35

125 17 7
                                    

Seufzend betrat ich das letzte Heim auf meiner Liste, zumindest das letzte, wenn man das, in dem ich war nicht mitzählte, und das tat ich nicht. Ich hätte ja gewusst, wenn er da gewesen wäre, zumal man mir das gesagt hätte. Mittlerweile war es früh am Morgen, kurz nach sieben. "Gibt es hier gaaaaanz zufällig einen Kevin Dorissen?" Die junge Frau am Schalter sah zu mir hoch und sah mich freundlich an. "Er ist nicht mehr hier, nein. Er hat vor etwa einer halben Stunde die Klinik verlassen, um Freunde zu besuchen." Ich sah sie perplex an. "Freunde?!"
"Er sagte, er wolle erst nach Kleve und von dort nach Köln."
"Wo meinen Sie ist er jetzt?"
"Am Bahnhof, schätze ich. Sein Zug fährt in.." Sie sah auf die Uhr. "Fünfzehn Minuten." Ich musste beinahe etwas lächeln. "Danke. Wirklich, ich liebe Sie gerade. Vielen Dank!" Sie lächelte. "Gerngeschehen. Aber Sie sollten sich beeilen, wenn Sie ihn noch erwischen wollen." Ich nickte und hastete nach draußen. Ich nahm mir ein Taxi zum Bahnhof, legte dem Fahrer viel zu viel Geld hin und sprintete hinein. Fünf Minuten. Ich suchte ewig nach dem richtigen Bahnsteig, irgendwann hatte ich ihn gefunden. Und da stand er. Er hatte den Kopf gesenkt, drehte einen Ring an seinem Finger und atmete schwer, das sah man ihm an. Seine blonden Haare wucherten wild auf seinem Kopf, der schwarze Pullover, den er trug war mir aus dem Merchshop bekannt. Er war vollkommen in seiner Welt. Ich sah, wie sich seine Lippen bewegten und letztendlich verzogen, glitzernde Tränen liefen seine Wangen hinab. Er drückte die Hände vors Gesicht und sackte ein wenig in sich zusammen. Ich ging auf ihn zu, stoppte kurz vor ihm und überlegte, was genau ich jetzt am besten tat. "T-tobiman..." schluchzte er leise, sodass ich es kaum hörte. "Ey, Curryman." Sagte ich, ebenfalls leise und gedämpft. Er lachte auf. "Ich vermisse dich.. verdammt, ich vermisse dich so sehr..."
"Ich hab dich auch vermisst." Damit schlang ich meine Arme um ihn, drückte ihn ganz fest an mich. Er zuckte zusammen, nahm die Hände vom Gesicht und sah mich verwirrt an. "T..- T-Tobi?!" Er begann wieder zu weinen, diesmal hoffentlich vor Freude. "Oh mein-" Er erwiderte die Umarmung augenblicklich. "Ich dachte, du wärst tot..." flüsterte er. Ich lachte auf. "Dasselbe hab ich auch gedacht. Eineinhalb Jahre lang..."
"Eineinhalb Jahre lang haben sie uns getrennt.." Kurz blieben wir beide still, genossen einfach die Nähe, die wir zuletzt vor Ewigkeiten genießen konnten. Der einfahrende Zug, der im übrigen zehn sagenhafte Minuten Verspätung hatte, unterbrach unsere Zweisamkeit. "Was willst du eigentlich in Kleve?" Er zuckte mit den Schultern. "Ich hatte gehofft, dort meinen Bruder zu finden."
"Ah, verstehe. Sag mal, warum hast du nie was von Mike erzählt?"
"Woher-"
"Mein neuer Psychiater. Das war Mike, wie sich herausgestellt hat."
"Wow, das- Krasser Zufall."
"Nicht? Er ist übrigens nicht in Kleve, sondern in Köln. Er ist bei Pan und Erik und erklärt denen hoffentlich, dass sie sich um mich keine Sorgen machen müssen."
"Was-"
"Ich erklär dir das auf der Fahrt. Komm." Wir stiegen in einen anderen Zug, der direkt nach Köln fuhr. Wir ließen uns auf den Sitzen nieder und lehnten uns aneinander. Und ich erklärte ihm alles. Warum ich in Köln war, warum Mike auch dort war, ich erzählte von der Diagnose und von der OP, von dem "Traum" ebenfalls. "... Ich glaub, das ist alles, was man wissen sollte." Er sah mich etwas nachdenklich an. "Du hast mich also gesehen... ähm, okay, das ist seltsam."
"Wie gesagt, das lag an diesem Tumor. Der Rest, der, den die nicht rausbekommen haben ist angeblich gutartig. Wie auch immer. Ich hoffe, Pan wird mir mein Verschwinden nicht übel nehmen. Aber das dürfte ihr nicht schwer fallen, wenn sie dich sieht."
"Sie alle dachten auch, ich wäre tot, oder?"
Ich nickte. "Ich hab allen das erzählt, was ich für wahr empfunden habe. Ich habe eine falsche Erinnerung daran, verstehst du? Und die hab ich denen erzählt."
"Hmhm. Okay... Das klingt alles irgendwie... seltsam."
"Vermutlich. Ich weiß auch nicht. Aber jetzt bin ich einfach froh, dass du noch lebst und dass du bei mir bist." Ich kuschelte mich näher an ihn, er legte einen Arm um mich. "Ich bin auch froh, glaub mir. Was wird Mike wohl sagen? Wenn er mich sieht?" Ich zuckte mit den Schultern. "Das werden wir sehen. Ich traue ihm beinahe etwas Emotionalität zu." Ich grinste etwas. Wir lachten etwas und verbrachten die restliche Fahrt recht still. "Nächster Halt; Köln Hauptbahnhof." Dröhnte es blechern aus den Lautsprechern im Zug. Kaum hielt er an, stiegen wir aus und begaben uns auf den Weg zu Pan und Eriks Haus. "Ich hab fast etwas Angst." Sagte Kevin und klammerte sich an meinem Ärmel fest. "Keine Angst, Schätzchen, ich bin ja immer bei dir." Er lächelte ein wenig. Irgendwann standen wir vor der Haustür. Es war neun Uhr. Ich zog den Ersatzschlüssel aus dem Versteck, schloss vorsichtig die Tür auf, die sich augenblicklich einen Spalt öffnete. "H-hallo..?" Sagte ich vorsichtig und trat in die Wohnung. Sofort kam Pan aus dem Wohnzimmer gestürmt. "TOBI!" rief sie und fiel mir um den Hals. "Wo warst du denn?!" Ich deutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie sich beruhigen sollte. Erik und Mike traten ebenfalls in den Flur, auch die beiden wirkten erleichtert. "Ich hab eine Überraschung dabei."

Save me | Fortsetzung von "Stay. | a #currbi fanfiction"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt