Kapitel 39

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Puggy - Where you belong

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„Verdammt!", fluchend stieß Sasha die Wohnungstür auf und ließ sie knallend ins Schloss fallen. „Kein Fluchen in meinem Haushalt!", ertönte es fast gleichzeitig aus dem Wohnzimmer. Eine schlanke, dunkelhaarige Frau erschien im Türrahmen und wedelte mahnend mit einem Pinsel der Hand, die Farbe, die sie dabei an den Wänden verteilte ignorierte sie beflisst. 

„Genau! Und auch keine Türen knallen, hat Mami gesagt...oh, hi Sasaaa!", quietschte das kleine Mädchen, was sich hinter den Beinen ihrer Mutter hervor drückte und mit freudigem Gebabbel auf ihn zu rannte. Nur mit Not schaffte Sasha es dem winzigen über und über mit Farbe beschmierten Kind auszuweichen. „Guck mal, wir haben gemalt!", grinste sie glücklich und streckte ihm ihre gepunkteten Arme entgegen. 

„Es sieht eher so aus als hätte die Farbe dich bemalt", Sasha strich Hedwig über die klebrigen Haare und bekam prompt blaue Fingerspitzen. Er warf ihrer Mutter einen fragenden Blick zu, erhielt jedoch nur ein entnervtes Augenverdrehen und ein deutliches Nicken Richtung einer geschlossenen Zimmertür nebenan. „Kommst du gleich wieder?", enttäuscht sah Hedwig zu, wie er an ihr vorbei Richtung Tür ging. Er grinste. „Klar, Henni. Ich schmeiß nur schnell deinen Bruder aus dem Bett und dann können wir weiter malen gehen ok?" Begeistert klatschte sie in die Hände und flitzte zurück ins Wohnzimmer. „Ich fang schon mal an!", hörte man sie noch brüllen, bevor alles in einem scheppernden Getöse unterging, „nichts passiert!" Ihre Mutter seufzte und lächelte Sasha müde zu: „Viel Glück, ich gucke mal nach dem Chaos da drin."

Sasha grinste erneut. Er zögerte eine Sekunde, um zu überlegen wie er nun die Klinke drücken solle, bevor er schließlich die nicht farbigen Ellenbogen benutzte, um die Tür zu öffnen.

Drinnen herrschte vollkommene Dunkelheit, doch Sasha war schon oft genug hier gewesen, um sich bestens auszukennen. Und so traf seine Handfläche punktgenau den Lichtschalter, der den Raum umgehend taghell werden ließ. „Guten Morgen, guten Morgen. Guten Morgen, Sonnenschein!", brüllte er dabei, schnappte sich ein T-Shirt vom Boden, knüllte es zusammen und schleuderte es auf die unter Decken begrabene Gestalt auf dem Bett. „Aufstehen! Es ist Mittag und unsereins hat Hunger!"

Mehr als ein unwilliges Brummen war von unter den Laken nicht zu hören. „Rise and shine, honey!", sang Sasha furchtbar schräg weiter, bückte sich erneut und bewarf den Haufen mit einer herumliegenden Jeans.

Ein kleiner Ruck ging durch das Knäul, dann kämpfte sich ein einzelner Finger frei, um die Decke um gut vier Zentimeter anzuheben und ein dunkel umrandetes Auge hinausschauen zu lassen. „Geh weg", krächzte das Wesen, das noch nicht als Viktor zu erkennen war. „Morning has brokeeennn! Like the first morninnng", grölte Sasha grinsend weiter, mit gesenktem Blick suchte er den Boden nach weiteren Wurfgeschossen ab, während Viktor auch noch den Rest seines rechten Arms aus seiner warmen Höhle befreite, um seinerseits nach Waffen zu greifen. Ihm fiel schneller etwas in die Hände. Ein Schuh flog zielgenau an Sasha vorbei und traf gegen den Lichtschalter. Die Deckenlampe erlosch. Sofort schlug Sasha seinerseits gegen den Schalter und die Lampe erstrahlte erneut, dabei entfuhr ihm ein lautes: „Es lebt und wirft!"

„Geh weg", knurrte es erneut. Schuh Nummer zwei folgte Schuh Nummer eins. Wieder ging das Licht aus und wurde prompt wieder angeschaltet. Dann war ein gequältes Stöhnen zu hören, als Viktor erkannte, dass er wohl oder übel würde aufstehen müssen. „Gib mir eine halbe Stunde", flehte er und schaffte es dafür sogar, auch noch das zweite Auge zu befreien. Sein Hundeblick ging erfahrungsgemäß mit zwei Augen einfach besser. „Du hast zehn Minuten, beweg dich!", damit drehte Sasha sich um und marschierte durch die sperrangelweit aufstehende Tür zurück ins Wohnzimmer.

Viktor ließ die Decke wieder fallen. Lauschige Dunkelheit. Er seufzte einmal gequält auf. Es war klar, dass Sasha wiederkommen würde, würde Viktor sich nicht bewegen. Also schlängelte er seinen rechten Arm wieder unter der Decke hervor, ohne dabei auch nur ein Fitzelchen Licht hinein zu lassen. Er tastete seine Decke nach den von Sasha geworfenen Kleidungsutensilen ab und wurde fündig. Er streifte das Shirt einfach unter der Decke über. Erst danach traute er sich ins Licht, aber auch nur mit geschlossenen Augen. Blind tastete er das Bett weiter ab, bis ihm der raue Stoff einer Jeans unter die Hände kam. Als diese seine Beine bedeckte, schlappte er aus seinem Zimmer heraus. Im Flur pellte er seine Augen auf, aber auch nur, um nirgends dagegen zu laufen.

Ziel 1: Bad. Ziel 2: Kaffee. Soweit der Plan. Offensichtlich unterbrochen durch den Gang am Wohnzimmer vorbei. Viktor hörte seine kleine Schwester lachen. Und wenn Henni lachte, dann musste Viktor natürlich nachschauen, warum sie lachte. Weiter als bis in den Türrahmen trugen ihn seine müden Beine nicht. Dann musste er sich erstmal anlehnen, um zu gähnen. Als er sich die Tränen aus den Augen blinzelte, erblickte er ein Bild für die Götter. Im wie immer unordentlichen Wohnzimmer bis Atelier hatte Henni die Körperfarben unter den vielen anderen Farben hervorgekramt. Sasha saß in der Mitte des Raumes und ließ sich bereitwillig Gesicht und Oberkörper bemalen mit einer Farbe, von der sie beide wussten, dass es die Hölle wäre, sie wieder ab zu kriegen. In rosa und pastellblau, obwohl weder Henni noch Sasha diesen Farbton bevorzugten. Daneben stand Viktors Mutter an der Staffelei, zu versunken in die Malerei eines Oberarms, an der sie arbeitete, um zu bemerken, was in ihrem Rücken passierte. Viktor konnte spüren, wie sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Obwohl er gerade erst aufgestanden und nun wirklich kein Morgenmensch war, war er fröhlich. Es fühlte sich einfach richtig und vertraut an, hier zu stehen und den anderen bei dem zuzusehen, was sie eben taten. Wie Familie.

Aber auch Familie stand nicht über einer vollen Blase. Also erstmal zurück zu Ziel 1: Bad. Was auch relativ schnell ging. Nach glatten sieben Minuten also auf zu Ziel 2: Kaffee. Was länger dauerte. Viel zu langsam für Viktors Geschmack tröpfelte das braune Lebenselixier aus der Maschine in die Tasse. Viktor beschloss, sich noch ein wenig auszuruhen, legte den Oberkörper auf dem Küchentresen ab und blinzelte die Kaffeemaschine müde an. Tropf. Tropf. Tropf. Gähn. Tropf. Tropf. Blinzel. Schnarch.

„Mach mal ein bisschen Platz hier!", tönte es da von hinten und er wurde unsanft zur Seite geschoben. Sasha drängelte sich an ihm vorbei, kümmerte sich jedoch wenig um die rosa Farbe, die er dabei auf Viktors Shirt hinterließ. Aus den Augenwinkeln betrachtete er das Häuflein Elend neben der Kaffeemaschine und fragte sich ernsthaft, wie es dieses Wesen in irgendeiner Weise schaffte, ein normales Leben zu führen, wenn es schon Mittags so aussah als könne man ihm gleich vor den Füßen ein Grab ausheben. Sasha wusch sich die Hände und beschloss, dass es nun wirklich Zeit war zu kochen und dass er genau jetzt an die Schubladen musste vor denen Victor lehnte, wie praktisch. Kurzerhand packte er den Anderen an den Schultern und schob ihn von der Arbeitsplatte.

Mit dem Gesicht vorwärts landete Viktor auf dem Boden. Das tat weh. Mehr als ein "Uff" gab er nicht von sich, ehe er zu debattieren begann, ob es sinnvoller wäre, einfach liegen zu bleiben oder aufzustehen. A: Dann könnte Sasha auf ihn treten. B: Das wäre anstrengend. A: Der Kaffee war oben. B: Ihm gingen die Argumente aus. Also setzte Viktor sich auf, betastete erst einmal sein Gesicht, ob auch alles noch da war, und hob sich dann auf die Füße. Gezielt stellte er fest, dass die Hocker da standen, wo sie immer standen, steuerte seinen sicheren Hafen an und ließ sich fallen. Er wollte schon den duftenden Kaffee zum Mund führen als er feststellte, dass er diesen gar nicht mitgenommen hatte. Wehmütig starrte er zur Maschine herüber.

„Wenn du mir weiter so in den Rücken starrst, krieg ich da noch Löcher", Sasha schob ihm eine volle Tasse über den Tisch, während er weiter in den Schubladen wühlte, „schneidest du mir nachher das Gemüse? Vorausgesetzt natürlich du bist dafür lebendig genug."

„Hm", machte Viktor nur und nippte am Kaffee, der seinem Kopf den benötigten Neustart verpasste. 

WolfssorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt