Eins

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Von leisen Geplätscher des Flusses werde ich wach.
Ein Sorgenloser Schlaf ist ein Privileg, welches ein Mensch, wie ich, auf der Flucht, nicht besitzt.
Jedes Mal, wenn ich mich schlafen lege, gehe ich die Gefahr ein, in der Zeit getötet zu werden.
Mein Angreifer hätte es somit ziemlich einfach und ich würde erfahren, wie es auf der anderen Seite aussieht.
Ich frage mich, ob ich dann endlich wieder meine Liebsten sehen würde, die viel zu früh das Leben verlassen mussten.
Sie hatten es nicht verdient, wie so viele Opfer dieser grauenhaften Gewalt.
Sie werden immer einen Platz in meinem Herzen haben, doch sobald ich verschwinde, verschwindet der letzte Mensch auf Erden, der sie im Herzen trägt.

Schlafen tue ich an einem Baum, in der Nähe eines Flusses, in einem Schlafsack.
Dieser Schlafsack ist einer der wertvollsten Gegenstände, die ich besitze, auch wenn er sehr alt ist und seine guten Tage bereits hinter sich hat. Ich habe ihn in einer alten Hütte gefunden und von dem Zeitpunkt an, begleitet er mich.
Ich habe immer einen Rucksack dabei, in dem meine wichtigsten Sachen sind.
In dem Rucksack sind meine Waffen, Wasserflaschen und Essen, wenn ich solches grade besitze, Kleidung und eine Landkarte von Moonrise. Es sind die wichtigsten Sachen, die ich immer bei mir habe. Ohne meine Rucksack würde ich nirgendwohin gehen.

Ich lebe ganz allein, ohne eine Menschenseele, im Wald.
Meine Familie hat es nicht überlegt, aber wen wundert es. Es ist ein Wunder, dass ich noch lebe, denn ich sollte Tod sein, sowie alle anderen.
Ich verstehe nicht, wieso ich noch da bin und jeder andere mir genommen wurde.
Mein kleiner Bruder wurde von Werwölfen getötet, als er draußen gespielt hat.
Ein unschuldiges Kind tat was jedes Kind tuen würde und wurde bitter vom Leben im Stich gelassen. Es ist nicht fair, aber was sollte auch auf dieser „Erde" fair sein?
Mein Vater ist an einer schweren Krankheit gestorben und meine Mutter ist an der Trauer kaputt gegangen, sodass sie ihren letzten Ausweg im Suizid sah.
Somit überließ sich mich alleine meinem Schicksal.
Ihre letzten Worte waren, dass ich tapfer sein solle und durchhalten müsse. Sie wusste schon immer, dass ich die starke in der Familie sei und ich solle sie niemals vergessen.
Solange ich lebe und ihre Erinnerungen mit mir trage, sind sie bei mir.
Nach ihren Worten und einer Träne, die sich ihren Weg aus ihrem Augenwinkel bahnt, tat sie das unvermeidliche.
Sie schnitt sich vor meinen Augen die Kehle auf und lächelt dabei. Ich sah in ihrem Blick so viele Emotionen, stolz, bedauern, Trauer, Stärke und Frieden.
Sie hat ihren Frieden gefunden und handelte mit ihrer Tat bedacht. Sie war sich ihrer Entscheidung so sicher wie noch nie und ich kann es ihr nicht verübeln. In diesem Leben gibt es nichts sicheres, als den Tod. Früher oder später trifft es uns alle, nur in unserem Fall ist es früher, es sei denn man ist ein Werwolf.

Meine Familie und ich lebten früher noch in einer kleinen Hütte im Wald, bis uns die Werwölfe fanden und wir flüchten mussten. Wir hatten Glück, dass die Werwölfe nicht mehr oft im Wald herum streunten.
Sie sind alle meistens in der Stadt, in ihrer Stadt.

Bereits als kleines Mädchen habe ich gelernt zu kämpfen, wie ein Mann, um mich vor den Feinden schützen zu können.
Ich trainiere jeden Tag, auch wenn mein Vater mir nicht mehr zur Seite stehen kann, um mich zu lehren. Neue Techniken musste ich mir eigenständig beibringen.

Ich stehe auf und packe meinen Schlafsack zurück in meinen Rucksack.
Ich muss gleich weiter ziehen, damit mich die Werwölfe nicht finden.
Ich darf mich zu lange an dem selben Ort aufhalten, ansonsten werde ich eine leichte Beute. Mein Duft befindet sich an diesem Ort und wenn ich länger hier bleibe, werde ich sie antreffen.
Es wird nicht lange dauern und sie werden wissen, dass ich hier war.
Sie werden meine Fährte aufnehmen und mich suchen, um dann alles zu Ende zu bringen.
Meinem Leben ein Ende zu bereiten.

Ich bin einer der letzten freien Menschen.
Sie wollen mich alle umbringen.
Sie wollen keine freien Menschen, es sollen alle Menschen Tod sein oder zu unterwürfigen Sklaven werden. Die Menschheit steht kurz davor auszusterben. Es gibt nicht mehr viele von uns und von Nachwuchs ist gar nicht zu denken.
Es ist nur eine Frage der Zeit und es wird sein, als hätte es die Menschheit nie gegeben.

Aus meinem Rucksack hole ich die leeren Wasserflaschen, um sie im Fluss aufzufüllen. Mit den Flaschen in der Hand und dem Rucksack auf meinen Rücken, gehe ich zum Fluss.
Vor den Fluss lege ich mein Rucksack ab und Fülle meine Flaschen.
Nachdem die Flaschen alle voll sind, packe ich sie wieder zurück in meinen Rucksack.
Ich knie wieder vor den Fluss, um mir mein Gesicht zu waschen.

Im Wasser sehe ich mir mein Spiegelbild an. Meine kaputten braunen Haare, die ich mir zu einem Zopf gebunden habe.
Meine braunen matten Augen, in denen man keine Emotionen sieht.
Mein markantes abgemagertes Gesicht und meine blasse Haut.
Mein kaputten Klamotten, die mit Dreck verseht sind.

Ich Schüttle mein Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Ich habe keine Zeit, um mich zu betrachten. Schnell wasche ich mein Gesicht und meine Arme. Ich trinke noch ein Schluck frisch aus dem Fluss, um bei Kräften zu bleiben.
Ich schnappe mir meinen Rucksack, setzte ihn mir auf und gehe los.

Nach einer langen Zeit finde ich einen Platz, den ich als geeignet empfinde, um diese Nacht hier zu Schlafen.
Wie immer mache ich mich erst auf die Suche nach Ästen für ein Feuer.
Nachdem ich das gemacht hab und ein Feuer entzündet habe, mache ich mich auf die Suche nach etwas essbarem.
Heute habe ich leider nicht soviel Erfolg.
Ich fand nur Beeren, die ich sofort verschlinge, da ich sehr hungrig bin.
Ich nahm noch einen großen Schluck aus meiner Flasche, um nun noch etwas zu trainieren. Was muss, dass muss, würde mein Vater nun sagen und mir väterlich auf die Schulter klopfen. Meine Mutter würde nur lächelnd den Kopf schütteln und meinen Vater daran erinnern, dass ich doch seine kleine Tochter sei. Mein Vater war sich schon immer darüber bewusst, dass es wichtig für mich ist und das ich mich auf keinen anderen Menschen verlassen kann. Ich muss selbst stark sein, sonst werde ich es nicht überleben.

Ich nehme aus meinem Rucksack meine Waffen und trainiere fleißig mit ihnen. Nach ungefähr 2 Stunden trainieren, gehe ich auf meine Rucksack zu und nehme mein Schlafsack heraus. Ich breite ihn auf dem Boden aus und lege mich rein.
Meine Glieder fühlen sich schwer an und ich fühle mich unglaublich erschöpft.
Es schmerzt, aber es ist der Beweis, dass ich einen weiteren Tag überlebt habe.

Ich schließe die Augen und konzentriere mich auch meine anderen Sinne. Ich rieche das Feuer, welches ich vor kurzem erst gelöscht habe.
Ich höre die Blätter im Winde Rascheln.
Ich spüre die Wärme meines Schlafsacks und den harten Boden unter mir.
Es ist alles okay, wiederhole ich, wie ein Mantra in meinem Kopf, bis ich schließlich in einen unruhigen Schlaf falle.

MoonriseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt