Kapitel 29

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Damals im Krankenhaus war ich irgendwie zu geschockt um zu weinen. Ich habe nichts gesagt, nichts. Wahrscheinlich hat jeder gedacht, dass es mich nicht mitnimmt, aber es nimmt doch irgendwo jeden mit, wenn man seine Mutter verliert oder?
Es kam so plötzlich und irgendwie auch nicht. Klar, man weiß, dass es irgendwann zu Ende gehen wird, aber das war anders.  Es kam für uns alle so urplötzlich. Es kam alles so plötzlich. Alles. Ich weiß das alles gar nicht mehr so genau. Ich habe alles versucht so gut wie es geht zu verdrängen. Ich habe es nie wirklich an mich rangelassen, habe alles und jeden irgendwie von mir gestoßen. Obwohl ich erst dreizehn war. Ich habe einfach auch nichts mehr Lust gehabt. War müde von allem, von dem Schmerz, von der Trauer.

Das Grab ist aus schwarzem Mamor und ihr Name steht dort, wie der einer Königin. Sie war eine Königin. Die Königin unserer Familie, auch, als sie schon fast kaputt war. Sie hat immer alles für mich getan, hat mich geliebt und hat mir das Leben beigebracht. Manchmal schäme ich mich dafür was aus mir geworden ist. Ein Mädchen, dass unfreundlich ist, in einem Diner arbeitet, wo mir doch aber alle Wege offen standen.

Aber ich glaube selbst dann hätte meine Mom noch gesagt, dass sie stolz auf mich ist. Sie war immer stolz. Auch als ich damals dieser komischen Tussi mit den komischen fleckigen Haaren an den Haaren gezogen habe, weil sie auf meine Schuhe getreten ist, immer wieder.

Selbst da war sie stolz, weil ich mich bewiesen habe, gezeigt habe, dass ich nicht auf mir rumtrampeln lasse. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Als ich ein Schluchzen höre, komme ich wieder zurück in die Wirklichkeit, in der meine Granny gerade in ein Stofftaschentuch schnaubt und sich dann mit einem anderen über die Augen wischt.

"Sie hat dich so geliebt.", sagt sie und legt ihren Arm um meine Hüfte.

"Sie hat uns alle geliebt."

Meine Großvater nickt zustimmend und legt seine Rose auch auf dem Grab ab.

Es dauert eine Weile, dann gehen meine Großeltern nachdem wir uns von ihnen verabschiedet haben.

Wir fliegen in einer Stunde zurück nach New York, aber ich wollte die Chance nutzen um meiner Mutter Hallo zu sagen.

"Alles okay?", fragt mich Danovan, der nun an Stelle meiner Großmutter neben mich tritt.

"Alles gut.", bringe ich hervor.

Früher, wenn ich mit Mary hier war, dann musste ich jedes Mal anfangen zu weinen, habe oft Stunden nicht aufgehört. Vielleicht wollte meine Seele das nachholen, das sie damals im Krankenhaus nicht so schnell geschafft hat.

Deswegen wundere ich mich auch immer über andere Leute, oder Personen in Filmen. Wie kann man so hemmungslos anfangen zu weinen? Ich bin immer noch zu geschockt um zu weinen, brauche erst Mal eine ganze Weile um überhaupt mal ansatzweise zu verstehen, was überhaupt passiert ist, weil mein kopf gar nicht so schnell mitkommt, wie mein leben auf mich herein stürzt.

"Deine Mutter war bestimmt eine ganz tolle Person."

"Ich bin ja auch ihre Tochter.", sage ich und bringe Danovan damit zum Lachen. 

*

Als wir nach einem anstrengenden Tag im Flugzeug wieder in Dans Wohnung ankommen, lasse ich mich sofort auf die Couch fallen.

Dan fällt kurze Zeit später auch neben mich und legt seinen Kopf auf meinen Bauch, damit er das Baseballspiel besser sehen kann. Es ist die Wiederholung von gestern. Oder vorgestern? Ich habe die Zeit vergessen. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren, als wir dort waren. Es war unbeschreiblich mit Danovan meine Großeltern zu besuchen und ihm sozusagen ich etwas von mir zu erzählen konnte, indem ich ihm meine Welt von früher gezeigt habe, in der ich aufgewachsen bin.

Carve your heart into mineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt