Kapitel 36: Rabenschwarz

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Eine Weile tappten wir nur schweigend nebeneinander her und ich fragte mich, was er wohl gerade dachte, während er nur stur den Bürgersteig, über den wir schritten, anvisierte.

Es dämmerte und die Straßen wirkten fast romantisch, wären da nicht die gespenstischen Krähen, die laut krächzend an uns vorbeizogen und ständig auf einem Dach in unsere Nähe Platz nahmen.

Als hätte sie jemand geschickt, um uns auszuspionieren. Kleine, schwarze Todesvögel, die

jeden unserer Schritte kontrollierten und protokollierten.

„Wie lange wusstest du es schon?", durchbrach ich irgendwann notgedrungen die Stille, weil es mir langsam unheimlich wurde. Meine Stimme klang gebrochen und unnatürlich.

Er räusperte sich leise. „Nicht lange. Ein, zwei Tage. Wir hatten keinen Kontakt und..." Er nahm tief Luft. „Ich weiß zwar nicht wieso, aber ich habe ja mitbekommen, was du von der Polizei hältst, deshalb dachte ich, es wäre nicht wichtig."
„Es ist aber wichtig. Es geht hier um Josie." Ich begann, zu frösteln. Der Sommer war noch nicht ganz zu uns durchgedrungen und auch wenn wir nur noch circa 2 Wochen Schule hatten, hatte ich nicht das Gefühl, er würde bald kommen. Seit Josie weg war herrschte für mich tiefste Eiszeit.

Sein Blick fuhr über meinen Rock, als ich nichts erwiderte, und ich zog diesen versucht unauffällig weiter nach unten. Er sah schnell wieder weg und ich errötete leicht. Na toll, zwei Minuten mit ihm alleine und schon sowas.

„Was hast du bei meinem Vater gemacht?", fragte er mit ruhiger Stimme.

„Ich wusste nicht, dass er dein Vater ist. Wirklich", entschuldigte ich mich vorab und zog dann den Ausweis aus meiner Tasche. „Ich wollte Informationen über Kind X." Ich hielt erschrocken an. „Verdammt!"

Verwirrt blickte er mich an. „Alles in Ordnung?"

Ich schüttelte energisch den Kopf und bewegte mich nicht von der Stelle. „Ich hab doch tatsächlich nicht einmal den Namen herausbekommen!"

Miles unterdrückte ein Lachen. „Oh." Er prustete leicht und erntete dafür einen bösen Blick von mir. „Tut mir leid, Alicia. Das ist natürlich...unpraktisch."

Seufzend ließ ich mich auf den Bürgersteig sinken. Momentan fuhr sowieso weit und breit kein Auto. Das Viertel schien wie ausgestorben. Nirgends bewegte sich auch nur ein Blatt. Von Menschen wollte ich gar nicht anfangen. „Selbst das versau ich."

Er setzte sich langsam neben mich. „Hey...", meinte er mit aufmunternder Stimme. „Für was brauchst du denn einen Namen?"

Ich zuckte mit den Schultern. Er nahm es aus den Augenwinkeln war.

„Wieso redest du überhaupt mit mir?" Meine Frage war klar und deutlich, aber er starrte stattdessen eine Laterne an. Energisch tippte ich auf seiner Schulter herum, bis er langsam den Kopf zu mir drehte.

„Warum redest du mit mir?", wiederholte ich mit ruhigen Lippenbewegungen und wurde nervös, als seine Augen auf meine Lippen fielen. Er musste das tun, das war mir klar, aber ich konnte es nicht zurückhalten.

„Ich...ich hab doch gesagt, ich will dich beschützen", nuschelte er. „Und das geht eigentlich am besten, wenn ich mich mit diesen Freaks von dir fernhalte. Und nachdem, was du getan hast..." Er sah mir direkt in die Augen. Ich konnte nicht wegschauen, war wie gefesselt von ihm. „Ich will nicht, dass dir etwas passiert."

Ich wandte leicht meinen Kopf ab und sah zur Straße. Eine Katze, das erste Lebenszeichen seit langem, huschte an uns vorbei durch einen alten, heruntergekommenen Gartenzaun. Meine Augen suchten ihn ab. Morsches Holz, halb auseinandergebrochen, viele umgeworfene Zaunteile. Das Haus dahinter stand wohl auch schon lange leer. Es thronte in der Dunkelheit wie ein Ritter auf schwarzem Rosse und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken.

Irgendetwas an diesem Zaun machte mich stutzig. Ich stand auf und ohne weiteres zu sagen, bewegte ich mich darauf zu. Eine Zeichnung. Eine weiße Zeichnung, von etwas, das mir sehr bekannt vorkam.

„Baghoo", wisperte ich, während ich in die dunklen, gefährlichen Augen starrte und darauf wartete, das er aus dem Bild kroch und mich packte.

Eine Hand packte mich tatsächlich. Nur auf die Schulter. Mit einem Aufschrei drehte ich mich um.

„Alles...Okay?" Miles war sich nicht sicher, wie er nun reagieren sollte. Auch er betrachtete die Zeichnung, schien aber keine Ahnung zu haben, was das sein sollte.

„Merk dir die Straße", befahl ich und packte seinen Arm. „Wir gehen jetzt zum alten Spielplatz."



„Was zum..." Miles, der sich die ganze Zeit über lautstark beschwert hatte, was wir denn dort wollten und beleidigt war, als ich nicht antwortete, schien mehr als überrascht über den Zustand des Turms. Und noch überraschter, als er meinen und seinen Namen las. „Das ist irgendwie...verstörend."

Er konnte die Augen gar nicht von den Wänden lassen. Ständig suchte er sie nach Neuem ab und anscheinend fand er immer wieder etwas, was ihn faszinierte oder abschreckte. Er drehte sich zu mir um. „Warum hast du nichts gesagt?"

Meine Hände fühlten die dunkle Ecke ab, in der Chad die Kamera platziert hatte. Ich spürte etwas Festes, Kaltes. Und zog daran. Die Kamera schien heil. Und sie lief sogar noch. „Wir hatten keinen Kontakt." Ich zwinkerte ihm zu. „Und...oh...warte. Du hast mir das mit Josies Fall auch nicht gesagt, du bist nicht in der Position, dich zu beschweren."

Darauf sagte er nichts mehr, sondern sah sich die Kamera an. „Ihr habt aufgenommen?" Ich nickte.

Dann öffnete ich eine Klappe, damit wir auf den Bildschirm blicken konnten, der nun hell auf flimmerte. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie in der Zwischenzeit hier waren", murmelte ich, mehr zu mir selbst als zu ihm. Er war viel zu sehr auf den Bildschirm bedacht, als auf meine Lippen.

Der Film begann. Zuerst sah man mich und Chad, wie wir die Kamera befestigten und redeten. Ich begann, vorzuspuhlen. Es dauerte nicht lange, da betrat eine weitere Person den Turm. Diese trug leider eine Art Kartoffelsack mit schiefem, aufgesticktem Grinsen über dem Gesicht und schien etwas zu suchen. Sie gelangte schließlich auch zur Kamera.

Ich hielte die Luft an, als sie sie zurücksteckte und wegging.

„Hat er was gesagt?", hörte ich Miles fragen. Ich schüttelte nur den Kopf, wobei ich leicht gegen seine Stirn stieß. Er sah auf und rückte ein kleines Stück weg.

Erneut verschnellerte ich das Video, bis zu dem Zeitpunkt, an dem 3 Gestalten, alle verhüllt, die Szenerie betraten und sich direkt vor die Kamera setzten.

„Alicia Hayes", ertönte eine tiefe Stimme. Sie benutzten offensichtlich Verzerrungen, um sich unkenntlich zu machen. Verdammt. „Und Chad Fallon. Wir finden es sehr amüsant, wieviel Mühe ihr euch doch gebt."
„Unsere Mission ist streng geheim." Mission? „Glaubt ihr, wir wären so dumm?"

„Was sagen die? Was sagen die?", fragte Miles mich aufgebracht und ich bedeutete ihm mit einer Handbewegung zu warten.

„Während ihr euch noch diese Nachricht anseht, haben wir ziemlich viel erreicht. Die Turnhalle eurer Schule war der perfekte Ort."

„Möge der Baghoo euch verlassen."

Sie verließen den Raum wieder. Ich erklärte Miles alles, was sie gesagt hatten.

„Ich würde sagen, wir schauen mal in die Turnhalle. Das leere Haus kann warten", schlug er vor.

Er hatte Recht. Das war wichtiger. Aber ich hatte ein unwohles Gefühl.

Alswären wir zwei Mäuschen, die blind in eine Falle schlenderten.

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