Bonuskapitel 3 - Liver, Beans And Wine

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Ganz anders als man es gewohnt war schien bei dieser Beerdigung die Sonne. Sonst regnete es doch immer? Doch dieses Mal nicht. Dieses Mal herrschte ein wunderschönes Sommerwetter. Wie unpassend, murmelte man. In schwarz gekleidete Personen standen um ein Grab herum, in traurigem Vertrauen auf die Wettervorhersage der Großmutter der toten Person hielten sie Regenschirme in den Händen. Jeder trug eine Rose, die ins Grab gelegt werden sollte.

Der kleine Junge sah zu, wie der Sarg langsam in die Erde hinab gelassen wurde. Der Inhalt war eine Person aus seiner Verwandtschaft. Er wollte sich nicht darüber Gedanken machen, wer ihm entrissen worden war, er machte sich eher Gedanken darüber, wie diese Person starb. Der Autopsiebericht sagte zwar etwas anderes, aber der kleine Junge war sich sicher: Die Person war ermordet worden. Der Vater seines besten Freundes arbeitete in der Pathologie und er hatte offenbar etwas ganz anderes erzählt. Laut ihm fehlten ganze Organe. Die Person war blutleer. Ausgeblutet, wie es so schön beschrieben worden war.

Warum er diese Person nur als Person bezeichnete? Er wusste es nicht. Namen waren nicht wichtig, das waren sie für ihn nie gewesen. Er merkte sich Namen nie, aber er wusste, wer wer war. Das hatte er sich immer sofort merken können. Nur eben Namen nicht. Wer brauchte schon Namen? Wer benutzte schon seinen echten Namen? Somit waren Namen für ihn wertlos geworden. Sein eigener Name war ihm ebenfalls nicht wichtig, auch wenn er, obwohl er das heute noch nicht wusste, einmal wichtig werden würde. Lucas war der Name, der eines Tages mit schrecklichen Dingen in Verbindung gebracht werden würde.

Er trat einen Schritt zurück und stolperte gegen jemand anderen. Hastig wirbelte er herum. Es war ebenfalls ein Junge. Er grinste Lucas an und hielt ihm eine Hand hin. "Andrew", stellte er sich kurz und knapp vor. Lucas legte den Kopf schief. Andrew. Auch wenn er auch das noch nicht wüsste, würde er sich ausgerechnet diesen Namen von all den anderen merken, und das für den Rest seines Lebens. "Lucas", murmelte er. "Ich weiß", gab Andrew zurück. "Die Polizei hat gelogen." Lucas Blick fuhr zum Gesicht des neuen Bekannten. "Woher weißt du das?", fragte er in kindlicher Naivität.
"Weil ich sie umgebracht habe", grinste Andrew. Er packte Lucas' Handgelenk und zog ihn hinter einen Baum. "Ich wollte es mal ausprobieren, weißt du?" Er lächelte, keinerlei Reue in den Augen.

Lucas musterte ihn misstrauisch aber auch voller Interesse. Dieser Andrew war so anders als die anderen Kinder, die er kannte. Er hatte etwas an sich, das ihn gleichzeitig schaurig mächtig aber auch kindlich unschuldig wirken ließ. Etwas stimmte definitiv nicht mit ihm.

"Ich wollte mal austesten, wie es sich so anfühlt... Ich habe mir vorgestellt, wie es sich wohl anfühlt, wenn man ein Leben beendet und das Licht in den Augen der sterbenden Leute langsam verschwinden. Ich habe mir vorgestellt, wie ich es zu Ende bringe."

Das war doch krank. Unglaublich krank. Obwohl Lucas wusste, dass es unglaublich falsch war und er eigentlich Ekel verspüren müsste, regte sich in ihm auch ein Funken Interesse. Während die Sonne auf die Leute auf dem Friedhof erbarmungslos niederbrannte, musterte Lucas Andrew im kühlen Schatten der Eiche, hinter der sie sich versteckt hatten. Oder wohl eher wo Andrew sie versteckt hatte. "Es... Es fehlen Organe", sprach er den neuen Bekannten auf das Thema an, das ihn eine Weile beschäftigt hatte.
"Ja", gab Andrew sofort unbekümmert zu. "Ich wollte mal testen, wie es so schmeckt. Weißt du, ich habe mir immer vorgestellt, dass es ein wenig wie Schweinefleisch schmeckt." - "Zu viele... Zu viele Informationen..." Lucas hob abwehrend die Hände. "Aber es interessiert dich", stichelte Andrew. "Auch wenn du es nicht zugeben willst. Du hast dir selbst schon vorgestellt, wie du tötest."
Wild schüttelte Lucas den Kopf. Woher wusste dieser Freak davon?
"Ich sehe es dir in den Augen an", beantwortete sein Gegenüber die unausgesprochene Frage.

"Ich will dir dabei helfen, weißt du?" Andrew lächelte und zeigte seine perfekten Zähne. Zu perfekt. Man. Lucas schüttelte den Kopf. Er hatte immer damit zu kämpfen gehabt, diese Fantasien zu verstecken, nicht auf dieses Verlangen einzugehen. Wie oft hatte er sich schon vorgestellt, wie er seine Finger um den Hals des Nachbarmädchens legte und einfach zudrückte...!
"W...Wie?", fragte er zögernd. Er konnte es nicht fassen. Es war krank und das wusste er. Aber er wollte auch wissen, wie es sich wirklich anführte.
Andrew zwinkerte. "Triff mich heute Nacht hier. Du wohnst nicht weit weg und ich sehe, wie du das Mädel der Nachbarn ansiehst... Ich kenne den Blick und ich kenne das Verlangen." Er neigte den Kopf. "Ich werde jedenfalls da sein und auf dich warten. Ob du kommst ist deine Sache. Ich würde es mir überlegen." Er zwinkerte und drehte sich um. Mit langen Schritten ging er wieder zum Grab, das nun verschlossen wurde.

Lucas starrte den Baum an. Was war gerade passiert? Hatte Andy gerade angeboten, ihm bei einem Mord zu helfen? Moment - Andy? Nein, das war falsch. Andrew, oder? Ach, immer diese Namen, wer konnte sich die schon merken?

Ja, der Titel ist eine kleine Anspielung auf meinen Lieblingspsychopathen :D Ich hoffe, ihr kennt ihn? Wenn nicht, seht euch den Film unbedingt mal an.

Dolls Innocence | #wingaward2019 #yellowaward2019 ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt