Kapitel 7

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Fall Out Boy - I don't care

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„Verdammt!", unter empörten Geschrei flog das Rotkehlchenpärchen vom Ast der Buche auf und verschwand schutzsuchend im Geäst, „Wie kann man sich nur auf so einen Idioten prägen?!" Erneut rammte Sasha seine Faust gegen den Baum, dessen Rinde bereits die ersten Risse bekam. Die Freude, die er bei Castiels Ankunft empfunden hatte, hatte sich so schnell wieder verflüchtigt, wie sie gekommen war.

Freude? Pah! Er schlug ein weiteres Mal zu. Warum war er nur so dämlich gewesen zu glauben ein Rudeltier würde sich verändern, nur weil es sich auf einen Außenseiter geprägt hatte. Die Mitglieder eines Rudels waren vergleichbar mit Hunden, die zu allem was ihr Alpha von ihnen verlangte "Ja" und "Amen" sagten. Niedere Geschöpfe, die keinerlei eigenen Willen besaßen und nicht mal auf die Idee kamen selbst über etwas nachzudenken. Holz zersplitterte.

Ein weiterer Fluch entfuhr ihm, bei dem selbst dem erfahrensten Zuhörer beschämt das Blut in die Wangen geschossen wäre. Frustriert hockte er sich auf den Boden und leckte sich über die blutigen Knöchel. Ein Lachen brandete durch seine Kehle, als sich die in ihm aufgestaute Wut entlud. Wie lächerlich die gesamte Szene für einen Außenstehenden ausgesehen haben musste. Er, mit tropfnassen dunklen Haaren, wie er sich über den um einiges größeren Castiel beugte und sie sich dann gegenseitig anschrien. Was als harmloses Gespräch begonnen hatte, war in einem heillosen Durcheinander von Beschuldigungen und Wut geendet. All das, was Sasha eigentlich vermeiden wollte...

Etwas Heißes bahnte sich seinen Weg über seine Wange und als er es auffing stellte er zu seinem größten Erstaunen fest, dass es eine einzelne Träne war, die nun von den letzten Sonnenstrahlen​ beleuchtet, fast hämisch glitzerte. Es war Jahre her, seit er das letzte Mal geweint hatte und der Gedanke an vergossene Tränen brachte ihn zurück an einen viel, viel kälteren Ort, ob gleich Familie dort für ihn noch Wärme bedeutet hatte und der Tod ein Fremdwort gewesen war.

Es war mitten im Winter gewesen, als man ihn vor die Tür setzte. Gerade spielte er noch mit seinen Geschwistern vor dem Kamin, als zwei Arme ihn plötzlich grob vom Boden auf die Beine gezogen hatten. Er erinnerte sich noch genau daran, wie er schrie und um sich schlug, in dem verzweifelten Versuch fort zukommen. Die Kälte war das Einzige, was ihn schließlich zum Schweigen gebracht hatte. Allein, umgeben von Dunkelheit und eiskalten weichen Schneeflocken, die langsam seinen Pullover durchnässten und ihm Schauder über den Körper jagten. Und seine heiße Tränen gefroren auf seinen Wangen zu Eis. Nur zu lebhaft spürte er noch die Verzweiflung und Verwirrung des kleinen Jungen, der er damals gewesen war.

Das erneute, fordernde Grummeln seines Magen riss ihn aus den Erinnerungen, und Sasha schüttelte energisch den Kopf. „Reiß dich zusammen! Genug mit dem Selbstmitleid!" Er hatte sich verändert! Es gab keinen Grund mehr Vergangenem hinterher zu trauern, er war stark und schnell geworden, besaß eine enorme Ausdauer und konnte es ohne Probleme mit einem ausgewachsenen Bären aufnehmen, wenn er sich geschickt anstellte. Seine Narben zeugten von zahlreichen Kämpfen, aus denen er siegreich hervorgegangen war. Er war stark, so ein kleines Problem würde ihn doch nicht von seinem Gefährten trennen. Das Rudel? Ein grausames Lachen entwich ihm und der raue Durst nach Blut verdunkelte seine Augen. Er ließ den Gedanken offen und wandt sich etwas deutlich angenehmeren zu.

Castiel.

Noch immer spürte er den Blick seiner grauen Augen mit den langen schwarzen Wimpern auf sich und ein Schaudern rollte über seinen Rücken. Seine Wut, die wie dunkle Wolken vor dem Sturm seine Augen verdunkelt hatten, als sie auf seine Rolle im Rudel  zu sprechen gekommen waren. Sasha dehnte seine Hände, noch immer spürte er Castiels seidenweiche Haare zwischen den Fingern hindurch gleiten. Die sanften Strahlen der Sonne hatte sich als weichen Glanz in den Spitzen gefangen. Fast sehnsüchtig versuchte er sich vorzustellen, wie weich sich Castiels Haut unter den Fingerspitzen anfühlen musste. Ein warmes Lächeln umspielte seine Lippen und er erwischte sich, wie er sich versonnen an die Buche lehnte und in Leere starrte.
Verstört vom Wirrwarr der Gefühle schüttelte er entnervt den Kopf. Castiel hatte mit seinen Gefühle gespielt, ihn beleidigt und verletzt und trotzdem konnte er sich aus irgend einem Grund nicht dazu bringen ihn zu hassen.
Wie lange genau er dort stand und sich den Kopf zerbrach, wusste Sasha nicht mehr. Doch irgendwann spürte er wie der Wind seinen Körper abkühlte, er erschauderte und erinnerte sich plötzlich daran, dass er ja in Menschengestalt und noch dazu nass war. Das krachende Geräusch von Knochen, die brachen und sich wieder neu zusammensetzten ertönte, als er die Verwandlung vollzog und dichtes braunes Fell bahnte sich seinen Weg über seinen Körper. Sasha verzog das Gesicht, die Wandlung war für ihn noch nie angenehm gewesen. Das ganze Gerede von einer Art magischen Veränderung was man Kindern erzählte? Vollkommener Unsinn! Natürlich war es alles andere als schön zu spüren, wie der gesamte Körper sich verformte, das Rückrat sich krümmte und einem Krallen an den Händen wuchsen.

Rasch drehte er sich um und verschwand in den Büschen, um sich am Feuer seiner Höhle aufwärmen zu können. An Schlaf wagte er nach allem was passiert war, auch diese Nacht nicht zu denken.

WolfssorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt