| 6 | Ungeweinte Tränen

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Geschockt fahre ich mir durch die Haare und lehne mich an das Waschbecken.

Warum wollte er wissen was die Krankenschwester gesagt hatte? Warum war er mir überhaupt gefolgt und das sogar ins Mädchenklo? Warum interessierte er sich überhaupt so für mich? Ich war doch nur ein Nerd. Nicht weiter wichtig.

Stumm schaute ich in den Spiegel. Leer starrte mein zweites ich aus dem Spiegel zurück.

Ich spritzte mich etwas kaltes Wasser ins Gesicht, als ich einen Schrei und ein gedämpften Knall hörte. Leicht zuckte ich zusammen, beachtete es jedoch nicht weiter und trocknete mein Gesicht ab.

Dann atmete ich noch einmal tief ein und machte dann die Tür auf.

Obwohl die Krankenschwester gesagt hatte ich soll nach Hause gehen und Bettruhe halten, würde ich zu Sport gehen.

Ich hatte nämlich erstens keine Lust darauf jetzt schon Carla zu Diensten zu stehen und zweitens fühlte ich mich nicht schlecht. Ein bisschen schwindelig aber sonst gut.

Die Krankenschwester hatte meine Narben zum Glück nicht gesehen, obwohl mein T-Shirt kurz hochgerutscht war als ich mich auf die Liege gelegt habe. Mein Bauch schmerzte mit jedem Schritt, aber komischer weise tat es nicht so weh wie ich gedacht hatte.

Mit großen Schritten lief ich zur Sporthalle, wo alle ganz normal weiter Volleyball spielen.

Vorsichtig lief ich in die Halle, in der mich jedoch keiner zu beachten schien. Mit meiner Hand fuhr ich langsam an der Wand entlang, da mir doch schwindliger war als gedacht.

Auf einmal begannen sich kleine schwarze Pünktchen in meinem Sichtfeld zu bewegen und ein stechender Schmerz fuhr immer wieder durch meine Schläfe.

Ich krümmte mich etwas und beeilte mich auf die Bank zu kommen, die an einer der Wände stand.

Vorsichtig setzte ich mich hin und probierte tief ein und aus zu atmen.

Doch es ging nicht.

Ich atmete immer schneller und schneller und fing an zu zittern. Mir wurde heiß und kalt abwechselnd und mein Atem noch schneller.

Ein Mädchen mit braunen Haaren setzte sich neben mich, trank kurz etwas und bemerkte dann das es mir nicht gut ging.

Mein Atem ging unkontrolliert und die schwarzen Punke wurden kleiner und wieder größer. Ein Rauschen breitete sich in meinen Ohren aus und ich nahm alles nur noch gedämpft war.

„Hey! Du hast eine Panikattacke, komm mit raus, frische Luft hilft." Sagte das Mädchen, nahm mich an der Hand und zog mich Richtung Ausgang.

Ich wollte doch hier bleiben, mir ging es gut! Die Krankenschwester meinte doch nur das ich Bettruhe halten sollte und das habe ich getan, ich habe mich doch ausgeruht! Das geht bestimmt gleich vorbei!

Ich wollte nicht raus aber mein Körper war so geschwächt das ich keine Kraft mehr hatte dagegen etwas zu unternehmen. Das Mädchen zog mich geradewegs an die frische Luft, wo sie sich einen Arm von mir um die Schulter legte und mich stützte.

So liefen wir etwas herum und schließlich, mein Atem hatte sich etwas beruhigt, setzten wir uns auf die Tischtennisplatte.

„Ich bin übrigens Olcay, aus der Parallelklasse." Sagte sie mit einem netten lächeln.

„Hope"Gab ich nur zurück, ich hatte mich noch nicht ganz von der Panikattacke erholt und zitterte noch leicht.

„Hast du oft Panikattacken?" Fragte Olcay mich interessiert.

„Nein, im Grunde genommen war das meine erste." gab ich zurück. Ich schaute in die ferne und driftete immer mehr in meine Gedanken ab.

Ich verstand immer noch nicht ganz was Ryan jetzt von mir wollte, geschweige denn warum er mir gefolgt war. Und das mir jemand geholfen hatte als es mir schlecht ging war auch etwas neues.

Ich wurde aus meinen Erinnerungen gerissen als ein Windstoß meine Haare in mein Gesicht wehte.

Erschrocken schaute ich zu Olcay, die mich angrinste und dann aufsprang: „Komm wir sollten langsam zurück, die nächste Stunde fängt gleich an"

Ich grinste zurück und folgte ihr dann in das Gebäude und in die Umkleiden.

Schon auf dem Weg dahin fielen mir die komischen, teils belustigten Blicke auf, die mich verfolgten. Ich zog mich auf Klo um damit keiner meine Verletzungen sehen konnte.

Die letzte Stunde hatte ich Chemie, allerdings schlief jeder bei diesem Lehrer ein, selbst ich. Gähnend schaute ich zu Herr Forbs, der auf seine aufgeschriebene Rechnung guckte und eifrig erklärte.

„Und so könnt ihr erklären was passiert wenn Wasser und ein Alkalimetall, zum Beispiel Liticium aufeinander treffen. Es entsteht eine besonders heftige Reaktion....

Ich hörte nicht mehr zu und starrte aus dem Fenster.

„Hope? Was passiert wenn Natrium auf Wasser trifft?" Herr Forbs schaute mich fragend an.

„Äh...Es reagiert?"

Ein paar aus der Klasse lachten. „Ruhe bitte! Hope, was passiert wenn Natrium auf Wasser trifft?"Sagte er und schaute mich danach wieder fragend an.

Gott wie ich diesen Lehrer hasste!

„Es explodiert?"Fragte ich hoffnungsvoll, in Chemie war ich leider echt die größte Niete aller Zeiten. Okay, du hast nicht richtig aufgepasst. Sagte Herr Forbs mit einem Seufzer.

„Natrium selbst macht ein rauschendes Geräusch und schwimmt sozusagen im Wasser hin und her.

Nach einiger Zeit fängt es an zu brennen und schließlich zum Schluss und da hattest du recht Hope, explodiert es."

Er nickte mir noch kurz zu, als es klingelte.

Alle Schüler drängelten sich auf den Flur, die meisten wollten nach Hause, ein paar wenige gingen noch zu Clubs.

Ich wischte mir die Papierkügelchen aus dem Haar und packte meine Sachen ein. Alle schauten mich komisch an und schüttelten teilweise leicht ihren Kopf.

Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Hatte ich noch Zahnpasta an meinem Mund?

Auf einmal ging mir ein Licht auf. Die Bilder!

Jeder hatte sie gesehen und jetzt dachten alle ich sei obdachlos. „Hey Obdachlose!" Rief ein Junge und alle lachten.

Mir schossen die tränen in die Augen und ich senkte stumm meinen Blick. Ein paar Leute filmten die Szene.

Mit gesenktem Kopf drängelte ich mich an den Menschen vorbei nach draußen. Bloß weg von hier!

HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt