Die Dunkelheit der Nacht umrahmte uns gespenstisch, als wir gegen 5 Uhr den Gebäudekomplex verließen und in Richtung des Waldes gingen, der sich wie ein Ungeheuer vor uns aufbaute.
Miles konnte dort unmöglich warten. Er war nicht in der Lage, sich durch die Geräusche zu verorten. Er hätte keine Chance.
Ich drückte Kellys Hand so fest, dass sie ein paar Mal versuchte, diese zu lockern, weil ich ihr wohl wehtat. Jedoch hatte ich zu große Angst, das Ganze könnte wieder schiefgehen und wollte sie so nah bei mir, wie es nur ging.
Zu meiner Rechten war Damon, der seinen Besitzern mit gesenktem Schwanz folgte, ohne einmal aufzublicken. Simon und Hub liefen vor und unterhielten sich laut über irgendetwas, was mit Termiten zu tun hatte.
Zur Sicherheit hatten sie ein Seil um Kellys Hals gelegt und zogen sie hinterher, als sei sie ein Hund.
„Was ist nun mit deinem Freund?", fragte Kelly so leise sie konnte, als wir kurz davor waren das Gelände durch das große Tor verlassen. Vorsichtig sah sie sich um. „Ich sehe niemanden. Kommt er in den Wald?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was sein Plan ist." Ich zog langsam mein Handy aus Damons Halsband, während Hub und Simon noch in ihre Diskussion verwickelt waren.
5 Nachrichten.
Daniel und Miles.
Ich klickte sofort auf die von Miles und runzelte die Stirn. Die letzte Nachricht von ihm hatte ich vor zwei Minuten erhalten. Süßes Oberteil. Ich sah an mir herab. Ich trug ein Glitzertop, das Simon mir angedreht hatte. Ein Lächeln fuhr über mein Gesicht.
Nun wollte ich aber doch wissen, wo er steckte. Auf dem Gelände? Doch schon im Wald?
Ich steckte mein Handy gerade noch weg, bevor sich Hub umdrehte und uns genau ansah.
„Wir verlassen nun das Gelände", erklärte er mit ernster Stimme. „Ab jetzt weicht ihr beiden mir nicht mehr von der Seite. Verstanden?"
Kelly ließ meine Hand los und rannte mit gesenktem Kopf vor zu ihm. Ich im Gegensatz blieb stehen und biss mir auf die Lippe. Ich wusste, dass mich kein Entführer sondern Miles erwarten würde. Dennoch machte ich mir Sorgen. Er konnte nicht einmal hören, wie sollte er uns retten?
Simon kam zurück zu mir und packte meinen Arm. „Komm schon. Wir haben genauso wenig Lust auf dich, wie du auf uns, also mach es uns nicht so schwer." Er zog mich vor zu Kelly und Hub, die geduldig warteten. Gemeinsam gingen wir auf das offene Metalltor zu, das nur noch wenige Meter von uns entfernt war.
Ein lautes Piepsen brachte uns zum Stoppen und mit großen Augen sahen Hub und Simon dabei zu, wie sich das Tor langsam schloss und den Ausgang versperrte.
„Simon!", schimpfte Hub und schnappte Simon eine kleine Fernbedienung aus der Hand. „Nicht einmal das kannst du!" Genervt begann er, ein paar Knöpfe zu drücken.
„Ich hab nicht mal was gemacht!", beschwerte sich Simon und beobachtete, wie das Tor sich wieder öffnete.
„So macht man das", meinte Hub selbstzufrieden, steckte die Fernbedienung ein und bewegte sich mit Kelly auf das Tor zu, das sich augenblicklich wieder schloss. „Was zum?"
Ich kicherte leise und Simon sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, sagte aber nichts, sondern schnappte sich wieder die Fernbedienung. „Die muss doch kaputt sein", maulte er und öffnete das Batteriefach am hinteren Teil. Dann quietschte er auf und streckte es Hub hin. Es waren keine Batterien darin.
Hub riss die Augen auf. „D-das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen!"
Kelly warf mir einen Blick zu und ich lächelte sie aufmunternd an. Ich wusste, was hier passierte.
Mit einem Mal war das Gebäude hell erleuchtet und Simon und Hub schnappten gleichzeitig nach Luft. Simon ließ mich los und rannte hin. Er öffnete die Tür und verschwand. Dann gingen alle Lichter aus.
„Ich hab die Sicherung rausgenommen", erklärte er stolz, als er wieder herauskam. „Sonst würden wir gleich entdeckt. Frag mich, welche Störung das ausgelöst hat."
„Simon! Pass auf!", schrie Hub panisch und nun fiel auch mir auf, dass hinter Simon ein leerer Gabelstapler angefahren kam. Dieser konnte gerade noch ausweichen. Sein Gesicht wurde blass und er rannte zu uns.
In diesem Moment gingen die Lichter im Haus wieder an und begannen hell zu flackern. Ich musste mein Lachen unterdrücken und versuchte deshalb, den entgeisterten Blicken der beiden auszuweichen.
Eine Sirene ging an und war so laut, dass wir uns alle die Ohren zuhielten.
„Was zur Hölle passiert hier?", schrie Hub gegen den Lärm an. „Mach das aus Simon!"„Das sind Geister!", kreischte Simon ängstlich, als die Rollläden begannen, sich selbst zu öffnen und zu schließen. „Wir müssen hier irgendwie weg!"
Mit einem Mal war der ganze Platz hell erleuchtet und da sah ich ihn. Miles saß auf einem großen Pfosten, der den Zaun erhielt. Auf seinem Schoß sein Laptop. Er grinste uns breit an. „Na? Schon genug?", rief er Simon und Hub zu, die ihn erschrocken anstarrten. „Oder wollt ihr noch mehr?"
„Wir bringen ihn um!", schrie Hub erbost und zog zu meinem Erschrecken eine kleine Handfeuerwaffe aus der Tasche.
Miles grinste nur. Bevor Hub sich überhaupt bewegen konnte, gingen wieder alle Lichter aus und der Gabelstapler kam mit hellen Scheinwerfen auf ihn zugerast. Er konnte nicht mehr ausweichen. Beim Aufprall flog die Waffe weg und schlitterte zur Seite in die Dunkelheit. Ich konnte sie nicht mehr sehen.
Wild tobend stand Hub wieder auf und drehte sich mehrmals um sich selbst, um die Waffe zu finden.
Die Lichter gingen wieder an und Miles stand circa fünf Meter von uns entfernt. In der einen Hand seinen Laptop, in der anderen die Waffe, die er zielsicher auf Hub richtete. Sein breites Grinsen verschwand nicht für eine Sekunde von seinem Gesicht.
Er setzte sich auf den Boden, die Waffe immer noch auf Hub gerichtet und tippte eine Zahlenkombination in den Laptop. „Die Polizei wird in circa 5 Minuten hier sein", erklärte er ganz ruhig. „Ihr könnt jetzt entweder versuchen zu entkommen oder kooperiert. Was für eure Strafe besser ist, werdet ihr euch wohl selbst denken können."
Über Simons Gesicht huschte ein hämisches Lächeln, was mich verunsicherte. Binnen weniger Sekunden hatte er seinen rechten Arm um Kelly Schulter gepresst und hielt ihr mit er anderen ein Messer um die Kehle. „Oder du öffnest jetzt das Tor, wenn du nicht willst, dass sie stirbt."
Miles biss sich auf die Lippe. „Gut, okay. Ich kann es nicht öffnen, nur entsperren, mehr lässt das System nicht zu." Er senkte beschämt den Kopf und gab etwas in den Laptop ein. „Es ist offen, ihr müsste es nur zur Seite schieben."
Simon machte eine Kopfbewegung und bedeutete Hub, er sollte es öffnen. Seinen Arm drücke er fester gegen ihren Hals. Ich biss mir in die Wange. Irgendetwas musste ich tun. Ich konnte nicht dabei zusehen, wie sie mit Kelly in die Nacht verschwanden.
Hub bewegte sich auf das Tor zu und streckte den Arm aus. Kaum hatte er das Tor berührt, zuckte sein Körper seltsam und er fiel bewegungslos um. Da war Strom auf dem Tor. Das war Miles Hintergedanke gewesen.
Geschockte schrie Simon aus und sah zu, wie Hubs Körper auf dem Boden aufprallte. Das nutzte ich aus. Ohne nachzudenken rannte ich auf ihn zu und sprang mit voller Wucht gegen ihn. Überrascht verlor er das Gleichgewicht und kippte samt mir nach hinten. Ich drückte Kelly weg, die einige Meter zurückstolperte und anschließend hinter Miles kauerte.
Ich war schneller wieder auf den Beinen als Simon und wollte zurück zu Miles, als Simons knochige Finger sich fest um meinen rechten Unterschenkel krallten und mich zurückzerrten. Sein Messer schnitt in meine Haut und mir entfuhr ein Schrei. Bevor ich reagieren konnte, hörte ich ein lautes Bellen und Damon stürmte auf uns zu.
Ängstlich schloss ich die Augen und wartete auf einen tödlichen Biss, aber er stürzte sich stattdessen auf Simon und biss ihm fest in den Hals, bis dieser nur röchelnd auf dem Boden lag.
Das war der Moment, indem die Polizei dann endlich ankam.
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Gone
Mystery / ThrillerAls ihre beste Freundin Josie verschwindet, kann Alicia gar nicht anders. Sie beginnt sofort mit den Nachforschungen. Zusammen mit ihrer Freundin Savannah und einem seltsamen Jungen namens Miles stößt sie auf Geheimnisse, die sie nie erwartet hätte...