Kapitel 41: Diebische Elster

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Die Schule zog sich wie ein Kaugummi und ich hatte keinen Unterricht mit Miles zusammen, was es noch schwieriger machte, den Tag zu überstehen. In der Cafeteria würde ich ihn ja schlecht ansprechen können.

Andauernd kam ich an irgendeinem anderen Ort vorbei, wo Blumen und Bilder für Daniel aufgestellt waren und jedes Mal überkam mich eine plötzliche Kälte, die mich zwang, so schnell ich konnte daran vorbeizulaufen.

Kelly schrie jedes Mal, wenn sie mich sah, meinen Namen durch den ganzen Flur und sprang mich so halb an, weshalb ich ihr in der Schule auch lieber aus dem Weg ging.

Gerade sah ich ihren Hinterkopf mit dem lustig wippenden, hellblonden Zopf und bog so schnell ich konnte in das Mädchenklo ein, um nicht wieder ihr Ziel zu werden. Seufzend hielt ich vor dem Spiegel an, wo schon ein weiteres Mädchen stand.

Abschätzend musterte Beth, an der heute wieder alles zu stimmen schien, mich und trug sich dann weiter einen rot-braunen Lippenstift, der ihr, ich musste zugeben, perfekt stand, auf, ohne sich weiter groß um mich zu kümmern.

Ich rümpfte die Nase, zog dann aber ebenfalls einen, knallroten, Lippenstift heraus, der mir nicht einmal ansatzweise so schmeichelte wie ihrer ihr, trug ihn aber dennoch konzentriert auf meine Lippen, denn ich sah es nicht ein, ihr in irgendetwas nachzustehen.

Mit meinen roten Lippen sah ich zwar nun eher aus wie eine verzweifelte Prostituierte, versuchte aber, es mir nicht anmerken zu lassen.

„Versuch es lieber mit einem zarten rosa." Ich zuckte zusammen, als ich ihre Stimme vernahm, die offensichtlich zu mir sprach. Was mich noch mehr wunderte, war, dass es gar nicht böse gemeint klang.

Sie war fertig mit auftragen und presste nun ihre Lippen aufeinander. „Bei mir hat es auch gedauert, bis ich herausgefunden habe, was für ein Typ ich bin." Sie öffnete ihre Lippen und sah sie im Spiegel genau an. Zufrieden packte sie den Lippenstift wieder ein. „Du hast eher hellere Haut, da steht dir so ein rot nicht ganz."

Ich nickte verstehend. „Ach so." Mehr konnte ich tatsächlich nicht sagen. „Danke."
„Keine Ursache." Sie zog einen Kamm heraus und ging sich damit noch ein paar Mal durch die Haare, obwohl die, im Gegensatz zu meinen Zotteln, null schlimm aussahen oder irgendwelche Makel hatten.

Ich verstand nichts. Warum war sie denn auf einmal nett zu mir? Hatte es doch etwas mit meinem Verdacht zu Daniels Tod zu tun? Ich schüttelte mich von dem Gedanken frei, wofür sie mich ziemlich verdutzt von der Seite ansah, aber nichts sagte.

„Ich schmeiß am Samstag eine Party. Meine Eltern sind übers Wochenende weg und da bald Ferien sind, dachte ich, feiern wir das doch", fing sie entspannt an zu Reden. „Wenn du Lust hast, kannst du ja mit deinen Freundinnen vorbeikommen. Es wird fast die ganze Schule da sein und ich denke, da dürfen Cheerleader nicht fehlen."

„Ich überleg es mir", antwortete ich total verwirrt und sah dann zu, dass ich wegkam.



Die Cafeteria war überfüllt. Heute wollte so gut wie jeder hier essen. Normalerweise war der Raum halbleer, weil die meisten lieber essen gingen oder sich etwas mitbrachten und irgendwo anders verputzten.

Aber nein, jetzt, wo ich mit Miles und Kevin reden wollte, mussten natürlich alle als Zeugen dabei sein. So entschied ich mich lieber dagegen und blieb bei meinen Freunden am Tisch sitzen.

„Habt ihr gehört?" Tessa wirkte irgendwie etwas verloren, wenn ihr Ethan nicht dabei war. Er schrieb momentan noch Klausur. Sie sah währenddessen ununterbrochen zur Tür. „Beth schmeißt am Wochenende eine Party. Sie hat die halbe Stufe eingeladen."

Ich nickte. „Mich vorhin auch..."
„Dich?" Eliza schnappte hörbar nach Luft. „Nach der Sache mit der Spinne?"

„Mir kommt es auch komisch vor", meinte ich daraufhin. Ich konnte es mir wirklich nicht erklären. Eine Falle?

Savannah schaufelte sich eine Gabel Salat in den Mund und dachte nicht einmal daran, herunterzuschlucken, bevor sie sprach. „Alfo if...if hab ma wieder Luft auf eine Parfty...", nuschelte sie mit vollem Mund.

Ich wollte gerade sagen, dass es ja nicht schaden konnte, aber wenn ich genau darüber nachdachte, dann konnte es schaden. Und wie es schaden konnte.

„Sie hat sogar Chloe und ihre Gang eingeladen", bemerkte Tessa abschätzig und trank einen Schluck von ihrer Limonade. „Sie hat es echt nötig."
Dieser Satz ließ mich wachwerden. „Chloe?" Ich dachte kurz nach. „Also auch Dillon?"

Tessa zog fragend die Augenbraue nach oben. „Klar, aber...seit wann willst du denn was von dem? Dein Freund ist eben erst ge..." Sie unterdrückte den Kommentar in letzter Sekunde, aber jedem war klar, was sie hatte sagen wollen.

„Ersten: Ich will nichts von Dillon. Es hat mich nur interessiert. Zweitens: War Daniel zu diesem Zeitpunkt schon mein Ex-Freund, also halt dich mal zurück", giftete ich sie an. Sie war unerträglich, wenn sie nicht gerade an Ethans Lippen hing.

Niemand sagte mehr etwas. Die Erinnerung an Daniel hatte unsere Stimmung gänzlich heruntergezogen und nun saßen wir kauend am Tisch und jeder war mit seinen trüben Gedanken, die er nicht auszusprechen wagte, beschäftigt. Irgendwie tat mir die Ruhe gut.

„Hallo." Und schon war meine Ruhe dahin. Ich drehte mich zu dem, der gerade Platz genommen hatte und stöhnte laut auf. Kevin schien das nicht so viel auszumachen.

„Was gibt's?", murrte ich ihn genervt.

Er zuckte mit den Schultern. „Wollte mal fragen, wie es dir so geht?"

Ich seufzte. Da ich sowieso mit ihm reden wollte, sollte ich ihn lieber nicht wegschicken. Ich erhob mich. „Ich muss mit dir reden. Komm mit raus."

Und schon war er aufgesprungen und verließ zusammen mit mir, unter Blicken der gesamten Schülerschaft, den Raum, wobei er um einiges glücklicher aussah, als ich.

„Also, was los?" Seine blauen Augen funkelten mich gespannt an, dass er fast niedlich wirkte. Aber nur fast.

Ich ließ mich auf einen Stein im Pausenhof sinken und stützte mich mit meinen Armen ab, um nicht nach hinten zu kippen. „Ich hab ein paar Fragen an dich. Die sind...äh...etwas speziell."

„Lass hören." Er grinste schief. „Ich kenn mich in vielen Bereichen aus." Klar, solange der Bereich illegal war, hatte er natürlich was damit zu tun. Ich konnte es nicht fassen, dass ich das tat. Doch dann erinnerte mich an Josies Mutter und wie verzweifelt sie sein musste und fasste mir ein Herz. Ich musste helfen, wenn ich schon Josie bis jetzt nicht gefunden hatte.

„Wenn man theoretisch irgendwo...einbrechen will oder eher muss." Egal, wie ich es formulierte, es klang saudumm. „Naja, weil man jemandem helfen muss." Das würde nicht viel bringen. „Wie...macht man das?"

Zu meiner Erleichterung fragte er gar nicht nach, warum ich sowas wissen wollte, sondern begann zu Grübeln und irgendwo in die Ferne zu starren. „Mhm. Das kommt natürlich darauf an", begann er. „Es gibt verschiedene Typen von Schlössern, ergo verschiedene Möglichkeiten, sie zu knacken. Wenn du dich jedoch nicht an die Tür heranwagst, dann ist ein gekipptes Fenster perfekt."

Ich dachte an das Fenster, das zur Seitenstraße zeigte. Wenn ich mich nicht täuschte, dann war dieses auch das, was zum Arbeitszimmer gehörte, wo sich die Sachen laut Diane befanden. Aber ob dieses gekippt war? Das wusste ich nicht und es wäre wohl auch großes Glück.

Dennoch, es war Sommer, mehr oder weniger, also nicht auszuschließen, dass es gekippt war. „Was müsste ich dann tun? Also theoretisch", beharrte ich weiter.

Er zog amüsiert eine Grimasse. „Das einfachste ist, von oben hineinzugreifen und einen Faden, der etwas dicker ist um den Griff befestigen. Dann schließen und am Faden ziehen, bis der den Griff zum herunterklappen bringt, meist ist es dann offen." Das klang einfach. Ich schämte mich etwas, nicht selbst auf die Idee gekommen zu seinen.

„Das ist wirklich gut, danke", sagte ich erleichtert und stand gerade auf, als er seine Hand ausstreckte und mich engelsgleich ansah.

Seufzend zog ich 10 Euro aus der Tasche, drückte sie mit einem „Schnorrer" in die Hand und verschwand dann wieder ins Schulhaus. Der Junge würde mich noch arm machen.


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