41 - Was wäre, wenn... (Variante 1)

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-PoV Curry-
Ich weiß nicht wie lange wir dagesessen hatten. Aber es war ewig. Wir wechselten kein Wort zwischendurch, zumindest nicht miteinander, manchmal sprachen wir mit Tobi, aber ansonsten blendeten wir den anderen nahezu komplett aus. Ihm schien es unangenehm zu sein, mit mir hier zu sitzen, jetzt wo ich wusste, warum er die ganze Zeit so drauf war. Es war ihm vielleicht sogar etwas peinlich, er schämte sich dafür, das sah man ihm an, auch wenn er mich nicht ansah, weil er fürchtete, ich würde ihm dafür an die Gurgel gehen. Aber das würde ich niemals tun, ich nahm ihm das nichteinmal übel. Er war mein Bruder, ich liebte ihn, sehr sogar, ich könnte ihm nicht böse sein, für was auch immer. Okay, wenn er Tobi umbringen würde würde ich ihn umbringen, aber das tat er ja nicht. Dafür mochte er ihn zu sehr. Aber er konnte nichts dafür, deshalb ließ ich das unkommentiert. Wobei ich mich fragte, ob die beiden wohl etwas miteinander angefangen hätten, wenn Tobi mich nicht gefunden hätte. Wären die beiden dann zusammen? Und glücklich? Was wären sie dann? Ich wusste es nicht und wollte es auch garnicht wissen um ehrlich zu sein. Ich hatte jetzt wesentlich größere Sorgen als das, was hätte passieren können. Aber die 'Was wäre wenn...?'-Frage stellt sich doch jeder manchmal, oder? Das tat ich zumindest andauernd. "Mike?" Brach ich die ewige Stille zwischen uns und sah ihn an. Er wich meinem Blick aus. "Ja?"
"Ich bin dir nicht böse."
Er blickte langsam von Tobi auf und sah mich nun doch an. "Nicht..?"
"Wie könnte ich? Du kannst nichts dafür."
"So siehst du das..."
"Wie sollte ich das sonst sehen?"
"Weiß ich nicht. Ich hätte vermutet, du glaubst, ich hätte mich in deiner Abwesenheit an ihn rangeschmissen."
"Das habe ich auch für einen kurzen Moment geglaubt, aber selbst wenn, ich weiß, das Tobi etwas dagegen getan hätte, zumindest mit Worten. Wie gesagt, ich nehm dir das nicht übel. Niemand kann sich das aussuchen. Im letzten Jahr hab ich mir manchmal gewünscht, von ihm loszukommen und ihn nicht mehr zu lieben, aber das ist ziemlich schwierig, genauergesagt unmöglich. Ich weiß, dass man die Gefühle nicht kontrollieren kann." Er nickte etwas und sah dann nocheinmal Tobi an. "Darf ich dich was fragen?" Sagte er, ohne von ihm aufzusehen. "Frag mal."
"Wie lange liebst du ihn schon?"
Ich brauchte etwas um zu überlegen. Nachdem ich gescheckt hatte, dass ich ihn liebte habe ich es ihm gesagt, dann waren wir 10 Monate zusammen, dann wieder 6 Monate getrennt, dann war Tobis Nahtod, dann waren wir zusammen bis zu dem Tag, andem er mir den Antrag gemacht und damit mein Leben gerettet hatte, das waren nochmal etwa 5 Monate. Dann die anderthalb Jahre bis heute. "Fast genau dreieindrittel Jahre." Er lachte auf. "Ziemlich konkret. Und ziemlich lang. Obwohl, ich war ja auch zehn Jahre mit Celina zusammen. Ich vermisse sie ein bisschen, aber nicht in der Hinsicht. Naja. Ich weiß auch nicht. Ich komm mir so erbärmlich dabei vor. Eigentlich sollte ich mich für euch freuen, für eure Verlobung und dafür, dass ihr euch wieder habt, aber anstattdessen sitze ich da und muss zusehen, nicht auszurasten, weil ich ihn auch mag. Das ist verrückt unf gleichzeitig ziemlich bescheuert."
"Meinst du?"
"Hmhm."
"Hm."
Ich sah ebenfalls Tobi an und strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. "Er ist wunderschön, sogar wenn er so gut wie tot ist." Flüsterte ich und musterte jeden einzelnen Millimeter seines Gesichts. Ein stechender Schmerz machte mir klar, wie sehr ich an ihm hing, wie sehr ich ihn liebte, wie wichtig er mir war und wie sehr es mich zerstören würde, wenn er jetzt sterben würde. Zumal ich mir wieder die Schuld geben würde, schließlich war er genau nach einer Interaktion mit mir umgekippt. Vielleicht waren diese traumatischen Erinnerungen, die er daran hatte einfach zu viel für ihn gewesen. Doch das konnte doch kein Grund sein, aus dem man einfach stirbt, oder? Das durfte keiner sein. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn täte. "Tobi... Mensch, du kannst mich und Mike doch jetzt nicht so hängen lassen... du bist stark, ich weiß, dass du das schaffen kannst. Du kannst kämpfen!" Ich blickte auf die Uhr. Bald waren die 12 Stunden vorrüber. "Tobi, bitte verlass mich nicht, bitte Tobi..." Der Minutenzeiger rückte näher zur zwölf, die Minuten schienen mit einem Mal wie Sekunden. "Du musst zaubern, Tobi, zaubere!" Rief ich beinahe, wobei mir Tränen die Wangen hinab rannen. Ich drückte seine Hand behutsam, als wäre sie aus Porzellan, kam näher an sein Gesicht, um ihn vorsichtig zu küssen. Es tat sich nichts. Keine Veränderung. Ein Arzt kam herein und blätterte in seiner Akte. "Wir würden die Geräte nun ausstellen." Ich sah ihn an, mein Blick immernoch verschleiert durch die Tränen. "Nein.. nein, bitte, bitte tun Sie das nicht..." schluchzte ich und strich meinem Verlobten über die Wange. "Nehmen Sie ihn mir bitte nicht weg..." Meine Worte verloren sich zum Ende hin, wurden leiser und meine Stimme brüchiger. "Herr Dorissen, Tobias ist Hirntot. Sein Herz jetzt weiter durch die Maschinen schlagen zu lassen wäre nur eine Herauszögerung seines Todes, ich weiß nicht, ob er das gewollt hätte. Sie haben nie über lebenserhaltende Maßnahmen gesprochen?" Ich schluckte. Doch, das hatten wir, zu genüge. Allerdings waren wir beide da im Heim. Aber ich konnte nicht lügen. "D-doch" brachte ich hervor und weinte stärker. "Er wollte es nie." Gab ich zu und umklammerte seine Hand fester. "Dann werde ich die Geräte ausstellen. Wenn er das so wollte, dann müssen wir dem nachgehen." Er ging ums Bett herum, wo die ganzen Apparaturen und Monitore angeschlossen waren und legte seinen Finger auf den Ausschaltknopf des Monitores für die Gehirnaktivität. Ich blickte auf die flachen Linien, die sich darüber zogen. Ich liebe dich, verdammt, ich liebe dich mehr als alles andere. Ich kann und will nicht ohne dich, ja? Versteh das bitte... du darfst nicht gehen, bitte geh nicht, verlass mich nicht nochmal. Das würde ich nicht verkraften. Dachte ich, während ich mit meinem Daumen über seinen Handrücken strich und hoffte, meine Gedanken würden bei ihm ankommen. "Halt!" Sagte ich, als der Arzt den Druck auf seinem Finger verstärken wollte. Ich deutete auf den Bildschirm und die kleinen, größer werdenden Wellenlinien, die sich darauf bildeten. "Sie dürfen das nicht. Er lebt, sehen Sie das? Er lebt, verdammt nochmal!"

Save me | Fortsetzung von "Stay. | a #currbi fanfiction"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt