Epilog Sasha

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In Gedanken versunken wanderte Sasha durch die Stadt, die Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben. Frisch gefallener Schnee knirschte unter seinen Schuhsohlen. Mit dem Schnee hatte die Kälte einzug genommen. Fast eine Woche war es her, dass Castiel und er die letzten Worte im Wald gewechselt hatten. Seit dem Tag hatten sie sich nicht mehr gesehen, keine Nachricht, kein einziges Wort. Am Anfang war er noch furchtbar wütend gewesen, war stundenlang gelaufen, um den ganzen Frust loszuwerden. Doch nichts hatte geholfen, am Ende war er nicht nur körperlich ausgelaugt, sondern auch sonst keinen Schritt weitergekommen. Sein Körper rannte bis er fast zusammen brach, sein Kopf hingegen war rastlos.

Wieder und wieder wiederholte sich das Gespräch mit Castiel in seinem Kopf. Wieder und wieder stellte er sich vor, wie er die Situation hätte ändern können, wie sie vielleicht doch noch...

Seine Welt hatte sich verdüstert und das lag nicht allein an den tristen, eisigen Fassaden der Häuser um ihn herum. Etwas hatte sich verändert. Es war verschwunden. Er konnte nicht richtig beschreiben, was es war. Aber es hatte seine Welt verwaschen und farblos hinterlassen. Stundenlang wanderte er jetzt schon durch die Straßen, ein dunkler Schatten zwischen den vorbeieilenden Menschen, die so schnell wie möglich wieder in die Wärme ihrer Häuser zurückkehren konnte. Wärme. Hitze. Wut. Endlose, alles verschlingende Wut.

Sasha war dankbar für die Kälte, wie winzige Nadeln prickelte sie auf der bloßen Haut seines Gesichtes und färbte seine Wangen rot. Sie erstickte den lodernden Frust in seinem Kopf und hinterließ nichts als endlose Leere.

Er fühlte sich zurückversetzt an den Tag im Wald, an dem er realisiert, dass Castiel nicht wie versprochen wiederkommen würde. Dass er gegangen war, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Auch da schon war er wie kopflos losgezogen, hatte versucht seinen Gefährten zu finden. Seine Spuren, seinen Geruch. Irgendwas. Er hatte sich an den Gedanken geklammert, dass dieser vielleicht doch nur für ein paar Tage unterwegs gewesen wäre und bald wiederkäme.

Schon da hatte er verstehen müssen, dass seine Hoffnungen sinnlos gewesen waren. Dass nichts, aber auch gar nichts, die Meinung seines Gefährten hatte umstimmen können. Aber er hatte genug gehabt von dieser ständigen Einsamkeit, von dem Alleinsein mit nichts außer den eigenen Gedanken.

Nach einer Woche quälenden Wartens und langen Nächten, die er ziellos durch den Wald gewandert war auf der Suche nach etwas, dass diese schmerzhafte Leere hätte füllen können, hatte er schließlich endlich eine Spur gefunden. Sie war winzig gewesen und hatte ihm noch so unglaublich viel bedeutet.

Ein bitteres Lächeln erschien auf seinen Lippen, eines der vielen, die in den letzten Tagen über sein Gesicht gehuscht waren. Nichts war lange geblieben. Nichts außer der Gewissheit, dass er nun wieder allein war in dieser verdammten Welt.

Niemals hätte er es sich träumen lassen, dass er jemanden so vermissen konnte. Er wollte wieder zurück zu dem Punkt in seinem Leben, in dem seine einzige Sorge die Wanderer in seinem Territorium und seine nächste Mahlzeit gewesen waren.

Die Zeit, in der er ohne dieses ganze Gefährten-Desaster gelebt hatte. Einfach, aber durchaus glücklich.

Nichts war ihm davon geblieben. Er hatte seinen Platz im Wald aufgegeben und nun auch noch den Grund verloren, wegen dem er überhaupt erst gegangen war.

Jetzt hatte er gar nichts mehr.

In einem erneuten Aufbäumen von Wut rammte Sasha seine Faust gegen die neben ihm aufragende Ziegelmauer. Mit einem Knirschen bröckelte der Putz aus den Fugen. Erneut schlug er dagegen. Mit einem Beben schienen die Steine gegen ihnen Unrecht zufügende Gewalteinwirkung zu protestieren.

Mit einem dumpfen Schlag landete etwas vor seine Füße. Dunkel hob es sich vom Schnee auf dem Gehweg ab. Sasha bückte sich, um das Ding aufzuheben. Kurz erstarrte seine Hand, als er realisierte was genau es war. Fast zuckten seine Finger, versucht es einfach liegen zu lassen.

Dunkle Knopfaugen schienen ihn von seiner Handfläche aus vorwurfsvoll anzustarren. Sasha wand den Blick ab. Tränen blitzen in seinen Augen, im schmutzig gelben Licht der Straßenlaternen glitzerten sie wie der Schnee zu seinen Füßen.

Mit einer abrupten Bewegung steckte Sasha das gehäkelte Eichhörnchenin die Jackentasche und verließ den Ort, mit dem er so viele schöne undschmerzhafte Erinnerungen verband, um nie wieder zurückzukehren.

WolfssorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt