glücklich durch die Schule, als wären sie die reinsten Engel. Sie geht mir so auf die Nerven", redete Chloe weiter. Der Hass in ihrer Stimme war verständlich, dennoch verletzte er mich innerlich.
„Dann sollten die Nightmares endlich starten. Ich bin mir sicher, dass unser Plan aufgeht" Ich erkannte diese geschädigte Stimme. Die gehörte eindeutig zu Dillon Evans. Niemand erinnerte mich sonst so stark an einen von Cholera befallenen Truthahn.
„Die Nightmares", wiederholte ich es so leise ich konnte wie ein Mantra. Was sollte das bitte bedeuten?
„Dillon", seufzte Nora leise. „Wir oft haben wir dir gesagt, dass wir diesen dämlichen Namen nicht übernehmen." Savannah und ich mussten ein Kichern unterdrücken und Chad stupste uns an.
Ein trauriges „Och Mann, so macht das doch keinen Spaß." von Dillon folgte, was jedoch von keinem der Anwesenden mehr beachtet wurde.
„Sie hat ihren Freund nicht mehr. Diesen Daniel. Zumindest fürs Erste." Chloes Stimme hatte einen seltsamen Unterton, während sie das sagte. Ich wusste jedoch nicht, wie ich das deuten sollte. „Vielleicht sollten wir mit ihm anfangen. Desozialisation. Wir hatten ja schon mal darüber geredet."
Chad und Savannah sahen mich an, aber das mussten sie nicht. Mir war schon lange klar, dass es um mich ging.
„Wir lassen sie bezahlen",kicherte Nora begeistert. Ich schluckte.
„Josie ist ja sowieso schon aus dem Weg geräumt." Mein Herz blieb stehen, als ich seine Stimme das sagen hörte. „Wir können uns voll und ganz auf Alicia konzentrieren."
Ich sog scharf Luft ein und musste mich anstrengen, damit ich nicht anfing, zu weinen. Wie konnte er sowas nur sagen?
Mein Vertrauen in Miles löste sich in Luft auf und ich begann, laut zu schluchzen.
Großer Fehler, wenn man bedachte, dass sofort ein Stuhl drinnen umflog und sich Schritte auf die Tür zubewegten.
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Gone
Mystery / ThrillerAls ihre beste Freundin Josie verschwindet, kann Alicia gar nicht anders. Sie beginnt sofort mit den Nachforschungen. Zusammen mit ihrer Freundin Savannah und einem seltsamen Jungen namens Miles stößt sie auf Geheimnisse, die sie nie erwartet hätte...