Die nächsten Tage waren ein Chaos - nicht unbedingt, weil die Sache mit Liam mich zugegebenermaßen durcheinander brachte, sondern weil der Kalender sich einem Datum näherte, das ich am liebsten herausgestrichen hätte. Es war Mitte April, die Sonne stand stolz am Himmel und ich saß nachdenklich an unserem Esstisch, ohne auf das Gespräch zu achten, das Liam gerade mit meiner Mutter führte; ohnehin hatte ich keinen Nerv, mich an derart belanglosen Gesprächen zu beteiligen. Meine Gedanken waren an einem ganz anderen Ort hängen geblieben. Und aus irgendeinem Grund störte es mich massiv, dass das bei meiner Mutter nicht der Fall zu sein schien; dabei stand das Datum kurz bevor - es waren noch drei Tage, um genau zu sein.
Ich war mir nicht sicher, ob jemand bemerke, dass es mir zunehmend schlechter ging, aber im Grunde genommen war es mir auch egal. Vermutlich war es gut für mich, ein wenig für mich zu sein, um meine Gedanken sortieren zu können.
Ich zuckte kaum merklich zusammen, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Als hätte er meine Gedanken gelesen, ließ Liam sich neben mir nieder. „Ist alles in Ordnung?"
Ich nickte hastig. „Sicher. Warum fragst du?"
„Ich habe dich schon zwei Mal gerufen", antwortete er und blickte mir besorgt entgegen. Schließlich senkte er seinen Blick und seufzte. „Möchtest du etwas unternehmen?"
Ebenfalls seufzend schüttelte ich den Kopf. „Nein, Danke", gab ich zurück, „Ich bin schon mit Harry verabredet."
Liam zuckte beide Schultern. „Kann ich mitkommen?"
„Nein", gab ich bestimmt zur Antwort. „Das geht nicht."
Harry hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sich in dieser Zeit des Jahres besonders gut um mich zu kümmern - er wollte für mich da sein und verhindern, dass ich allein in meinem abgedunkelten Zimmer lag und darüber nachdachte, weshalb es ausgerechnet meine Familie hatte treffen müssen.
„In Ordnung", lächelte Liam und klopfte mir brüderlich auf die Schulter. „Du weißt, dass du mit mir reden kannst - richtig?"
Ich nickte nur. Natürlich wusste ich das - und mir war auch klar, dass Liam sich vermutlich denken konnte, was mit mir los war. Immerhin war sein Vater der Mann meiner Mutter; jeder hier wusste, dass mein Vater vor knapp drei Jahren ums Leben gekommen war. Außerdem war ebenfalls überall bekannt, dass ich am meisten damit zu kämpfen hatte. Meine Mutter schien sich ja nicht mehr wirklich dafür zu interessieren.
*
Harry empfing mich mit einem breiten Grinsen vor unserem Lieblingsrestaurant. „Na?", schloss er mich zur Begrüßung in seine Arme und drückte mich an sich. „Wie geht's dir?"
Ich löste mich aus der Umarmung und zuckte lustlos beide Schultern. „Wie soll's mir schon gehen", murmelte ich und trat meine Zigarette auf dem Boden aus.
„Los", kam es prompt zurück, „Lass uns drin reden."
Ich nickte nur und schloss mich ihm an. Wir ließen uns auf einem Tisch unserer Wahl nieder; während ich meine Jacke auszog, konnte ich Harry's prüfenden Blick auf mir spüren. Es war wie jedes Jahr; ich konnte ihm erzählen, was immer ich wollte und er würde mich auf der anderen Seite auch nicht dazu drängen, Dinge zu erzählen, die ich lieber für mich behalten wollte. Meistens allerdings hatte ich ihm alles erzählt, wirklich alles - dieses Jahr ließ ich mich nur mit einem kräftigen Seufzer auf meinem Stuhl nieder und blickte ihm schulterzuckend entgegen. „Wie gesagt", fuhr ich also fort, „Es geht mir nicht so gut."
„Verständlich", murmelte Harry und sah mir tröstlich entgegen. „Das ist völlig normal."
Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein", widersprach ich bestimmt, „Nicht in diesem Ausmaß."
„Was meinst du?"
„Ich kann mich noch nicht einmal für meine Mutter freuen, jetzt, da sie ihre Trauer überwunden und jemand neues gefunden hat."
Harry lachte ironisch auf. „Tut mir leid", antwortete er, „Aber kann sie dir das verübeln? Sie hat dir schließlich erst kurz vor der Hochzeit von ihren Plänen erzählt."
„Darum geht es doch gar nicht", wich ich entschieden aus. „Sie ist glücklich, und ich kann keinen anderen Mann an ihrer Seite akzeptieren."
Harry nickte. „Weil du deinen Vater vermisst. Das ist völlig normal."
Während eine Dame zu uns an den Tisch trat und unsere Bestellungen aufnahm, starrte ich nur lustlos auf meine Hände und versuchte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren, abgesehen von der Wut auf mich selbst.
„Ich weiß, dass das nicht leicht ist", fuhr Harry fort, als wir wieder ungestört waren. Ich sah hilflos an die Decke.
„Aber was soll ich tun um das zu ändern?", wollte ich von ihm wissen, obwohl mir klar war, dass er mir das natürlich nicht wirklich sagen konnte.
„Manchmal", gab er zur Antwort, „Kann man gar nichts tun."
„Danke", ließ ich ihn die Ironie in meiner Stimme spüren, „Das war wirklich aufmunternd."
Mein bester Freund lächelte mir entgegen und schüttelte den Kopf. „So war das doch gar nicht gemeint."
Ich seufzte. „Tut mir leid. Ich weiß nur nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll - vor allem nicht mit Liam..."
Das war das Stichwort - Harry riss neugierig beide Augen auf und musterte mich von oben bis unten. „Gibt es Neuigkeiten?"
Ich nickte. „Ja. Ich weiß nur nicht, ob sie gut oder schlecht sind."
Harry's Aufforderung nach erzählte ich ihm von den jüngsten Ereignissen - von gestern Abend, dem Gespräch, das wir geführt hatten und dem Versprechen, das er mir gegeben hatte. Ich schloss meinen Bericht mit einer Frage: „Denkst du, ich kann ihm trauen?"
Ahnungslos zuckte er beide Schultern und verschränkte seine Finger miteinander. „Gute Frage. Ich denke, er ist selbst ziemlich durcheinander - und du weißt, dass verwirrte Menschen zu allem in der Lage sind..."
„Aber er hat sicher nicht die Absicht, mir wehzutun... Ich meine-"
„Natürlich macht er das nicht mit Absicht", schnitt Harry ihm das Wort ab, „Sein Verhalten ist unbewusst. Er will auch gar nicht merken, dass er dir wehgetan hat."
„Und das heißt...?"
„Das heißt, du sollst ganz einfach auf dich aufpassen", gab Harry zur Antwort und sah mich ernst an. „Lass ihn zappeln. Du musst dir nicht alles gefallen lassen."
Ich nickte - er hatte Recht, auch wenn ich das nur ungern zugab. Ich musste mir schließlich nicht alles gefallen lassen, ich konnte selbst entscheiden, wie weit er gehen konnte - und eigentlich hatte er längst eine sehr wichtige Grenze überschritten.
„Und was soll ich dann deiner Meinung nach Konkretes tun?"
Er zuckte beide Schultern. „Geh nicht immer sofort auf seine Annäherungsversuche ein. Lass dir Zeit und sag ihm, dass du sie brauchst - denn glaub mir; du wirst sie brauchen."
Ich stieß ein tiefes Seufzen aus und nahm einen Schluck aus dem Glas Wasser, das gerade eben vor mir abgestellt worden war, ohne dass ich es wirklich registriert hatte. „Vermutlich hast du recht", pflichtete ich ihm bei und seufzte erneut. „Lass uns doch nach dem Essen zu dir nach Hause fahren und etwas trinken. Ich habe das Gefühl, dieses Gespräch nüchtern nicht führen zu können."
Harry zog beide Augenbrauen nach oben. „Das sollte dir zu denken geben."
Niall schüttelte entschlossen seinen Kopf. „In dieser Zeit des Jahres kann mir den ein oder anderen Schluck Bier niemand verübeln."
„Na, wenn du meinst...", murmelte Harry und entschloss sich, nicht auf eine derartige Diskussion einzugehen. Er wollte Niall nicht noch mehr Stress aussetzen, als er ohnehin schon hatte.
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Suddenly Brothers ➳ Niam AU
FanficAls Niall's Mutter wie aus dem Nichts beschließt, zu heiraten, fällt er aus allen Wolken: Zwar hat er in den vergangenen drei Monaten nicht viel mit ihrem Lover und dessen Sohn zu tun gehabt, doch die Idee einer Hochzeit hält er für das Ergebnis gre...