Kapitel 64: Ein Engel lernt fliegen

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Eigentlich hätte es zu schön sein können: Die Ferien hatten begonnen, das Wetter war super, meine Familie war mit sich ins Reine gekommen, die Freaks hassten mich nicht mehr und mit Miles hätte mein Freund werden können.

Aber meine beste Freundin war immer noch verschwunden. Wenigstens hatten wir mehr Zeit, nachzuforschen, mit diesem Gedanken, erhielt ich meine Motivation einigermaßen am Leben, aber eigentlich wollte ich nur im Bett liegen und Trübsal blasen.

Meine Mutter wusste nichts von der gestrigen Nacht, auch Kelly oder Theo nicht. Ich wollte sie nicht unnötig belasten, zumal die Geschichte von Kellys Rettung aufwirbelnd genug gewesen war. Wenn sie nun noch erfuhren, dass ich auf einer, vermeintlich harmlosen, Party fast getötet worden wäre, hätte ich das Haus wohl die nächsten 5 Jahre nicht mehr ohne Damon und Theo als Begleiter verlassen dürfen.

Ich kuschelte mich zurück in meine Decke und schloss erschöpft die Augen. Meine Hand pochte und ich überlegte krampfhaft, was ich meiner Mutter erzählen könnte, wie die Sache geschehen sein sollte. Beim Tanzen hingefallen? Die Treppe heruntergestürzt? Das rückte mich nicht unbedingt in ein gutes Licht, aber versuchter Mord war wohl allemal schlimmer als jegliche meiner Ausreden.

Die Sonne schien durch mein Fenster und kitzelte meine Nase. Ich konnte nicht mehr schlafen, aber aufstehen wollte ich nicht. Lügen wollte ich auch nicht. Also blieb ich meiner Familie erst einmal fern, bis sich die Sache gelegt hatte.

Während ich noch nach einer Position suchte, die für meinen Arm und auch mein geblendetes Gesicht angenehm war, wurde ich von einem starken Klopfen an der Tür aufgeschreckt und warf die Decke über meinen Körper, dass man nur noch meinen Kopf sah.

Ich hatte mich gestern nicht gewaschen, ich war viel zu fertig gewesen und hatte nun überall noch Schmutzspuren. Das würde Fragen aufwerfen, die ich nicht richtig beantworten konnte.

Ohne auf eine Antwort abzuwarten, öffnete sich die Tür und meine Mutter trat herein. Sie kam nicht, um mir einen guten Morgen zu wünschen, das sah ich an ihrem bleichen und emotionsleeren Gesicht sofort. In mir stiegen Sorgen auf, dass sie gestern vielleicht doch etwas aufgeschnappt hatte.

Sie kam näher an mein Bett und verengte dann ihre Augen verwirrt zu Schlitzen. „Alicia? Was hast du denn da im Gesicht?"

„Bin gestern auf der Party hingefallen...direkt in den Schlamm...", legte ich mir schnell zurecht.

Sie kicherte leise. „Das passt zu dir." Ich hatte Glück gehabt. Ihr Gesicht verfinsterte sich wieder. „Ich...muss dir etwas zeigen und..." Sie streckte mir ihre Hand hin, in der sie einen Zeitungsartikel hielt. „Ich hab es gerade gelesen..."

Meine rechte Hand schnalzte nach vorne und schnappte sich das dünne Papier, dessen Überschrift ich schon hatte entziffern können:

Brand in leerstehendem Haus- 3 Jugendliche sterben

„Wenn du reden willst, dann...", setzte sie hoffnungsvoll an, aber ich unterbrach sie.

„Bitte geh. Ich muss mir das erst einmal selbst ansehen." Das klang härter, als es klingen sollte, aber ich musste das, was ich gerade gelesen hatte, erst einmal verstehen und verinnerlichen, bevor ich weitere Schritte tun konnte.

„Gut." Sie wirkte nicht verletzt, nur besorgt. Darüber war ich ziemlich froh. „Aber wenn du mich brauchst, ich bin da."

Sie verließ mein Zimmer und schloss so leise sie konnte die Tür. Zurück blieb ich, mit dem grausamen Artikel.

„Wir haben nur eine Party gefeiert", so eine Zeugin mit dem Namen Chloe S. Die Schüler hätten Spaß haben wollen. Ein bisschen trinken, bisschen tanzen, bisschen leben.

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