➳38. ιη тнє єη∂

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Verdammt.

Eigentlich hätte ich wissen müssen, wie diese Sache endet.

Und eigentlich hätte ich auch verdammt nochmal wissen müssen, dass es irgendwann so weit kommen würde.

Ich hätte ahnen können, dass ich kleinlaut hinter meiner Mutter und Geoff hertapsen würde, während sie voran in ihr Hotelzimmer gingen, und Liam jeden nur erdenklich möglichen Abstand zu mir hielt.

Ich konnte das Gefühl, das sich in diesem Moment in mir breit machte, nicht einordnen. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich das eigentlich auch nicht wollte.

Also redete ich mir für den Moment einfach ein, dass sich das alles schon irgendwie klären würde - dass wir uns alle aussprechen und dann glücklich bis an unser Lebensende zusammenleben würden.

Leider wurde diese Hoffnung jäh zerstört, als die Tür zum Zimmer unserer Eltern mit einem lauten Knall hinter uns zuflog.

Ich zuckte zusammen, ehe ich mich dagegen wehren konnte und warf einen vorsichtigen Blick in die Runde.

Geoff's Gesichtsfarbe glich der einer Tomate, meiner Mutter war bleich wie ein Geist und Liam...

Liam sah aus, als wäre er genauso betrunken wie ich.

„Nun...", begann Geoff, während er einen Schritt vor den nächsten Setzte und im Zimmer auf und ab ging. „Wärt ihr so freundlich, mir zu erklären, was zur Hölle ich da eben gesehen habe?"

Liam und ich sahen uns ratlos an, während wir stumm darüber diskutierten, wer sich freiwillig opfern und sich dem Löwen zum Fraß vorwerfen sollte, um ihm die Situation zu erklären.

„Äh...", stammelte ich also, als mir klar wurde, dass Liam einen Teufel tun und sich erklären würde. „Also, wir waren dabei, das Wiener Nachtleben etwas unsicher zu machen..."
„Das sehe ich", fiel Geoff mir barsch ins Wort, während er noch immer im Zimmer auf und ab ging. „Wie betrunken muss man sein, um auf die Idee zu kommen, seinen eigenen Bruder zu küssen?"

„Er ist mein Stiefbruder...", korrigierte ich ihn erneut, ehe mir auffiel, dass das vermutlich eine sehr dumme Idee gewesen war.

Geoff wurde nur noch wütender. „Schön, für mich ändert das nichts an der Tatsache, dass ich euch wild knutschend im Hotelflur erwischt habe - was zur Hölle habt ihr euch nur dabei gedacht?"

„Um ehrlich zu sein...", murmelte ich kleinlaut, während ich mich sehr um eine deutliche Aussprache bemühte. „Wir ... Also ... Das lag nicht bloß am Alkohol."

Ich sah, wie Liam neben mir zusammenzuckte und mich stumm anflehte, ganz einfach meine Klappe zu halten.

Aber ich sah keinen Sinn darin, ihnen weiterhin alles zu verschweigen. Früher oder später würden sie es doch ohnehin herausfinden, und dann war das Geschrei nur noch umso größer.

Ich war also der Meinung, dass die Situation sich am ehesten wieder beruhigen würde, wenn ich das Ganze kurz und schmerzlos über die Lippen brachte.

Wie das Abreißen eines Pflasters.

Leider hatte ich mich dabei getäuscht.

„Liam und ich haben uns schon vor einer Weile ineinander verliebt", erklärte ich also, wich dem Blick meines Stiefvaters geschickt aus und heftete ihn stattdessen auf den Boden. „Wir haben euch nichts gesagt, weil wir dachten-"

„Stopp", fiel Liam mir aufgeregt ins Wort und schüttelte energisch den Kopf. „So ist es nicht gewesen."

Mein Kopf schnellte in die Richtung meines Stiefbruders, während mein betrunkenes Gehirn nicht wirklich begriff, was er mir damit sagen wollte. „Sondern?"
„Ich habe mich nicht in dich verliebt", kam es prompt von Liam, der keine Sekunde zögerte. „An den meisten Abenden war ich schlicht und ergreifend zu betrunken, genau wie heute - das alles hat doch nichts mit ernsthaften Gefühlen zu tun..."

Ich hielt die Luft an.

Mein Herz zerbröckelte in tausend Teile, während ich noch immer die stille Hoffnung hegte, mich eben verhört zu haben.

„Wie bitte?"

„Du hast mich schon verstanden", gab Liam ohne zu zögern zurück, während er seinen Vater nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. „Es war einfach eine betrunkene Dummheit, Niall, und ich war eigentlich der Meinung, dass dir das genauso klar ist, wie mir."

Ich begann, am ganzen Körper zu zittern, als die grausame Wahrheit langsam aber sicher zu mir durch sickerte.

Die Worte, die eben aus Liam's Mund gekommen waren, bohrten sich wie scharfe Dolche durch meine Brust und nahmen mir die Luft zum Atmen.

Ich hatte das Gefühl, zu ersticken, während ich allen anderen um mich herum beim Atmen zusehen musste.

Meine Stimme bebte. „Warum sagst du sowas?"
Liam rollte mit beiden Augen und sah mich endlich an. „Weil es die verdammte Wahrheit ist, Niall."

Ich fühlte mich um einige Monate zurückversetzt, als Liam regelmäßig solche Dinge zu mir gesagt hatte. Als Liam sich regelmäßig gegen seine Gefühle gewehrt, und mich deshalb so behandelt hatte.

Und nun?
Nun war mir einerseits klar, weshalb das so gewesen war, immerhin schien sein Vater nicht gerade offen für gleichgeschlechtliche Beziehungen zu sein ... Andererseits machte es die ganze Situation nicht weniger schmerzhaft.

Im Gegenteil.

Er hatte trotz aller Versprechungen ganz einfach nicht den Mut, zu all den Dingen zu stehen, die zwischen uns passiert waren.

Meine Augen füllten sich mit Tränen, und ich hatte den unfassbar starken Drang, dieser Situation zu entfliehen.

Einfach wegzulaufen, ohne auch nur ein einziges Mal zurückzusehen.

Doch da war noch immer der kleine Funke Hoffnung in mir, der glaubte, Liam könne seine Meinung vielleicht doch noch ändern.

Irgendwann.

„Ich glaube, die Situation ist recht eindeutig", drang Geoff's Stimme an mein Ohr.

Weit weg, als könne ich sie nur aus der Ferne hören.

Eindeutig.

Was zur Hölle sollte daran bitte eindeutig sein?
Ich war mehr als nur verwirrt.

Und vielleicht war das der Moment, in dem mir klar wurde, dass es keinen Sinn mehr machte, auf etwas zu warten, was ohnehin nie passieren würde.

Liam würde seine Meinung nicht ändern, und die Wahrheit würde niemals aus seinem Mund kommen.

Also wich ich seinem Blick aus, ignorierte die Blicke der anderen und stürmte aus dem Zimmer.

Ich schlug die Tür so laut hinter mir zu, dass ich vermutlich den gesamten Rest des Hotels damit weckte - und trotz allem verschwendete ich keinen einzigen Gedanken daran.

Ich warf mich auf das Bett und begann, hemmungslos zu weinen.

Suddenly Brothers ➳ Niam AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt