Kapitel 13

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Imagine Dragons - It's Time

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Einige Tage später.

Zufrieden räkelte sich Sasha in der Sonne. Ihm war warm, er war satt und seine Wunden waren verheilt. Nur noch schmale silbrige Lienen zeugten vom Angriff des Alpha und zogen sich in von der Schulter bis hinunter zum Brustbein. Deutlich hoben sie sich von der sonnengebräunten Haut seines Oberkörpers ab. Sasha betrachtete sie keinesfalls als Entstellung, sondern trug sie stolz wie Siegeszeichen. Ein selbstgefälliges Grinsen huschte über sein Gesicht als er Castiels Haar dabei zusah, wie es glitzernd das Licht zurückwarf. Der Jüngere hatte seinen Kopf auf Sashas Beine gelegt und schien friedlich zu schlafen. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht um seinen gegen den Stamm einer Esche gelehnten Rücken etwas zu entlasten. Rau hinterließ die Rinde ihre Spuren als Kratzer und scheuerte ihm den Rücken wund. Doch Sasha ignorierte das Gefühl, leichtes Bedauern überschattete seine Gedanken einen Moment, als er daran dachte, wie wenig Zeit ihnen zusammen doch vergönnt war. Er schnaubte frustriert und strich Castiel über den Kopf, er konnte immer noch nicht verstehen, warum dieser sein Rudel um jeden Preis nicht verlassen wollte. Und das, obwohl das Leben alleine draußen viel mehr Freiheiten versprach.

Castiel erwachte aus seiner Döserei durch ein Streicheln. Er hatte sich zwischen den Aufgaben, die sein Vater ihm unablässig stellte, aus dem Haus gestohlen, um Sasha zu treffen. Das war zwar auch nicht unriskant, aber er hatte eine Vereinbarung mit seinem Vater und auch wenn sein Vater kein guter Mann war, er brach seine Versprechen doch nicht. Blinzelnd öffnete Castiel die grauen Augen und sah zu Sasha hinauf, der scheinbar unzufrieden die Stirn runzelte. Er streckte die Hand aus und glättete die Sorgenfalten, zog Sashas Aufmerksamkeit auf sich. „Mach dir keine trüben Gedanken, wenn ich da bin. Und wenn es schon sein muss, dann besprich sie wenigstens mit mir. Vielleicht kann ich das Problem ja lösen", ordnete Castiel sanft an.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du schon wieder redest", Sasha schnipste ihm spielerisch gegen die Stirn, „und du solltest aufhören zu versuchen, mir Befehle zu erteilen." Er streckte sich erneut.  „Ich bin nicht einer deiner Rudelmitglieder. Vergiss das nicht."

„Eines meiner Rudelmitglieder", korrigierte Castiel spontan, ohne sich weitere Gedanken darüber zu machen. „Und würde ich nie."

Sasha zuckte mit den Schultern. „Dann eben so." Seine Augen wanderten über die Wipfel der Bäume hinauf zu den Wolken am Himmel. Unbewusst rieb er sich den Nacken, seine Finger berührten das raue Narbengewebe, welches sich über die Haut zog. Die Narbe war noch recht frisch und ihre Position war ihm immer noch unangenehm.
Entnervt über sich selbst verdrehte er die Augen, weil er sich ein weiteres Mal in Erinnerungen versunken erwischt hatte.

„Stell dir das mal vor, wenn du Teil meines Rudels wärst, dann müsste ich mich nicht mehr so davonschleichen", überlegte Castiel laut.

„Huh?", überrascht blickte Sasha auf seinen Gefährten hinunter, „das kann jetzt nicht dein Ernst sein, oder? Du weißt ganz genau, was ich von Rudeln halte." Er zog eine Augenbraue nach oben und schaute Castiel unwillig an.

„Ist ja schon gut, war doch nur ein Gedanke. Ist sowieso nicht umsetzbar...", nuschelte Castiel. Er schwieg ein wenig. Aber er wollte nicht schweigen. Er wollte nicht einsehen müssen, dass sie wohl in allem außer Streiten und Küssen, denn das war wohl bewiesen, miteinander inkompatibel seien. „Erzählst du mir, warum du allein hier um Wald lebst?", fragte er schließlich nach ein wenig Überwindung und Bedenkzeit, ob er diese Frage wirklich stellen wollte und konnte.

„Da gibts nicht viel zu erzählen", Sasha verschränkte die Arme vor der Brust, „sie haben mich raus geschmissen. Warum? Ich habe keine Ahnung. Sicher, ich bin alles andere als einfach gewesen. Hab immer was angestellt, aber an dem Abend hatte ich ausnahmsweise mal nicht verbrochen..." Er verlagerte sein Gewicht. „Es war Winter und draußen wütete ein Schneesturm. War verdammt kalt, vor allem ohne Schuhe. Ich weiß nicht genau wie, aber irgendwie hab ich es geschafft mich in einer der Höhle in denen wir immer gespielt haben zu verkriechen und hab darin dann den ganzen Winter verbracht."

„Und deine Familie? Wollte die dich nicht bei sich haben?", fragte Castiel weiter. 

„Sag mal passt du nicht auf?", ein bitteres Lachen entwich Sashas Kehle, „Die haben mich doch schließlich raus geschmissen. Sie scheinen keine weiter Verwendung für mich gehabt zu haben, warum sollten sie mich dann noch 'bei sich haben' wollen?!" Triefend​ vor Sarkasmus wiederholte er Castiels Worte und konnte den bitteren Unterton nicht länger unterdrücken. Wie ein Echo hallte das Wort "Familie" durch seinen Geist und hinterließ den abstoßenden Geschmack von verdorbenem Fleisch auf seiner Zunge.

Mitleid machte sich in Castiel breit. Weil Sasha ‚sie' gesagt hatte, war er wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass das Rudel gemeint gewesen war. Es konnte schon mal passieren, dass ein Rudel ein Mitglied verstieß, wenn auch eher selten Kinder, doch eine Familie... Immerhin sagte man, Blut sei dicker als Wasser. Familie musste zusammen halten, zumindest glaubte Castiel das. Sein Vater sagte immer, die Familie ginge vor, nur bei ihnen Alphas eben nicht, denn sie trügen die Verantwortung für ihr Rudel und damit sei auch das ganze Rudel die Familie oder eben wichtiger als diese. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es wäre, würde sein Rudel oder gar seine Familie ihn verstoßen. „Das tut mir leid für dich." 

„Ach was, so schlimm war es gar nicht", er zwinkerte Castiel zu, „schließlich konnte ich von da an immer tun und lassen, was ich wollte. Es gab niemand, der mir sagen konnte was ich zu tun und zu lassen hatte. Das war die vollkommene Freiheit schlecht hin." Er grinste frech, fügte dann jedoch hinzu: „Nur das Überleben war vor allem am Anfang schwieriger als gedacht und ich bin mehr als einmal fast drauf gegangen."

„Tun und lassen, was man will. Das ist etwas, worum ich dich wirklich beneiden könnte", Castiel streckte sich einmal quer über Sashas Schoß um die gemütliche Trägheit aus den Knochen zu bekommen, die noch vom Schlaf übrig war. „Ich glaube nicht, dass ich sowas jemals haben werde. Eigentlich müsste ich mich sogar jetzt schon wieder auf den Rückweg machen. Aber ich will nicht. Aber ich muss", Castiel setzte sich auf. „Ich verspreche dir aber hoch und heilig, dass ich morgen wiederkomme." 

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