Kapitel 19

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Anna...


Als auch Hannah und Tor uns endlich erreichen, raunt der Wind langsam mit einem lauten Pfeifen durch die Bäume, die Äste wehen ganze langsam mit, während wir dastehen und das ganze Ausmaß der Zerstörung sehen. Dieser Moment könnte so schön sein, der Wind legt sich auf unsere Haut, spielt mit den Bäumen in der Umgebung, lässt sie im Takt Rascheln, doch dieser Moment ist nicht schön. Nein, er ist alles andere als schön: Er ist grausam.

Will greift sofort hilfesuchend nach meiner Hand, ich kann spüren, dass er zittert. Ally hatte eine Hand an den Baum neben sich gelegt, um sich abzustützen, doch als sie nach vorne blickt, lässt sie ihn los, legt betroffen ihre Hände aufs Gesicht und dreht sich dann zu L um, der sich schützend in den Arm nimmt und selbst vergebens versucht, seine Tränen zurück zu halten. Ich kann nicht anders, als Wills Hand noch fester zu drücken, denn ich befürchte, dem Ganzen hier genau so wenig wie ihm, gewachsen zu sein. Doch kurzerhand lässt er sie los, um einen vorsichtigen Schritt nach vorne zu machen, denn er kann nicht glauben, was er da sieht. Er schiebt dabei die schluchzende Ally langsam zur Seite, um einen besseren Blick zu bekommen. Seine Augen saugen die Umgebung förmlich auf, sie gehen schnell hin und her. Doch es hilft nichts, die riesige Villa, die einst in ihrer vollen Pracht erstrahlte, ist nur noch vereinzelnd zu erkennen.

Als Will die vielen verstümmelten Leichen auf dem Boden sieht, kann er nicht anders, als auf die Knie zu fallen. Wie ein nasser Sack, nein, wie ein Baum, der immer viele Jahre in einem Wald fest verankert war, der immer allen Widrigkeiten standgehalten hat, reißt er jetzt zu Boden, kann sich vor Entsetzen nicht mehr halten. Mit beiden Händen streicht er sich die Haare langsam zurück, während er sich alles ganz genau, mit weit aufgerissenem Mund, ansieht. Das blanke Entsetzen ist in seinem Gesicht zu erkennen, er ist völlig in Gedanken versunken, wahrscheinlich an die vielen Jahrhunderte, die er in diesem Haus verbracht hat.

Tor kommt schnell vor, legt eine Hand auf Wills Schulter und bohrt sie ihm, so fest er kann in seine Schulter, um ihm zu zeigen, er ist bei ihm. Auf den Knien liegend, greift Will nach ihr und sieht dann langsam in Tors Gesicht, dass ebenfalls voller Tränen ist. Kurzerhand hilft er ihm aufzustehen, indem er Will mit der anderen Hand packt und ihn hochzieht. Hannah kommt zu mir, sieht erst jetzt, was auf uns wartet, als auch sie nach meiner Hand greift und nicht fassen kann, was los ist. Schnell kommen auch ihr die Tränen, obwohl sie noch nie an diesem Ort war, spürt auch sie diese trügerische Ruhe, die einen durch Mark und Bein fährt. Hier an diesem Ort, der kein Ort mehr ist, herrscht der Tod. Er ist so greifbar, so, wie ich es noch nie erlebt habe. Sofort weißt du, hälst du dich hier länger als nötig auf, wirst auch du sterben, denn dieser Ort bringt dies scheinbar mit sich, was schade ist, denn ich hatte mich hier sehr wohl gefühlt.

Von unserer Kuppel aus, ist die Rückseite der ehemaligen Villa zu sehen. Die eine Seite, die die einst Will gehörte, ist vollkommen abgebrannt. Nur noch die Grundmauern stehen auf dieser Seite noch und ein paar verbrannte Hölzer liegen dort, sie werden bereits Eins mit der Umgebung. Schnell sind die Erinnerungen wieder da, wie ich Ally rettete. Ich habe sie mit meinen eigenen Kräften aus der Villa geschafft, habe mein Leben fast für sie gegeben, nur um mir jetzt anzuhören, dass ich keine von ihnen bin und dass sie mich am liebsten Tot sehen will. Sofort steigen die Tränen in mir hoch, ich würde sie am liebsten schütteln und sie fragen, was ihr scheiß Problem ist, doch ich befürchte, dazu reicht die Zeit nicht aus. Doch das Gespräch wird so oder so noch stattfinden müssen. Das ist sicher.

Blood Hunter Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt