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"Frohe Weihnachten, Tobi!" Grinste Pan und umarmte mich freudig, als ich am Weihnachtsmorgen das Wohnzimmer betrat. "Fr... fr...- Ja, euch auch, danke..." Erik saß auf dem Sofa, lächelte, beinahe etwas mitleidig als er merkte, dass ich diesen Satz nicht sagen konnte. Frohe Weihnachten. Ich konnte das nicht aussprechen, es ging nicht, unabhängig vom Tumor. Es ging nicht, weil zu vieles daran hing. Vorletztes Weihnachten war mein letztes mit Kevin gewesen, danach hatte ich keinen Gefallen mehr daran gefunden. Mir fehlte die Freude, der Spaß, die allseits bekannte Besinnlichkeit, mir fehlte er. Ich spürte eine kräftige, warme Hand auf meiner Schulter. "Einen besinnlichen Morgen!" Lächelte Mike in die Runde. Ich legte meine Hand vorsichtig auf seine auf meiner Schulter, sah ihn dann etwas an. "Hey" sagte ich leise, ich merkte, wie meine Stimme etwas absackte. "Wie geht's denn so an diesem schönen Tag?" Fragte er und wirkte immernoch etwas überschwänglich fröhlich. "Wie können Sie so gut drauf sein?" Fragte ich kalt, kälter als ich wollte. "Oh, ich-"
"Wie könnt ihr so gut drauf sein?!" Alle blickten mich verwirrt an. "Ihr kapiert es nicht. Ihr kapiert es echt nicht, oder?! Ich kann diesen scheiß Satz nicht sagen, kann niemandem irgendwas positives wünschen, ohne nicht daran zu denken, dass es für mich nichts positives in meinem Leben mehr geben wird. Weil ich verflucht nochmal jeden Tag sterben könnte und weil der einzige Mensch, für den ich vor zwei Jahren nicht aufgegeben habe tot ist! Ihr versteht nicht, dass ich so einen Tag nicht feiern kann, oder?!" Mike nahm die Hand von mir und ging etwas um mich herum, um mich besser ansehen zu können. "Wir verstehen das, doch. Wir versuchen nur, dir zu helfen, das ist alles. Wir versuchen, dir deine letzten Tage irgendwie schön zu machen, auch ohne die Person, die eigentlich mit hier sein sollte." Ich sah ihn nicht an, als er das sagte, ich sah auch Erik und Pan nicht an. Niemanden. Ich wich den Blicken aus, drehte mich stumm um und ging wieder nach oben ins Gästezimmer. Ich schlug die Tür hinter mir zu und ließ mich daran hinab sinken. "Ey, Curryman?" Hauchte ich in die Leere. "Versprichst du mir was?" Ich wartete kurz, ehe ich weiter sprach. "Wenn ich bei dir bin, wenn wir wieder zusammen sind, dann lass uns heiraten, ja? Lass uns heiraten, damit ich weiß, dass du die ganze Zeit bei mir warst und ich nie allein war. Lass uns heiraten, damit uns im Himmel nichts mehr trennt." Ich lächelte kurz matt, doch das verschwand wieder und ging in ein Schluchzen über. "Ich hätte dir das viel eher schon sagen sollen. Ich hätte dir den Antrag machen sollen, ich hätte nicht warten dürfen, dann würdest du noch leben. Ich bin schuld daran, ich hätte es verhindern können..!" Wimmerte ich und vergrub das Gesicht in den Händen. "Ich hätte dich fragen sollen... ich hätte dich nicht loslassen sollen... Es ist alles meine Schuld..." Heiße Tränen brannten auf meinem Gesicht. Ich war schuld, das sagte ich mir die ganze Zeit, ich war schuld an seinem Tod. Hätte ich irgendetwas anders gemacht wäre das vielleicht nicht passiert. Ich zuckte zusammen, als es plötzlich hinter mir klopfte. Ich rückte von der Tür weg und warf mich aufs Bett, zog die Beine an und kauerte mich zusammen. Mike kam herein, lächelte mitleidig und schloss wieder die Tür hinter sich. Er setzte sich neben mich und legte mir wieder eine Hand auf die Schulter. "Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann,-" Ich schüttelte den Kopf. "Mir kann man nicht mehr helfen." Er seufzte. "Meinen Sie?"
"Meine ich. Ich bin mir sicher, dass man mir nicht helfen kann, nur er hätte das gekonnt. Sie sind nicht ganz so wie er. Sie sind ernster, er war immer so humorvoll. Er war... er war bis vor zwei Jahren die lebhafteste, fröhlichste Person die ich kannte. Ich hab das kaputt gemacht. Sehen Sie, wie ich mich dafür beschuldige? Ich gebe mir auch Schuld an seinem Tod. Ich bin die ganze Zeit der Meinung, dass ich das hätte verhindern können, wenn ich ihn gefragt hätte. Ich hätte ihn nicht loslassen sollen, vielleicht wäre er dann noch hier." Er nickte verständnisvoll. "Ich verstehe schon... aber wissen Sie was? Diese Einsicht, dass Sie sich die Schuld geben, ist schonmal ein Anfang. Normalerweise würden Sie behaupten, Sie seien strikt Schuld, nicht, dass Sie sich die Schuld geben." Ich sah ihn etwas an. "Besserung bringt mir nur nicht mehr viel. Ich bin nächste Woche sowieso schon tot, wer weiß, ob ich 2018 oder 2019 sterbe. Alles was ich immer wollte war ein normales, problemfreies Leben mit ihm. Das war mein einziges Wunsch damals, als er wieder zu mir zurück kam. Habe ich erzählt, dass ich ihm einen Antrag machen wollte? Unzwar genau an dem Tag, an dem er sich letztendlich umgebracht hat. Ich hatte alles geplant und vorbereitet, ich hatte mir genau ausgemalt, wie es sein sollte. Und dann kam dieser Anruf. Der Therapeut war ein Lappen. Er hat es nicht geschafft, meinte wohl, ich könnte das: und er hatte Recht, ich hätte gekonnt. Aber ich hab es verhauen." Er schüttelte nur den Kopf und sah mich inständig an. "Der Therapeut hat das verhauen, nicht Sie. Er hätte ihn aufhalten müssen, mit welchen Mitteln auch immer. Sie sind nicht Schuld, Sie haben Kevin nur genug geliebt um ihm seinen Wunsch zu lassen." Ich musterte seinen ernsten Blick. "Sie sagen das nur, weil Sie es sagen müssen. Es ist Ihr Job, mir sowas zu sagen." Er schüttelte wieder den Kopf. "Rechtlich gesehen bin ich nicht mehr Ihr Psychiater, ich werd nichtmehr hierfür bezahlt. Ich bin jetzt nurnoch der Bruder Ihres Freundes."
"Und Sie lügen nicht?"
"Ich würde Sie nicht anlügen."
"Dann duzen Sie mich. Ich hasse es, von Leuten gesiezt zu werden, die ich eher als Freunde ansehe."
"Freunde? Ich fühl mich geehrt." Lächelte er und nickte etwas. "Gut, dann also du statt Sie." Kurz schwiegen wir. "Danke."
"Wofür?" Er sah mich fragend an.
"Dafür, dass du trotzdem für mich da bist."
"Bin ich doch gerne." Er lächelte mich etwas an, ich umarmte ihn einfach. "Mike?" Er brummte etwas. "Was an mir bringt dich dazu, mich zu mögen?" Er zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, du hast so eine gewisse Ausstrahlung." Ich zog eine Augenbraue hoch. "Eine gewisse Ausstrahlung? Wie soll ich das verstehen?"
"Irgendwas sagt mir, wie du eigentlich bist, oder wärst, wenn du die Depressionen nicht hättest. Und Tatjana hat mir ein paar alte Videos von euch vieren gezeigt. Ich hab den humorvollen, lustigen Tobi erlebt, die Freude, die du ausgestrahlt hast und der Spaß beim spielen. Das alles bringt mich dazu, dich zu mögen."
"Meinst du, er hat das auch in mir gesehen?"
"Ganz sicher. Mir wurde erzählt, du warst ganz anders, als du mit ihm zusammen warst. Mir würde erzählt, da warst du genauso, wie du in deinen Videos wirkst, zumindest von den Charakterzügen her. Kevin war ein kluger Junge, er wusste, dass die Depressionen dich nicht ausmachen. Er hat die helle Seite in dir gesehen, die, die du versteckst und selbst nicht kennst." Seine Worte überraschten mich etwas. Ob das stimmte? Ich wusste nicht, ob ich ihm glauben konnte und sollte. Aber es ergab mehr Sinn als vorher, zumindest dass ich eine andere Seite hatte. Es stimmte, die hatte die Überhand, als ich mit ihm zusammen war. Zumindest bis zu dem Vorfall. Sie wurde durch Steve und die Tatsache, dass Curry ebenfalls Depressionen hatte fast vollkommen zerstört. Mit einem mal wurde mir schummrig und schwarz vor Augen. "G-glaubst du an Wunder? Glaubst du an Wunder, Mike?" waren meine letzten Worte, bevor ich ohnmächtig wurde und ihm auf den Schoß fiel.

Save me | Fortsetzung von "Stay. | a #currbi fanfiction"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt