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Er stand da. Er war blass, beinahe kreidebleich, trug den schwarzen Pullover mit der schwarzen Hose und die Schuhe dazu, die Sachen, die er damals trug. Er sah aus wie früher. Exakt wie früher. Seine blonden Haare wucherten wild auf seinem Kopf, fielen teils in Strähnen auf seine Stirn und seine blauen Augen musterten mich von oben bis unten. Er schien glücklich, lächelte ein wenig, wirkte wieder wie vor dem ganzen Kram mit den Depressionen. "D-du.. was.." Ich schüttelte den Kopf, wieder und wieder. "Hey, hör auf damit! Beruhig dich schon, Tobi, alles ist gut. Ich bin da, ja? Ich bin da."
"Nein, bist du nicht. Ich bilde dich mir ein, ganz klar, das kann nicht... Du bist tot, du kannst nicht real sein.."
"Ich wusste, dass du es nicht glauben würdest.  Nimm meine Hand."
Er streckte die Hand nach mir aus, ich musterte sie, nahm sie aber nicht. Er kapierte und ließ sie wieder sinken. "Ich bleibe trotzdem bei dir, egal, ob du mich für real hältst oder nicht." Ich atmete tief durch, griff mir erneut an die Stirn und ließ mich dann auf das Bett sinken. Ich griff unter ebendieses und holte eine Flasche hervor, öffnete sie, setzte sie an meinen Lippen an und trank so viel, wie ich aufeinmal konnte. "Das ist doch bescheuert. Vollkommen. Vollkommen.."  Ich trank wieder einen Schluck und verzog das Gesicht, während das hochprozentige Getränk fast meinen Hals verätzte. "Tobi.."
"WAS?"
"Was ist los mit dir?"
"Was mit mir los ist? WAS MIT MIR LOS IST?! IST DAS DEIN ERNST?!"
"Tobi.."
"NEIN, NICHTS TOBI! HÖR AUF DAMIT!"
Jemand klopfte an der Tür, weshalb er den Kopf zu dieser umdrehte. Ich ließ die Flasche unter meiner Decke verschwinden, bevor ich "Wer ist da?" antwortete. "Ich habe Sie schreien gehört, ist alles okay?" Hörte ich Mary-Beths Stimme gedämpft sagen. "Mir geht es bestens, alles gut."
"Okay, na dann.. Sie wollen immernoch nichts essen? In einer halben Stunde ist die Mensa zu"
"Ich weiß. Aber nein danke."
"Na gut, wenn Sie meinen. Ich gehe dann wieder, wenn was ist, Sie wissen ja, wo Sie mich finden"
Ich hörte die sich entfernenden Schritte. Als sie endgültig verstummt waren holte ich die Flasche wieder hervor und trank wieder etwas. "Wie lange hast du jetzt schon nichts gegessen?" Ich verdrehte seufzend die Augen. "Keine Ahnung."
"Du musst was essen, Tobi, wirklich. Das ist echt nicht gut für dich."
"Könntest du bitte nicht als Hirngespinst in mein Leben zurückkommen und dann noch versuchen, mich komplett umzupolen?!"
"Ich will nur helfen."
"Du hilfst aber nicht!" Er sah etwas zu Boden und schwieg. Ich atmete tief durch und stand auf, ging einige Schritte auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. "Ich liebe dich und werde es immer tun, ja? Aber das ganze hier verwirrt mich und - und ich glaub es einfach nicht. Vielleicht bilde ich dich mir ein, als Strafe dafür, dass ich dich losgelassen habe. Vielleicht bin ich tot und weiß es garnicht. Vielleicht bin ich auch verrückter als ohnehin schon. Oder vielleicht hat mein Psychiater mir irgendwas eingeflößt."
"Es ist nichts von alledem. Aber das scheinst du gerade nicht zu kapieren, also lassen wir das einfach. Nimm es einfach hin, tu doch so, als wäre ich nie weg gewesen. Komm, wir gehen jetzt was essen." Er hielt mir wieder seine Hand nehmen und ließ sie wieder recht schnell sinken, als ich wieder nichts tat. "Fass mich an. Mach schon, los." Ich musterte ihn zögerlich, hob dann meine Hand und legte sie vorsichtig auf seiner Brust ab. Ich konnte ihn anfassen. Wie zur Hölle war das denn möglich? "I-ich.." Er lächelte etwas. "Was hab ich denn gesagt?" Ich presste die Lippen aufeinander und umarmte ihn fest. "Ich hab dich so sehr vermisst, verdammt.." Er strich mir vorsichtig mit der Hand über den Kopf. "Ich war doch nie weg, Schatz, ich war doch immer da.." Ich schniefte und lächelte sogar ein wenig. "Ich weiß, das hab ich gemerkt.. Ich hab es vermisst, dich so bei mir zu haben. Dich zu umarmen und zu wissen, dass ich dich immer bei mir habe." Mir wurde übel bei den letzten Worten. "Also das heißt.. ich habe geglaubt, dich immer..- Ach, ähm, egal." Er löste mich von ihm und hielt mich dann auf Armlänge. "Alles gut. Eigentlich hätte es mich nicht gewundert, wenn du mir meine Anwesenheit übel genommen hättest. Ich muss mich eigentlich dafür entschuldigen, dich allein gelassen zu haben."
"Nein, ist schon gut. Du musst dich für nichts entschuldigen." Er nickte etwas und schüttelte dann den Kopf. "Lass uns jetzt was essen gehen, ns komm." Er strich mir über den Rücken und schob mich sanft zur Tür. Ich öffnete sie, ging mit ihm in den Flur und schloss sie hinter mir, dann lief ich langsam den Gang entlang. Mittlerweile wurden die Bilder an den Wänden ausgetauscht, die Tapete wurde ebenfalls erneuert. Ich stieg die knarzenden Treppen hinab und wurde am Fußende von einer überrascht dreinblickenden Mary-Beth begrüßt. "Sagen Sie bloß, Sie haben es sich anders überlegt?" Ich nickte nur und schob mich an ihr vorbei und auf die Mensa zu. Er folgte mir auf Schritt und Tritt. Kaum betrat ich die Mensa, verstummten die ohnehin schon leisen Gespräche und dutzende Augenpaare waren auf mich gerichtet. "Hört auf ihn so anzustarren, ihr Spasten!" rief er durch den Raum, doch niemand rührte sich. Ich knurrte und wandte mich dann dem Essen zu. Ich tat mir eine kleine Portion auf einen Teller und ging mit ihm auf ein Tischende zu. Schlagartig standen die dort sitzenden auf und waren so schnell verschwunden, dass ich kaum Zeit hatte, sie nochmal anzuknurren. Ich setzte mich hin, er sich neben mich, und stocherte in meinem Essen herum. "Komm schon, iss was. Du brauchst das." Ich seufzte. "Ich weiß. Ich hab trotzdem keinen Hunger." Flüsterte ich und schob mir widerwillig eine mundgerechte Portion in den Mund. "Ich weiß, das hatte ich auch nie. Aber schau dir mal an, wie abgemagert wir beide sind. Wir hätten schon damals mehr essen und weniger trinken sollen, findest du nicht?" Ich nickte nur und aß weiter. Eigentlich war es sogar ganz angenehm, mal wieder was gegessen zu haben. Es dauerte nicht lange, bis mein Teller geleert war, ebenso leer war auch die Mensa. "Ich muss morgen wieder zum Psychiater." stellte ich murrend fest und sah ihn schmollend an, einfach, weil ich echt keinen Bock auf diesen Typen hatte. "Na und? was ist so schlimm an ihm?" Ich sah ihn ungläubig an. "Er ist furchtbar. Absolut grauenvoll. Ich hasse diesen Mann bis auf die Knochen."
"Du hast Angst."
"Wie bitte?"
"Du hast mich schon verstanden. Du hast Angst, er könnte so sein wie er."
Ich schwieg und blickte auf meine Hände. Er nahm eine und drückte sie. "Ich komm mit morgen."
"Nein, das ist glaube ich keine gute Idee.."
"Doch, glaube ich schon. Du musst deine Angst überwinden und dich ihm anvertrauen, er will dir nur helfen, so wie alle andern hier, das ist deren Job. Los, lass uns schlafen gehen."

Save me | Fortsetzung von "Stay. | a #currbi fanfiction"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt