Kapitel 42

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Meg Myers - Monster

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Mit einem tiefen Grollen bog das Motorrad auf den geschotterten Parkplatz. Das Geräusch wurde zu einem leichten Schnurren, als es zum Stehen kam. Sasha schwang ein Bein über die Sitzfläche der blauen Maschine und zog sich den Helm vom Kopf. Zögernd schaute er in Richtung des Waldrandes, als erwartete er, dass da etwas auftauchen würde. „Kommst du klar oder soll ich mitkommen?", Viktor blickte ihn fragend an, den eigenen Helm unter dem Arm während er den Motor ausstellte. „Passt schon", freundschaftlich klopft Sasha ihm auf die Schulter und machte sich auf den Weg zu den Bäumen. „Danke fürs Fahren."

„Immer doch. Wenn irgendwas schief läuft,. schrei und ich komme dich retten?", sagt Viktor, sich der Tatsache vollkommen bewusst, dass Sasha ihn jeder Zeit flachlegen konnte, wenn er denn wollte.

Castiel stand bereits eine halbe Stunde im Wald und linste zum wiederholten Male auf die Uhr. Er war früh dran gewesen. Mittlerweile war es kurz nach 18:00 Uhr und Sasha damit etwas spät dran. Unruhig stolperte er ein paar Schritte hin und her, ehe ein Geräusch ihn aufschreckte. Sasha kam durch den Wald auf ihn zu gestiefelt. Er blieb vor Castiel stehen und verschränkte steif die Arme vor der Brust. Schweigend starrte er seinen Gefährten an und wartete. Auf eine Bewegung, einen Satz. Irgendwas, damit er endlich aufhören konnte, sauer zu sein. Eine Entschuldigung?

Castiel stand unnatürlich steif da und vermied es, Sasha in die Augen zu sehen. Er holte einmal tief Luft und stieß den Atemzug gleich wieder aus. „Ich...", stammelte er und verlor sofort wieder den Faden. „Also..." Er hatte sich genau zurechtgelegt, was er hatte sagen wollen, aber jetzt war alles weg. Wie immer. „Äh..."

Entnervt verdrehte Sasha die Augen, wie jedes Mal, wenn Castiel es nicht schaffte zum Punkt zu kommen. Ungeduldig verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.

„Tschuldigung", wisperte Castiel. Nervös kratzte er sich am Arm. „Ich habe eine Entscheidung getroffen", sagte er so selbstbewusst, wie er konnte, was nicht sehr war. „Ich möchte nicht weiterhin von meinem Vater kontrolliert werden." 

Sashas Gesicht hellte sich merklich auf. Er sagte aber nichts dazu, sondern ließ Castiel fortfahren: „Daher möchte ich, dass du mich markierst. Ich will Alpha werden. Ich will das Rudel übernehmen. Ich will gut sein. Und ich denke... " Er stockte einen Moment. „dass wir deswegen nicht zusammen sein können."Sasha runzelte sichtlich irritiert die Stirn. Innerlich atmete er einige Male tief durch, konnte jedoch nicht verhindern, dass seine vorher noch so hoffnungsvolle Laune jetzt sturzbachartig absackte. „Bitte was?", brachte er schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. 

Castiel lief es bei Sasha Ton kalt den Rücken runter. Er zog verunsichert die Schultern hoch und holte tief Luft, ehe er zu erklären begann: „ich trage mit dem Rudel eine große Verantwortung. Du magst meinen Vater nur kurz getroffen haben, aber allein dadurch hast du schon einen guten Eindruck bekommen. Er behandelt das Rudel nicht besser als dich oder mich. Und das kann und möchte ich nicht weiter zulassen. Es wird mich meine ganze Zeit und Energie kosten, mich gegen meinen Vater aufzulehnen und all das Leid zu korrigieren, das er verursacht hat. Du würdest nicht glücklich sein an meiner Seite; müsstest beim Rudel bleiben, alles was du hast aufgeben und alles wofür du stehst verleugnen und trotzdem hätte ich kaum Zeit für dich und könnte dir nicht zurückgeben, was du für mich tun müsstest. Das möchte ich dir nicht antun. Gerade, weil ich dich mag. Ich weiß, wir hatten viele holprige Momente, aber gerade, wenn es harmonisch war, habe ich mich mit dir sehr wohl gefühlt."

Ungeduldig trat Sasha von einem Fuß auf den anderen. 

 „Ich glaube nicht, dass ich von Liebe sprechen kann, gerade, weil wir mit einem ganz schönen krachen auseinander gegangen sind und uns sehr oft nicht verstanden haben, aber ich glaube, unter anderen Umständen hätten wir tolle Gefährten werden können. Und ich hätte dich wirklich Lieben können." 

„Und warum hast du dann nicht mal versucht, irgendwas an der Situation zu ändern?", unwirsch fuhr Sasha sich mit der Hand durch die Haare, Wut und Enttäuschung spiegelte sich in seinen Augen. „Ist dir schonmal in den Kopf gekommen, dass der Einzige, der an allem was hätte ändern können, du selbst bist? Wenn du nur mal den Hintern in der Hose gehabt hättest, dich vorher mit deinem bekloppten Vater auseinander zu setzten...", mittlerweile lief er auf und ab, „aber nein! Das Einzige, wozu du imstande bist, ist rumheulen und dich selbst bemitleiden! Schon mal überlegt, wie es mir damit geht? Wie man sich fühlt, wenn die Person mit der man den Rest seines Lebens verbringen möchte einen immer hinhält und man nie weiß, woran man tatsächlich ist. Das ist anstrengend und tut verdammt weh!" 

Resigniert setzte er sich ins Gras, der Boden war feucht und hinterließ dunkle Flecken auf seiner Hose. Die Kälte dämpfte die Wut bis nur noch Frust und Resignation übrig war. Er war müde. Hatte keine Lust mehr auf das ständige Streiten, nur um am Ende wieder nicht zu wissen, ob am nächsten Morgen nicht alles vorbei sein konnte.

„Aber den Hintern hatte ich nun mal nicht. Viel zu lange hatte ich ihn nicht. Mein ganzes Leben lang wurde mir gesagt, dass ich nichts alleine kann, dass ich nicht stark genug bin und ewig von meinem Vater abhängig sein werde. Und ich habe es nicht nur selber geglaubt sondern mir irgendwann sogar selbst eingeredet. Und auch das ist ein Grund, dich gehen zu lassen." Wütend vergrub Sasha die Finger im Boden. „Und was ist, wenn ich verdammt nochmal nicht gehen will?! Schonmal daran gedacht?" Castiel schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln. Er spürte, wie ihm das Gespräch zusetzte, aber er hatte eine Entscheidung getroffen und er würde darauf beharren. „Ja. Ich kann nicht garantieren, dass all diese Dunkelheit nicht wieder zurück kommt, dass ich dich nicht wieder verletze und hinhalte und ich rumheule und mich selbst bemitleide. Und das möchte ich dir nicht antun. Also bitte, geh und werde glücklich." Müde schaute Sasha zu ihm auf, in seinen Augen glitzerte es verdächtig. „Tja, scheinbar kam diese Erkenntnis doch reichlich spät", leicht gehässig fügte er hinzu, „hast ja auch lange genug gebraucht, um drüber nachzudenken, huh?" Er stand auf und klopfte den Dreck vom Stoff seine Jeans. Ein ironisches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Aber solange es dir gut geht und du 'nen Plan von deinem weiteren Leben hast ist ja alles in Ordnung. Wie's anderen geht ist schließlich irrelevant hauptsache du hast weiter deine Freude und ein, ach so, reines Gewissen, dass du nichts falsch gemacht hast." „Das habe ich."

„Nun, dann hat sich das jetzt wohl erledigt", Sasha wand sich zum Gehen. „Warte!", forderte Castiel und griff nach Sashas Arm. „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Bitte markiere mich. Du hast davon keinen Nachteil und ich würde rechtmäßiger Alpha des Rudels. Du würdest mir damit sehr helfen."

Mit einer ruckartigen Bewegung riss Sasha sich los. „Das ist nicht mein Problem, daran hättest du vielleicht vorher mal denken sollen!" Er wollte sich entfernen, kam aber nicht weit, weil sich wieder Castiels Hand um sein Handgelenk schloss. „Bitte Sasha", flehte dieser. „Verstehst du's nicht?", heftig stieß Sasha Castiel von sich, so dass dieser stolperte und mit dem Hosenboden im hohen Gras landete. Ein Knurren grollte durch Sashas Kehle, als er auf den anderen hinab blickte. „Lern endlich mal deine Probleme selbst zu lösen! Das wolltest du doch, oder?" Ohne einen weiteren Blick machte sich Sasha auf den Weg zurück zum Parkplatz.

Castiel blieb noch sitzen, bis er seinen Gefährten, seinen ehemaligen Gefährten, nicht mehr sehen konnte. „Ja", antwortete er. Seine Stimme klang hohl. Er fühle sich hohl. Erst dann stand er auf und verließ entkräftet den Wald. 

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