Kapitel 60: Verzeih mir

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Wir hatten uns nicht viel zu sagen. Vielleicht doch, aber niemand wusste, wie man ein Gespräch anfangen sollte, während wir uns den Weg nach oben bahnten. Was hätten wir denn auch sagen können? Wir waren viel zu verwirrt von Noras Offenbarung.

Das lila Häschen hielt ich fest in meinen beiden Händen, aus Angst, er würde sich einfach in Luft auflösen. Inzwischen war ich mir sicher, dass Josies Verschwinden mit den Baghoos zusammenhängen musste. Das konnte kein Zufall sein.

Wir kamen an der Leiter an und sahen für einige Sekunden beide die dunkle Decke an. Ich schluckte im Anbetracht der Tatsache, dass dort oben in der Dunkelheit noch weitere Menschen, die uns böse Dinge antun wollten, lauerten und nur darauf warteten, dass wir einen unbedachten Schritt taten.

Chloe fasste an eine der Sprossen, wartete einige Sekunden und umklammerte diese dann. Ihr linker Fuß fand Sicherheit auf einer der unteren und so zog sie sich hoch, wobei sie nur einige Zentimeter vom Boden entfernt war. In dieser Position blieb sie auf der Leiter stehen und drehte den Kopf langsam zu mir.

„Was, wenn da oben jemand mit einer Axt steht und wenn ich den Kopf rausstrecke, dann..." Weiter sprach sie nicht. Es wäre auch nicht nötig gewesen, denn auch ich hatte mich damit schon beschäftigt.

„Ich kann auch zuerst. Einer muss durch." Ich betete innerlich, dass sie weitergehen würde, anstatt mich vorzuschicken. „Wir müssen wohl einfach auf unser Glück vertrauen."

„Was für ein Glück?" Sie lachte leise auf und ich konnte eine leichte Verletzung aus ihrer Stimme heraushören. „Meine beste Freundin hasst mich. Und wollte mich töten."

Und meine beste Freundin war verschwunden und ich wusste nicht einmal, ob sie noch am Leben war oder es ihr gut ging. Ich war mir nicht sicher, wen von uns es schlimmer getroffen hatte, aber es war klar, dass wir alle beide verdammt große Probleme mit unseren Freunden hatten.

Chloe kletterte ein Stück weiter nach oben und war nun in der Lage, die Luke, die die anderen zuvor geschlossen hatten, zu öffnen, tat dies aber nicht. Stattdessen sah sie noch einmal zu mir um. „Sollte das meine letzte Sekunde auf dieser Welt sein, dann will ich dir nur sagen, dass es mir irgendwie leidtut. Ich meine, du bist eine blöde Kuh, aber ich..."

Ja, sie sollte eine Therapie besuchen. Ich nickte ihr nur zu. „Wir schaffen das schon. Nora haben wir ja auch überwältigt."

Bei dem Gedanken an Nora, wie sie mit blutigen Beinen und grauenvollen Schmerzen in dem dunklen Zimmer lag, überkam mich sogar etwas Mitleid für sie. War keine beneidenswerte Situation.

Chloe erwiderte nichts, sondern schob mit einem ängstlichen Quieken die Luke auf und sprang heraus so schnell sie konnte. Kurz darauf tauchte ihr Kopf am Loch auf. Selbst in dieser Dunkelheit erkannte ich ihr breites Grinsen. „Ich lebe!"



„Ich hätte ihr nie zugetraut, dass sie da mitmischt. Ich meine, Nora ist immer so still und irgendwie eher passiv als aktiv. Sie schreibt doch für die Schülerzeitung. Sie berichtete von Geschehnissen, sie verursacht diese nicht...", murmelte Chloe nachdenklich vor sich hin, während wir langsam zurück ins Wohnzimmer kehrten, um zu schauen, ob jemand wach oder verletzt war.

Wir fanden nur einen Raum voll unversehrter Leute im Tiefschlaf vor. Bis auf gelegentliches Schnarchen war es hier unheimlich still. Erst jetzt wurde mir klar, dass kein Bass mehr dröhnte. Ich hatte nicht darauf geachtet, aber jemand hatte die Musik ausgestellt.

„Manchmal können die Menschen einen vollkommen täuschen...", antwortete ich, während ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ. Ich dachte an Diane Baxter, die auch auf Duke hereingefallen war. Wie schlimm musste es sein, wenn die Person, die man liebte, sich als eine ganz andere herausstellte?

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