Es war noch stockdunkel draußen, als ich wiederwillig aus meinem Schlaf gerissen wurde. Ich wurde aus meinem Traum, in dem ich Evan noch einmal gegenüber stand, so, wie letztens im Diner, gerissen. Ich wollte Evan gerade eine kleben, da schlage ich meine Augen auf, muss mein Gehirn wieder zum Arbeiten zwingen.
Ich stöhne auf und sehe dann neben mir.
Neben mir liegt Danovan, er ist Schweiß nass und er keucht, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. Seine Augen sind geschwollen, sein Gesicht puterrot.
"Danovan?", bringe ich heraus, obwohl es mir die Sprache verschlägt, ihn so zu sehen.
"Was ist passiert?"
Ich knie mich neben ihn, lege ihm meinen kühlen Handrücken auf die Stirn und er nimmt sie sofort in seine Hände, seufzt, weil sie so kalt ist.
"Ich kann das nicht mehr..", murmelt er.
"Du musst nichts tun, Danovan. Egal, was es ist. Lass es los.", hauche ich und lege meine andere Hand auf seine Brust. Es sind die Wort meiner Mutter. Meine Mutter hatte sie einst gesagt, bevor sie gestorben war, bevor ich ein Halbwaise war.
Damals hatte ich schlimme Alpträume - jedenfalls waren sie damals für 8-Jährige schlimm, heute wohl eher weniger - und sie hatte mich immer beruhigt, egal, wie spät es war, egal, ob sie am nächsten Tag früh raus musste. Sie hat mir immer wieder gesagt, ich soll die schlechten Sachen nicht so an mich ran lassen, soll glücklich werden.Manchmal, wenn ich an ihre Worte denke, dann komme ich mir total schäbig vor, weil ich mich nicht dran gehalten habe. Ich bin so jemand geworden, wie die, vor denen mich meine Mutter immer gewarnt hat. Ich bin so geworden, wie ich selbst nie werden wollte. Und mich fuckt es ab, dass ich es nicht schaffe es zu ändern.
"Sierra, ich bin am Ende..", schluchzt er und ich schlage mir instinktiv die Hand vor den Mund, um meinen eigenen Schluchzer zu unterdrücken. Was ist nur passiert? Was hat diesen Jungen, der eigentlich so ein großes Herz hat, so derart verletzt? Was hat ihn so innerlich umgebracht?
"Ich bin da, Dano. Ich bin da.", flüstere ich ihm zu, lege meine Stirn an seine.
Ich merke seinen heißen Atem an meiner Wange und seine Wimpern an meinen Augenbrauen.
"Ich hatte es schon vergessen. Dann kamst du, du hast es wieder hochgebracht. Gestern. Das gestern, hat mich so an sie-"
Weiter kommt er nicht, denn es laufen ihm wieder Tränen über das Gesicht.
"Danovan, egal, was ist. Du kannst mit mir reden. Ich weiß, du willst es noch nicht, aber wenn du bereit bist, dann bin ich es auch. Ich bin bereit für dich, für deine Wahrheit."
Ich sage es, obwohl es nicht stimmt. Ich habe Angst vor seiner Wahrheit, davor, dass ich vielleicht nicht umgehen kann, davor, dass sie vielleicht zu groß ist, uns vielleicht beide erschlägt. Andererseits habe ich Angst davor, dass, wenn er mir seine Wahrheit erzählt, er auch die Wahrheit von mir verlangt. Ich habe so Angst davor, dass mein neues Leben, das, welches ich mir hier in NYC aufgebaut habe, wieder den Bach runter geht, dass ich wieder zurück nach Phoenix muss, in mein altes Viertel, wo mich jeder kennt.
Ich habe Angst davor, dass ich dadurch wieder ganz unten bin, ganz am Ende dieses nie enden wollenden Lochs.
"Du musst mir helfen, ich kann das nicht mehr. Ich-"
Er wimmert vor sich hin und ich muss den Kloß in meinem Hals runterschlucken, die Fassung bewahren, damit wenigstens noch einer zurechnungsfähig ist.
"Sag mir wie, Dano. Ich werde dir helfen! Sag mir einfach wie."
Ich strenge mein Hirn an, damit ich die Antwort auch ja mitbekomme, aber sie bleibt aus. Er schweigt immer noch. Und es sieht auch nich so aus, als würde er mir heute nochmal etwas verraten.
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Carve your heart into mine
Teen FictionZukunftängste, Familienprobleme, gebrochene Herzen; Dinge, mit denen sich Sierra herumschlagen muss, als sie nach New York geschickt wird, um fortan bei ihrem Vater zu leben. Eigentlich möchte sie einfach nur leben, ohne Probleme. Denn diese hatte...