Kapitel 26

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Daniel Powter - Bad Day

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Nur eine Sekunde lang spürte er nichts, dann streiften seine Finger Metall. Geistesgegenwärtig griff er zu und atmete zischend aus, als seine Handgelenke das Gewicht seines Körpers mit einem scharfen Ruck auffingen. Für ein paar Sekunden baumelten seine Füße haltlos in der Luft, während Sasha mit seinen auch im Dunklen sehenden Augen nach der nächstgelegenen Stufe der Feuerleiter suchte. Er knurrte angestrengt. Kaum berührten seine nackten Zehen die eisigen Sprossen, kletterte er auch schon die Fassade hinab Richtung Boden. Leise murmelnd verfluchte er den harten Beton und wünschte sich im Stillen den weichen Grund des Waldes zurück, verspannt rieb er sich die linke Schulter und streckte die vom Sprung gezerrten Arme. „Tu dir keinen Zwang an", ertönte eine Stimme hinter ihm und ließ ihn abrupt herumfahren. Im Rahmen der offenen Hintertür lehnte eine der zahlreichen Bedienungen der Bar, musterte ihn gelangweilt von oben bis unten und grinste schließlich. Unbeeindruckt hob Sasha eine seiner Brauen, er beschloss den Kommentar zu ignorieren und setzte seinen Weg durch das Tor des Hinterhofes fort. Auf der Straße schob er sich die Kapuze seines dunklen Pullovers über den Kopf und joggte los. 

Schon bald wandelten sich die gepflegten Häuser und einigermaßen sauberen Straßen zu Gebäuden mit bröckelnden Fassaden, die scheinbar nur noch durch Graffitis zusammenhielten und neonfarbenen Leuchtschilder über den Türen der abgerissen Bars.Dieser Teil der Stadt wirkte im schummrigen Licht der Straßenlaternen zwielichtiger, als er es tatsächlich war. Die zahlreichen Blumenkübel, die man vor Verzweiflung zur Verschönerung aufgestellt hatte, brachten zumindest am Tage ein wenig Freundlichkeit in die sonst von tristen, grauen Häusern dominierte Gegend. In der Nacht sah man diese Farbkleckse allerdings nicht wirklich und so fügten sich die Blüten nahtlos in ihre Umgebung ein. Mit einer flüssigen Bewegung wich er einem am Boden liegenden Scherbenhaufen und den Überresten einer toten Taube aus, in den letzten Tagen hatte er gelernt, dass man besser auf seine Füße achtete, wenn man des Nachts unterwegs war, vor allem, wenn man keine Schuhe trug. Ansonsten konnte es schon mal sein, dass die Pfütze nicht nur oder überhaupt nicht aus Wasser bestand, innerlich schüttelte Sasha sich. Ein weiterer Punkt auf seiner „Warum-ich-keine-Städte-mag"-Liste. Vor einem schmuddelig wirkenden Laden blieb er schließlich stehen. Dass sich hinter der mehrfach reparierten und neu zusammengezimmerten Tür tatsächlich etwas befand, was man als Bar bezeichnen könnte, war für Neuankömmlinge eher unvorstellbar. 

Leicht außer Atem stieß Sasha die Tür auf und betrat das Haus. Drinnen empfing ihn der Geruch nach Rauch, Bier und abgestandener Luft. Ein einziger Blick Richtung Tresen reichte aus, um ihn erkennen zu lassen, dass Viktor noch nicht da war. Sasha runzelte verstimmt die Stirn und tat gerade einen weiteren Schritt in den Raum, als sich ein breiter Arm um seine Schultern legte. Abrupt zuckte er zurück und drehte sich um, um den Ursprung der plötzlichen Berührung zu finden. „Schreckhaft wie immer, hu?", breit grinsend starrte der muskelbepackte Stiernacken auf ihn hinab. Sasha verdrehte die Augen. „Das nennt sich Reflexe, solltest du auch mal ausprobieren. Nicht, dass du das nötig hättest, bei dir ist es ja so oder so, als würde man gegen eine Wand rennen, Ramires", spielerisch boxte Sasha dem Anderen gegen den Arm. Als er dem Türsteher das erste Mal begegnet war, hatten sie eine recht hitzige Diskussion über die Funktion von Schuhen in einer Disko geführt, die für beide Seiten wahrscheinlich nicht besonders glücklich geendet hätte, wäre Victor nicht dazwischen gegangen.

Erneut verzog Sasha das Gesicht und linste zurück Richtung Tür. „Hast du Viktor gesehen? Er wollte, dass ich um zwei hier antanze..." „Nö, der war aber auch schon die letzten Tage nicht da. Wahrscheinlich ist der feine Herr Student mal wieder beschäftigt und kümmert sich nicht mehr um das einfache Volk", Ramires klang sichtlich beleidigt, während er Sasha zum Tresen schob. Zustimmendes Grummeln machte die Runde und einige der hartgesottenen Männer nickten verhalten. „Vik studiert?", fragte Sasha skeptisch. "Yep, der studiert Philosophie oder so was.", meinte der Barkeeper und schob beiden ein Bier zu, Ramires winkte allerdings ab, er hätte nur kurz vorbeikommen wollen und wäre eigentlich auf dem Weg nach Hause, sagte er, als er sich verabschiedete. „Philosophie?", wiederholte Sasha ungläubig und musste grinsen, schnell hob er das Glas an die Lippen um sein Lächeln zu verbergen. Eine ganze Weile später hockte er immer noch alleine auf einem der klapprigen Barhocker und drehte das halb leere Glas seines dritten Biers in den Händen, mit jedem weiteren Schluck sank seine Laune weiter in den Keller. Von Viktor fehlte weiterhin jede Spur. "Genug", knurrte er schließlich, kippte den Rest hinunter und knallte das Glas zurück auf den Tresen vor ihn. Missbilligend musterte ihn der Barkeeper, verkniff sich jedoch angesichts Sashas Laune einen Kommentar. Erst draußen, als die Tür hinter ihm zu gefallen war, erlaubte sich Sasha einen lauten Fluch, am liebsten würde er jemanden verprügeln, gleich hier und jetzt und am besten noch ohne jeglichen Grund. 

Frustriert machte er sich auf den Weg zurück und ließ seine angestaute Wut an einer herumliegenden Pepsi-Dose aus, die in formvollendetem Bogen von der nächsten Laterne abprallte und mit einem dumpfen Laut in einer dunklen Seitengasse verschwand. Dass die Dose dem Geräusch nach zu urteilen etwas anderes getroffen haben musste als den Boden, ignorierte er beflisst und stapfte, den Blick auf den grauen Asphalt gerichtet weiter und so kam es, dass der längliche Gegenstand, der nun aus der Gasse flog, ihn nur knapp verfehlte. „Was zum...?", perplex betrachtete Sasha das Brecheisen, welches ihm beinahe den Schädel eingeschlagen und nun ein ziemlich großes Loch in der Hauswand neben ihm hinterlassen hatte. Als nun auch noch die Überreste eines Schuhes in seine Richtung flogen, begleitet von einer Anzahl saftiger Schimpfwörter. Ein bösartiges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, das kam ihm doch gerade recht. Mit einer geschmeidigen Bewegung bückte er sich nach der Metallstange, wog sie in der Hand, zufrieden mit ihrem Gewicht betrat er die Gasse. Seine Raubtieraugen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit und ein einziger Blick reichte aus, um die Situation zu erfassen. Zwei bullige Männer standen ihm gegenüber, sie schienen ihn noch nicht bemerkt zu haben, Sasha verdrehte die Augen. „Hey! Ich glaub, ihr habt hier was verloren. Wollt ihr das nicht wiederhaben?", rief er, die Beiden zuckten zusammen. „Was bist du denn für einer? Zieh dir mal Schuhe an.", pöbelte einer der Männer zurück, bekam von seinem Partner aber sofort den Ellenbogen in die Seite gerammt, „Autsch... Ist doch wahr...", grummelte er und rieb sich die schmerzenden Rippen. Sasha lachte und winkte ab. 

„Freundlich, das höre ich öfter, bedeutet aber nicht, dass ich dieses Ding hier", er betrachtete die Metallstange in seinen Händen, „nicht genauso zurückgeben werde, wie ich es bekommen habe." Er holte aus. Mit einem dumpfen Knall traf Stahl auf Beton, verfehlte sein Ziel jedoch um einiges. Seine Gegenüber lachten. „Das mit dem Zielen müssen wir aber noch mal üben, huh?", spottete der, der zuerst geredet hatte . „Ach was", murmelte Sasha, straffte die Schultern und legte den Kopf leicht schief, seine Stimme glich fast einem Schnurren: „ich fange doch gerade erst an." Sein breites Grinsen entblößte seine Fangzähne. Entsetzen breitete sich auf den Gesichtern seiner Gegner aus, als sie zu sahen, wie sich langen Krallen unter der Haut seiner Fingern hervorschoben. „So meine Freunde, dann wollen wir mal. Mögen die Spiele beginnen!", knurrte er und fixierte die Männer vor ihm mit seinen leuchtenden Augen. Panik spiegelte sich in deren Augen, der Geruch ihrer Angst verpestete die Luft. Ein tiefes Grollen ertönte aus Sashas Brust, als er seine Muskeln anspannte und dem ihm am nächsten Stehenden ansprang.

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