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"Auf die Minute pünktlich, das gab ea ja noch nie. Setzen Sie sich." Er ging mir jetzt schon auf den Nerv. Ich blickte Kevin aus dem Augenwinkel an, er nickte auf den Stuhl zu und deutete mir damit, dass ich auf ihn hören sollte. "Sie haben gestern angefangen, von jemandem zu erzählen. Es scheint Ihnen sehr auf dem Herzen zu liegen, was da mit dieser Person war, das spürt man. Erzählen Sie mir doch etwas darüber." Ich atmete tief ein und sah am Therapeuten vorbei zu ihm, er hatte sich neben ihn auf den Boden gesetzt, damit es nicht so seltsam aussah, wenn ich ihn ansah. "Das ist eine sehr lange Geschichte. Und eigentlich vertraue ich Ihnen immernoch nicht."
"War er auch Psychiotherapeut?" Ich zuckte zusammen und nickte dann zögernd. "Ah, verstehe. Das erklärt natürlich einiges. Was hat dieser Mann Ihnen angetan, dass sie so ein Vertrauensdefizit haben?" Ich musterte ihn abschätzend und sah wieder kurz zu Kevin hinüber, der erneut nickte. "Er war ein Betrüger, ein gesuchter Verbrecher. Er hat sich als Therapeut ausgegeben, um seine Klienten irgendwann zu entführen und vorallem sexuell zu misshandeln, solange, bis diese sich den Tod nur noch mehr wünschen. Und er hat sie daraufhin getötet." Ich blickte ins leere, während ich darüber sprach spielten sich mir Szenen von damals vor meinem inneren Auge ab. "Oh, das ist natürlich unvorteilhaft. Aber Sie leben noch; Wie?" Ich schob meine Gedanken beiseite und sah wieder den Psychiater an, der mir tatsächlich nicht mehr so unsympathisch vorkam. Er war vermutlich garnicht so schlimm, wie ich die ganze Zeit sagte. "Er hat es beim ersten Versuch nicht geschafft. Ich hab.. ich hab gehandelt, bevor er irgendetwas tun konnte."
"Was haben Sie gemacht?"
Ich zögerte etwas und zog dann vorsichtig meinen Ärmel unter mein Handgelenk, das von mehreren Narben geziert war. "Sie haben einen Selbstnordversuch als richtig angesehen?"
"Es hat seinen Zweck erfüllt."
"Ich verstehe. Sie sagten erster Versuch, es gab also mehrere?"
Wieder zögerte ich. Kevin stand plötzlich hinter mir und legte mir eine Hand auf die Schulter, was mich zusammenzucken ließ. "Erzähl es ihm, dann ist es mal raus. Erzähl ihm alles." Sagte er und lächelte ein klein wenig. Ich seufzte. "Ich bin mit meinem Freund in dessen Heimatstadt gezogen. Doch dort hat er uns gefunden. Er hat meinen Freund entführt, mich dann hin gelockt und körperlich verletzt, weil ich mich nicht auf ihn einlassen wollte. Er meinte die ganze Zeit Dinge wie: "Gib mir, was ich will und ich geb dir, was du willst", damit ich nachgab und hat mir dann immer weiter weh getan. Irgendwann hat er ihn reinbringen lassen. Er hat mich mit ihm erpresst. Er hat versucht ihn aufzuhalten, doch... das hat nicht grklappt. Dieser Betrüger hat mir den Rücken aufgeschlitzt, mich mit Ledersträngen geschlagen und trotzdem nichts erreicht. Was tut er also? Meinem Freund sein verdammtes Messer in den Bauch rammen!" Meine Stimme bebte, während ich erzählte. Er hörte mir aufmerksam zu, mit einem geschockten Blick auf dem Gesicht. "Erst da hab ich nachgegeben. Ich meinte, ich tus, wenn er dafür sorgt, dass er ins Krankenhaus kommt. Und es hat trotzdem nichts gebracht. Er kam nicht ins Krankenhaus und ich wurde trotzdem misshandelt. Ich und mein Freund haben nur dank unserer besten Freunde danach noch gelebt, die es geschafft hatten, die Polizei zu rufen." Er nickte. "Sehen Sie? Schon verstehe ich Sie wesentlich besser und kann vieles besser nachvollziehen. Ich versichere Ihnen, ich bin kein Betrüger, ich bin ein normaler, anständiger Psychiater, dazu auch heterosexuell. Wie dem auch sei. War das die ganze Handlung?" Ich schüttelte den Kopf. Er sah auf seine Uhr und dann wieder mich an. "Wir haben noch zehn Minuten. Legen Sie los." Wieder seufzte ich. "Meinem Freund hat das ganze wohl so zugesetzt, dass er in der Zeit im Krankenhaus wohl selbst an Depressionen erkrankt ist. Wir beide hatten also damit zu kämpfen, haben zusammen getrunken und geraucht und uns zusammen über unser beschissenes Leben beschwert. Bis ich meinte, es wäre gut, uns selbst einweisen zu lassen. Doch das hat nicht sonderlich viel geholfen. Wir haben kaum was gegessen, haben uns vollkommen von den anderen Menschen ausgegrenzt. Wir haben weiter getrunken, uns weiterhin selbst verletzt, manchmal haben wir wieder versucht, uns die Pulsadern aufzuschneiden. Das ging vier Monate lang so. Und dann..." Ich presste die Lippen aufeinander und wandte meinen Blick auf den Boden. "Dann war der Vorfall." Sagte er, es war nicht wirklich eine Frage, mehr eine Feststellung von ihm. Ich nickte und schluckte. "Richtig." Ich machte eine kurze Pause. "Können Sie mir etwas sagen?" Er sah von seinem Klemmbrett auf, auf dem er sich immer wieder Notizen machte. "Bitte?"
"Ist es normal, verstorbene zu sehen, die einem Nahe standen?" Er verstand, worauf ich hinaus wollte. "Nun, das kommt ganz darauf an. Ist er hier?" Ich sah mich wieder etwas im Raum um, denn er stand nicht mehr hinter mir. Er lehnte an der Wand neben der Tür und wartete darauf, dass die Sprechzeit vorbei war. "Ja." Sagte ich und ließ meinen Blick auf ihn gerichtet. "Was genau sehen Sie von ihm?"
"Alles. Ich sehe ihn, wie er ausgesehen hat, als er gestorben ist. Ich kann seine Stimme hören. Er redet mit mir. Ich kann ihn sogar anfassen. Ich spüre seine Berührungen auf meinem Körper. Ist das normal?"

Save me | Fortsetzung von "Stay. | a #currbi fanfiction"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt