Silber und Drache 35

5.2K 325 26
                                    


„Dieser Garten liegt direkt in der Mitte des Palastes. Er ist der größte Teil und das Herzstück meines Hauses. Die Säulengängen von denen wir kommen, führen in einem Kreis um hin herum. Besucher kriegen den Garten nur selten zu sehen, weil der Thronsaal und die Wartebereiche außerhalb des Gartens liegen. Kommt. Ich zeige euch wo ich wohne."

Die Königin zerrte mich an ihrer Hand hinter sich her über einen Trampelpfad. Die Aufregung in ihrer Stimme überschlug sich beinah, als sie mir erklärte, wo wir uns befanden.

Natürlich. Wie hätte es anders sein können. Der Palast einer Elfe bestand zum größten Teil aus Wald- Es war eben so logisch, wie dass Drachen in Bergen wohnten.

Vogelgezwitscher und dumpfe, runde Lichter, die zwischen den Bäumen umher schwebten, begleitete uns auf unseren Weg immer tiefer in den Garten hinein.

Mit fielen immer wieder riesige Bäume auf, deren Gattung ich nicht kannte und deren Stämme und Blattwerk verschiedene, sehr unnatürliche Färbungen aufwiesen. Ähnliche Pflanzen hatte ich noch nie gesehen.

Die Flora des Gartens brachte mich ohnehin zum Staunen. Noch nie zuvor hatte ich ähnlich schöne Wälder gesehen.

Im schummrigen Grün unter dem dichten Blätterdach, warfen kleine weiße und pinke Pflanzen hübsche Lichtkreisel. Schmetterlinge flatterten überall umher und Bienen erfüllten mit ihrem dunklen Summen die Luft.

Immer plätscherte irgendwo Wasser, auch wenn ich nicht immer eine Quelle oder einen Bach entdecken konnte. Meine Sinne berauscht vom tief erdigen Geruch des Waldes, den Farben und dem Gesang der Natur, konzentrierten sich irgendwann alle auf die Königin. Die Elfe, die vor mir wandelte und hier so eindeutig zu Hause war.

Alle Lichter und Tiere sammelte sich um sie. Die Schmetterlinge küssten ihr glitzerndes Haar und die Bäume teilten ihre schweren Äste vor ihr, öffneten dabei neue Pfade.

Die Königin in ihrem Element, zeigte mir wieder den großen Unterschied, der zwischen uns bestand.

Ich schlüpfte hinter ihr durch einen Durchgang, der sie plötzlich vor uns auftat und gelangte auf eine große Lichtung, auf die goldenes Licht schien.

Einer der mir unbekannten Bäume, mit glitzernden, goldenen Blättern auf den weißen Zweigen, ragte zum Himmel auf. Seine Wurzel ragten wie Wellen aus dem Erdreich hervor. Felder voller klitzekleiner, weißer Blumen sammelte sich darum, wie ein dichter Teppich.

Die Augen voll Stolz drehte sich die Königin zu mir und machte eine weite Bewegung mit ihrem Arm, als wollte sie mich einladen näher zu treten.

„Hier wohne ich. Das ist mein wirkliches zu Hause. Mein Lebensbaum Funkel."

Mir hatte es vollkommen die Sprache verschlagen. Der Baum passte so perfekt zu ihr, als existierte er nur für sie. Oder vielleicht war es auch genau das Gegenteil.

„Gefällt er euch? Er hat begonnen zu wachsen, als ich geboren wurde und wird verdorren, wenn ich sterbe."

Die Liebe der Königin für ihren Baum war deutlich zu erkennen. Mit ihrer flachen Hand tätschelte sie ganz sanft über die riesige Wurzel direkt vor ihr. Sie zeigte mir ihr wundervollstes Geheimnis. Ein Wunder, das kaum ein Drache wohl je in seinem Leben gesehen hatte.

Ich hatte so viele Fragen, doch konnte nur murmeln:

„Er ist so unglaublich schön."

Ihr glückliches Lachen perlte wie das Wasser des Baches, der sich an der Lichtung entlang schlängelte.

„Danke. Folgt mir. Der Eingang ist dort drüben. Es gibt noch viel mehr zu sehen."

Sie zeigte auf den Stamm, der sich wie eine enorme, weiße Wand vor uns erhob. Natürlich sah ich keine Tür, denn wie immer erschien sie nur, nachdem die Königin mit ihrer Hand locker über den Baum strich.

Von den Finger der Elfe zeichnete sich eine kleine, goldenen Linie ab, die im Kreis wuchs, bis sie ein Tor aus dem Holz herausgeschnitten hatte.

„Dieser Baum. Könnt ihr entscheiden, wo er wachsen soll? Oder könnt ihr ihn mitnehmen, wenn ihr umziehen wollt?", fragte ich, als ich der Königin durch das Tor folgte.

Zwar liebte ich meine Heimat, den Winterstein, doch ich war froh die Möglichkeit zu haben fortzugehen, falls mir Vigours Herrschaft doch irgendwann zu anstrengend wurde.

Die Vorstellung, mit dem Land seiner Geburt wie ein Baum verwachsen zu sein, musste jeden fürchten, der von Flügeln träumte.

„Nein. Ich konnte es nicht entscheiden. Und ich hätte ihn vermutlich nicht unbedingt hierher gepflanzt."

Ein kurzer Schatten huschte über das Gesicht der Königin, als sie das sagte. Doch dann lächelte sie schnell wieder. Sie wollte die Gefühlsregung wohl unbedingt überspielen.

„Und ich könnte schon umziehen. Doch der Baum müsste bleiben. Ich kann ihn nicht einfach so entwurzeln."

„Hmm. Aber sterbt ihr auch, wenn euer Lebensbaum stirbt? Oder funktioniert das nur anders herum?"

Die Frage interessierte mich besonders in meiner Funktion als Drachengeneral. Vielleicht hatten wir den Krieg gegen die Elfen damals vollkommen falsch angegangen. Nicht das ich plante den Lebensbaum der Königin niederzubrennen, wenn ich mich nicht einmal dazu bringen konnte, sie ein wenig zu würgen.

„Auf die Art würdet ihr keinen Krieg gegen die Elfen gewinnen. Glaubt mir. Die Lebensbäume sind ein Geschenk der Natur an uns. Sie gedeihen durch unsere Kraft und verdorren, wenn wir nicht gesund sind. Hier einen Waldbrand anzurichten, würde uns Elfen nur sehr, sehr wütend machen."

Sie hatte mich viel zu einfach durchschaut. Es gefiel mir kein bisschen.

„Ich hatte nicht vor...", begann ich mich zu verteidigen. Irgendwie missfiel es mir, dass sie mich verdächtigte, einen solchen Plan zu schmieden.

Im Moment tat ich es wirklich nicht.

„Ich weiß," unterbrach sie mich. Sie zog fest an meiner Hand und ich stolperte zu ihr, während sich der Zugang zu ihrem Lebensbaum hinter mir schloss.

„Zumindest ich weiß, dass ich euch vertrauen kann."

Vielleicht benutzte sie die Worte sehr strategisch. In der Hoffnung, mich zu überzeugen, dass ich ihr ebenfalls ein solches Vertrauen schenken sollte.

Doch ich würde mich nicht locken lassen. So bald ich mir sicher war, nicht in weitere Fallen zu tappen und ich ihren Charakter genug analysiert hatte, würde ich mich entscheiden, ob wir Freunde oder Feinde waren.

Eine seltsame Helligkeit umgab uns. Sie schien vom Lebensbaum selbst zu stammen. Von den goldenen Adern, die durch seinen Stamm pulsierten.

Wir standen so dicht zusammen. Ganz allein und versteckt im Palast der Elfen.

„Jetzt sind wir zu Hause", flüsterte die Königin. Sie blickte mich erwartungsvoll an, als hätten wir soeben den perfekten Moment geschaffen für Zweisamkeit.

Ihre Lippen glitzerten feucht. Sie leckte sich nervös darüber.

Ich merkte bereits wie ich mich zu ihr lehnte und mir die Augen zuflatterten. Ihr leiser Atmen dröhnte in meinen Ohren.

Dann erstarrte ich mitten in der Bewegung.

Welcher Zauber hatte mich gefangen?

Wie kam ich nur darauf die Königin küssen zu wollen? Wenn ich mir doch über überhaupt nichts klar war. Weder ob ich sie mochte, liebte, oder sie verabscheute für ihren Verrat.

„Ach. Iris. Ihr macht es mir so schwer", seufzte die Königin.

Dann packte sie mich mit beiden Händen am Kragen und riss mich nach vorne.

Federleicht drückte sie ihre Lippen auf die Meinen.


Drache und SilberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt