Kapitel 12

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Nachtgeschrei - Herzschlag

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Mit trägen Augen verfolgte Sasha Castiels Hand, wie sie über seine gesunde Seite wanderte und vorsichtig seinen Oberkörper säuberte. Unter dem mit Blut vermischten Staub kamen Schrammen hervor, rot und wütend leuchteten sie auf seiner Haut und schienen Castiel anklagend entgegen zu springen. Die Haut über seinen Rippen zeigte bereits Ansätze von blauen Flecken und dort, wo die innen liegenden Adern verletzt worden waren, hatte das Fleisch eine dunkle violette Farbe angenommen. Im Geiste verdrehte Sasha die Augen, er sah aus wie ein zwei Tage altes Fallobst.

Vollkommen abgelenkt von der sanften Berührung, die langsam weiter nach oben wanderte, rückte Castiels Stimme zu einem leisen Murmeln in den Hintergrund. Der Wind stich über seine vom Wasser feuchte Haut und ließ ihn leicht frösteln. Der Lappen strich über seinen Hals und er musste ein Zusammenzucken unterdrücken, als der Albtraum in blendendem Weiß erneut um eine Ecke seines Bewusstseins lugte. Castiels Stimme wurde wieder klarer. Sein Gefährte redete scheinbar erneut wirres Zeug. Irgendetwas von seiner Schwester. Den Lappen hatte er mittlerweile weggelegt und strich Sasha nun mit bloßer Hand über das Gesicht, Wärme breitete sich in ihm aus, durchflutete seine Seele und zeigte ihm nach langer Zeit wieder was Glück bedeutete. Graue Augen trafen auf grüne und er verzog leicht den Mund als Castiels Finger seine Lippen berührten. Wie konnte der Andere nur von seiner Schwester erzählen, obgleich es gerade definitiv was Besseres gab, worüber er sich Gedanken machen sollte.

Sasha stemmte sich auf die Ellenbogen. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er seinen Arm gehoben, die Hand um den Nacken seines Gefährten gelegt und diesen zu sich herunter gezogen. Kurz bevor sich ihre Lippen berührten hielt er inne, lockerte seinen Griff und gab Castiel damit die Möglichkeit sich jeder Zeit zurückzuziehen, wenn es ihm zu viel wurde. Als er keinen Widerstand verspürte und ihn diesen ernsten Augen weiter anschauten, glaubte Sasha sein Herz würde so laut klopfen, dass es jedes andere lebendige Wesen in der Nähe hören konnte. Vorsichtig strich er mit seinem Mund über Castiels Lippen, küsste seine Mundwinkel und zeichnete mit seiner Zunge ihre Form nach. Sein gesamter Körper schien unter Strom zu stehen, alles in ihm konzentrierte sich auf die Person vor ihm. Der Geruch. Die weiche Haut unter seinen Lippen. Besitzanspruch durchfluteten ihn in berauschenden goldenen Wellen, all das gehörte ihm und er schwor sich, es um nichts in der Welt wieder herzugeben. Vorsichtig legte Sasha sich wieder auf den Rücken um seine nun freie Hand in Castiels Haaren zu vergraben und diesen noch etwas näher zu sich zu ziehen. 

Eine vollkommene Ewigkeit später löste er sich schließlich schwer atmend wieder von Castiel. „Das wird eine außergewöhnliche Zeit werden, Frischling", murmelte Sasha leise und berührte ein letztes Mal Castiels vom Küssen geschwollene Lippen. Entspannt betrachtete er das Gesicht seines Gefährten, das nun eine leichte, erhitzte Röte trug, ein durchaus kleidsamer Farbton.

Castiel war ein wenig, gelinde gesagt, überrascht. Er wusste nicht, womit er gerechnet hatte, ob er mit etwas gerechnet hatte, aber damit sicher nicht. Er hoffte nur, sein Mund klappte nicht einem Fisch ähnlich auf und wieder zu, aber er glaube, das doch noch verhindern zu können. Ein bisschen wie das verstörte Kätzchen blieb er über Sasha hocken, noch unbewusst darauf achtend, sich nicht auf dessen Verletzung zu lehnen. Nach diesem Überfall war er sich eines sicher; er hatte es gemocht, er hatte es erwiedert und er wollte mehr. Es fühle sich fast unwirklich an. Um das Gefühl zu beseitigen, schmiegte er sich noch näher an seinen Gefährten heran.

Sasha grinste. „Na, hat es dir zum ersten Mal in deinem Leben die Sprache verschlagen?", liebevoll strich er Castiel durch die kurzen Haare. Erneut bewunderte er deren fast goldene Farbe, die Farbe von reifem Weizen im Herbst. Mit einem zufriedenen Seufzen ließ er seine Hand wieder sinken und schloss kurz die Augen. Der Blutverlust hatte ihn erschöpft und auch seine Wunden heilten langsamer als sonst. Verdammter Alpha! Sasha ärgerte sich immer noch, dass er ihn so nah an sich heran gelassen hatte und vor allem ohne dass er ihn vorher bemerkt hatte. Das schrie nur so nach einer weiteren Trainingseinheit, ohne Castiel wäre er wahrscheinlich jetzt tot und die Vorstellung gefiel ihm ganz und gar nicht. Er war nicht gerne von anderen abhängig, selbst wenn es sich dabei um seinen Gefährten handelte.  Sein Blick streifte eben diesen und erneut durchfloss Wärme seinen Körper.     

Castiel neigte sich der Berührung entgegen. Das erste Mal in seinem Leben bereute er, kein Katzenwandler zu sein. Dann hätte er schnurren können. Stattdessen begnügte er sich mit einem keinen Brummen, während er seinem Gefährten wieder forschend ins Gesicht blickte. Er legte den Kopf leicht schräg. „Du musst dir keine Gedanken machen."

Verwundert blickte Sasha auf. „Über was?", fragte er, erstaunt darüber, dass Castiel seine abschweifenden Gedanken bemerkt hatte.

„Egal." Castiel nahm Sashas Hand in seine und begann, mit den Fingern zu spielen. „Du sollst erstmal gesund werden und heilen. Danach kannst du dir Gedanken machen. Über dich, über uns, über meinen Vater und bitte auch über den Welpen, den du fast erschlagen hast", dabei knuffte er Sasha leicht in die Seite.

„Hey, nimm mal ein bisschen Rücksicht, ich bin schließlich verletzt! Und den Welpen hab ich überhaupt nicht fast erschlagen, ich weiß mit welcher Kraft ich werfe", protestierte dieser und rutschte ein Stück zur Seite um Castiels Arm zu entkommen.

„Stimmt. Du bist ja kein Alpha, du kannst bestimmt gar nicht so viel Kraft aufbringen, wie es gebraucht hätte, um den Welpen zu erschlagen", dabei hielt Castiel selbstsicher die Nase in die Luft.

Schläfrig bewegte Sasha nur abwertend die Hand, er hatte keine Lust auf eine solche Diskussion. „Ja, ja", murmelte er leise.

Castiel schmunzelte über Sashas Antwort nur. „Du solltest dich ausruhen." Er drückte seinem Gefährten noch einen kleinen unschuldigen Kuss auf die Lippen, stemmte sich dann hoch. „Ich muss jetzt gehen, wenn ich nicht will, dass es noch mehr Ärger gibt." Castiel sammelte den Lappen wieder ein, legte die Kleidung und etwas Essbares ordentlich für Sasha bereit. „Aber ich komme später wieder, versprochen." Als er die Höhle verließ, blickte er nicht noch einmal zurück, aus Angst, es nicht übers Herz zu bringen zu gehen, würde er es tun.

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