Kapitel 55: Luke Skywalker

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Als wir das Wohnzimmer und die breite Diele gemeinsam betraten, wurden wir erneut überrascht.

Wo bis jetzt noch eine tanzende Menschenmenge gegrölt und gehüpft hatte, lagen nun schläfrige Gestalten aufeinander und bewegten sich so wenig wie möglich. Ganz hinten in einer Ecke schlummerte die Gastgeberin friedlich und ahnungslos.

„Der Punsch", fiel es Natascha und mir gleichzeitig ein, woraufhin wir uns breit angrinsten. Wir hätten eine Detektei aufmachen sollen.

„Sollen wir die Musik ausstellen?", fragte Dillon. „Dann können wir die ganzen Schritte hier besser wahrnehmen."

Er hatte einerseits Recht, aber wir würden dadurch auch ziemlich auf uns aufmerksam machen und das war momentan das Letzte, was wir eigentlich wollten. Ich schüttelte nur den Kopf und blickte durch die Menschen.

Ich sah zwar Maricas dicke Freundin, Lana, oder wie sie auch hieß, aber die beiden Turteltäubchen waren nicht in Sicht. Miles hatte sich nicht einschläfern lassen.

Ich sah kurz auf mein Handy, nur um zu sehen, dass es auch hier keinen Empfang gab und sich wohl jemand am Mast draußen zu schaffen gemacht hatte, denn Tessa war in der Lage gewesen, mir problemlos zu texten.

„Was sollen wir jetzt machen?" Natascha blickte ratlos durch den Raum. Zu gerne hätte ich einen Plan gehabt, aber mein Kopf wirkte vollkommen ausgeleert.

„Nora holen", meinte Dillon mit einer Sicherheit, die ich beneidete. „Und dann suchen wir Chloe und verschwinden."
„Klar, du denkst wieder nur an deine Freunde", zischelte Natascha ihn böse an. „Chad und Savannah sind auch noch hier! Und sie stehen auf der..."

„Liste." So cool er es auch hatte sagen wollen, seine Stimmbänder hatten ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihn klingen lassen, wie ein soeben kastriertes Eichhörnchen. Ich bekam dafür einen bösen Blick ab. „Wie oft noch?"

„Du nimmst das gar nicht ernst", knurrte Natascha. „Du nimmst nichts ernst."

Er zuckte mit den Schultern. „Mir egal, was ihr macht. Ich gehe sie jetzt suchen."

Und schon schritt er von uns weg und Natascha ballte ihre Hand zu einer Faust. Ich wartete nur darauf, dass sie begann, ihn anzuschreien, aber sie tat es nicht.

Und sie hielt ihn auch nicht schreiend, weinend und flehend auf, wie er es wohl auch erwartet hätte. Sie ließ ihn einfach gehen. Und ich fragte mich, ob ich das je mit Miles könnte.

„Er ist ein Idiot." Mehr sagte sie nicht, während wir uns durch die Gänge des Hauses tasteten, die immer noch stockdunkel waren. Ich hielt ihre eine Hand und Elijah die andere. Uns war wohl allen etwas unwohl zu Mute, vor allem, als wir über krachende Dielen liefen und jedes Mal, wenn sie ein Geräusch machten, zusammenzuckten.

„Was genau suchen wir denn?", fragte Natascha unsicher, nachdem ich gefühlt 100 Türen aufgestoßen und nur leere Räume vorgefunden hatte.

„Leben", antwortete ich und ging stur weiter. Wo waren die beiden nur? Sie konnten sich schlecht in Luft auflösen. Zumindest bei Chads Ego würde das Ewigkeiten dauern.

Elijah hinter uns wirkte mehr tot als lebendig, wie er so vor sich hin stolperte, weder nach rechts oder links, noch nach unten, sah und kein Wort sagte. Nur ab und zu atmete er etwas lauter auf, was uns bestätigte, dass er noch unter uns weilte.

Ich stieß die letzte Tür des Flures auf, nicht in der Erwartung, irgendetwas zu finden, und es war wirklich nichts, aber auch gar nichts, zu sehen. Ein leerer Raum, ohne Bilder an der Wand oder auch nur einem einzelnen Möbelstück, wie sich mindestens eines in den anderen Räumen befunden hatte.

Ein einziger Teppichboden ersteckte sich über den kompletten Raum und wirkte abgenutzt. Das dunkle grün war wohl irgendwann beige gewesen, zumindest hatte ich das Gefühl.

„Niemand." Natascha stieß laut Luft aus. Ihr Gesicht wurde immer blasser und sie atmete stark. Ich wusste, dass es ihr nicht gut ging. Ich wusste aber auch, dass sie sich noch schlechter fühlen würde, wenn ich sie darauf ansprach und so legte ich nur meinen Arm um ihre Schulter und drückte sie fest.

Elijah lehnte sich an den Türrahmen und starrte die Decke an, von der eine einzelne Glühbirne herabbaumelte und sich wie von Geisterhand hin und her bewegte und mich etwas verängstigte. Das Mondlicht erhellte den Raum so gut, dass wir Details erkannt hätten, hätte der Raum denn welche gehabt.

„Und jetzt?", fragte ich, mehr belanglos in den Raum hinein, als wirklich an jemanden gerichtet. „Was sollen wir tun?"

„Ich habe Angst", brachte Natascha keuchend hervor und drückte sich enger an mich.

Ich nickte. „Ich auch." Ich seufzte leise. „Aber wir dürfen uns von denen nicht unterkriegen lassen. Sie haben Daniel auf dem Gewissen."

„Geht es dir da wirklich um Daniel?" Ihre blauen Augen wirkten fast durchsichtig und sie war fast nicht in der Lage, sie offen zu halten. „Geht es dir nicht darum, dich irgendwie zu beweisen?"

Vielleich hatte sie Recht. Vielleicht wollte ich zeigen, dass ich nicht die Böse in unserer Stadt war. Dass ich nicht der böse Wolf war, den alle fürchten mussten. Dass ich auch der Held sein wollte. Aber das hätte ich nie zugegeben. „Nein. Ich will nur nicht, dass noch mehr unter ihnen leiden müssen."

Bevor Natascha etwas erwidern konnte, rutschte Elijah neben uns auf den Boden und krabbelte durch den Raum, bis er ungefähr die Mitte erreicht hatte, wo er sich dann seltsam ausstreckte. Natascha und ich beobachteten ihn jeweils mit offenen Mündern und nach oben gezogenen Augenbrauen.

So schnell wie es angefangen hatte, hörte es auch wieder auf und Elijah sprang aufgeregt auf, hüpfte auf der Stelle und deutete mit einem Finger auf den Boden, als befände sich darunter das versunkene Atlantis. Oder zumindest ein 20-Euro-Schein.

Wir reagierten nicht und er wurde immer aufgeregter und begann erneut, verschiedenste Wörter herauszupressen und zu stottern wie ein Weltmeister. „D-d-d-d-d-d-d...d-d-d-d-da....d-d-d-d-da....i-i-i-i-is-is-iii...."

„Wir haben es kapiert, Elijah. Du bist eine menschliche Beatbox und das machst du wirklich super, aber ehrlich gesagt...", fing ich an, kam aber nicht weiter, denn schon kam er zurückgestürmt, zog wie ein kleines Kind an meiner Hand, bis ich mich erweichen und mitziehen ließ, wo er mich auf den Boden drückte und meine Hand dazu brachte, über den Boden zu fahren.

Ich spürte tatsächlich etwas, was mir zuvor nicht aufgefallen wäre. Ein leichter Höhenunterschied, nicht groß, aber stark genug, um ihn zu erfühlen. Unter uns musste sich eine Luke befinden. „Wir müssen den Teppichboden wegschaffen!", rief ich Natascha zu.

„Was?" Sie kam zu uns. „Was ist denn da?" Auch sie fuhr über die Stelle und riss die Augen auf. „Wie konntest du das sehen, Elijah?"

Elijah grinste nur geschmeichelt und rückte seine Brille zurecht, was uns wohl als Antwort reichen musste, denn mehr würden wir sowieso nicht bekommen. Gemeinsam zogen wir an einer Ecke des Zimmers, wo der Teppichboden schon etwas ausgefranst und veraltet war, sogar ein wenig angekokelt wirkte, und in der Tat ließ er sich leicht zum anderen Zimmerende ziehen und ein einfacher Holzboden mit circa 1 Meter breiter Luke kam zum Vorschein.

„Daskann ja heiter werden", flüsterte Natascha mir zu, während Elijah sich daranversuchte, die Luke zu öffnen.

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