Kapitel 40: Fluchtplan

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Es war seltsam, wieder so oft ins Krankenhaus zu kommen, nachdem ich ihm vier Jahre keinen Blick gewürdigt und immer den größten Umweg wie möglich herum genommen hatte, um es bloß nicht zu sehen.

Die häufigen Besuche erinnerten mich an früher. An Dinge, die ich eigentlich verdrängen wollte. Es gab wohl irgendeine Macht, die meine Erinnerung um jeden Preis erhalten wollte. Vielleicht der Baghoo? Man konnte ja nie wissen.

An der Rezeption, wenn man das so in einem Krankenhaus nennen konnte, hielt ich an. Die Frau kannte mich schon. „Natascha ist da", begann sie lächelnd, aber ich musste sie unterbrechen.

„Ich bin heute wegen jemand anderem da...", murmelte ich und bekam gleich ein mieses Gefühl im Bauch. Ich hasste Krankenhäuser. Man konnte sie auch gleich Leichenhallen taufen.

„Ach so?" Nun wirkte sie überrascht. Und irgendwie mitleidig.

„Diane Baxter", sagte ich und meine Stimme gab den Geist auf. Ich musste tief Luft holen.

„Oh." Sie tippte den Namen in den Computer. „Sie lebt. Und sie ist wach. Aber in keinem guten Zustand. Wir wissen nicht, ob sie die Nacht übersteht. Sie hat starke innere Blutungen."

„Wissen sie, wieso? Also, wie es dazu kam?"

Sie zuckte mit den Schultern. „Sie sagt, sie hatte einen Unfall. Mit dem Rad oder so." Man sah ihr an, dass sie das nicht glaubte. „Aber naja..." Dann sah sie wieder auf den Bildschirm. „Dieses Gebäude, Stockwerk 5, Zimmer 201."
Ich bedankte mich und lief mit holprigen Schritten auf den Aufzug zu, dessen Knopf ich mit voller Gewalt betätigte. Mein Hass auf Duke schürte sich immer mehr. Wie konnte man der Frau, die man angeblich sogar liebte, nur so etwas antun?

Die Tür öffnete sich mit lautem Knarren und ich trat ein. Mein Spiegelbild, das mir da entgegen glotzte, widerte mich an. Ich wollte wieder Ich sein.

Alicia. Die dumme Cheerleaderin. Deren beste Freundin Josie immer an ihrer Seite war.

Nein. Jetzt war ich die dumme Hobbydetektivin, die die halbtote Mutter ihrer verschwundenen besten Freundin im Krankenhaus, in dem schon ihr Vater starb, besuchte. Respekt.

Ich zuckte kurz. Ihr Vater. An Josies Vater hatte ich nicht gedacht. Vielleicht war sie ja tatsächlich zu ihm. Das würde die unbekannte Nummer erklären. Und das was sie auf Band gesprochen hatte. Aber Derek passte nicht ins Bild.

Seufzend beobachtete ich, wie die Zahlen sich immer wieder veränderten und schließlich die rote 5 einfror und sich die Tür öffnete.

Die 201 war um die Ecke. Ich brauchte nicht lange, um sie zu finden, dafür umso länger, zu klopfen und einzutreten.

Sie lag da, in die Decke eingewickelt, wie ein Häufchen Elend. An eine piepsende Maschine angeschlossen, die momentan das einzige halbwegs Lebendige in diesem Raum war und an mehrere Schläuchen befestigt. Ihr Kopf lag kraftlos im Kissen, ihre Arme über der Decke. Kein Muskel zuckte. Ein Auge war blau, das andere stark geschwollen. Die Lippe aufgeplatzt, die Arme blau und grün gefärbt. Sie war ein einziges Trauerspiel.

Leise kam ich ihr näher. Ihre Augen wanderten zu mir. Sie war wach und sie erkannte mich, denn ihre Augen weiteten sich sogleich.

„Alicia!", stieß sie kraftlos hervor, wollte sich erheben, als die Maschine Alarm schlug und sie vor Schmerz schreiend ins Kissen zurückglitt und mich mit halb zusammengekniffenen Augen entschuldigend ansah.

Ich setzte mich leicht an den Rand des Bettes und legte meine Hand auf ihre. „Ist schon gut", besänftigte ich sie.

Sie schüttelte leicht den Kopf. „Nichts ist gut. Ich bin eine schlechte Mutter. Ich hab mich all die Jahre tyrannisieren lassen und nichts getan, wenn er Josie genauso behandelt hat."

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