Drache und Silber 102

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Sanft wischte ich Tränen von weichen Wangen. Juna bekam Schluckauf und hickste vor sich hin zwischen jedem Schluchzen, das sie schüttelte.

„Warum weinst du?"

Die Stimme sanft, als spräche ich mit meinem kleinen Neffen.

Der Sturz in diese plötzliche Verzweiflung hatte mich unerwartet getroffen. Meine Finger zitterten wie meine Königin. Schmerz stach in mein Herz, bei jeder Träne, die ich von ihrer Haut strich.

„Ve..verletzt."

Die Stimme meiner Liebsten brach und sie sog stockend Luft ein.

„Hast du dich verletzt?"

Verwirrt musterte ich sie, von den blauen Samtschuhen, hin zu der schimmernden Spitze ihres goldenen Haares. Dabei entdeckte ich nichts außer dem Drang sie in den Arm zu nehmen. Vielleicht hatte sie sich beim Tritt gegen die Schlafzimmertür die Zehen verletzt.

„Am Fuß?", fragte ich.

„Du...nicht ich."

Juna schniefte laut. Beinah ärgerlich rupfte sie am Hemd an meiner Schulter.

Langsam atmete sie aus. Traurig blinzelte sie mich an. Tränen hingen in ihren Wimpern.

An meinem Hemd klebte Blut. Ein verkrusteter, dunkler Fleck, der sich von meiner Schulter meinen ganzen Arm hinunterzog. Ich hatte die Verletzung bereits nach dem Kampf vergessen. Juna hatte mich geheilt; die Wunde war verschlossen und verschwunden.

Ich irrte mich. In dem verzweifelten Gesicht meiner Liebsten existiere alles noch. Haut die zerriss, weiches Fleisch, das zu leicht nachgab und der Schmerz, den ich im Kampf kaum spürte.

Ich hatte versprochen vorsichtig zu sein.

„Es tut mir Leid."

Meine Königin lachte empört auf.

„Als ob. Lüg nicht."

Wild wischte sie sich die letzten Tränenspuren fort. Ihre Wut konnte ich besser ertragen. Sie sollte mich ruhig anschreien. Nur nicht weinen.

„Ich lüge nicht. Ich hab nicht gedacht, dass ich verletzt werde. Wir hatten doch nur Holzschwerter."

Juna schnaufte laut. Sie knallte die Schlafzimmertüre zu, der Lärm hallte von den Steinwänden wieder.

Betrunken zu Streiten hielt ich für keine gute Idee, so hob ich beschwichtigend die Hände.

„Wollen wir nicht morgen drüber reden, ist..."

„Das denkst du dir. Damit du dich wieder raus schummelst und am Ende tust was du willst. Ich wollte nicht dass du kämpfst. Du kämpfst trotzdem. Ich bitte dich vorsichtig zu sein. Du lässt dir ein Schwert in die Schulter rammen. Ich will jetzt streiten. Du sagst mir ich soll morgen. Vergiss es."

Meine Liebste ballte die Hände und ihr Blick brannte, als wollte sie mich schlagen. Ich verstand ihre Wut, doch sie behandelte mich ungerecht. Als ob ich mir die Wunde im Kampf absichtlich zugezogen hatte. So etwas passierte hin und wieder zufällig.

„Ich wollte mich nicht verletzten. Und trotzdem tut es mir Leid. Nur manches kann ich doch nicht versprechen."

„So."

Missmutig schnalzte sie mit der Zunge.

„Das kannst du also nicht."

Die Gefahr stand direkt vor mir und mir fiel kein Weg ein ihr davonzukommen. Keine Worte um sie zu beruhigen, wenn nicht einmal eine Entschuldigung sie zufrieden stimmte.

Beinah zärtlich fasste Juna meine Hand. Mein Herz galoppierte und ich spannte die Muskeln meiner Beine an um notfalls wegzulaufen.

Ihre Finger streichelten über meine Handfläche. Schwache Lichter tanzten um die Fingerspitzen.

„Also soll ich dich tun lassen, was du willst. Du willst keine meiner Bitten erfüllen?"

„N-ne...Nein? D-do...?"

Um mein Stammeln abzubrechen, presste ich die Lippen aufeinander.

„Ich weiß doch, dass du mir meine Bitten erfüllst. Iris. Und wieso sollte ich wollen, dass du alles tust was ich möchte. Ich mag meinen wilden Drachen."

Die Finger streichelten höher, fanden die blauen Linien der Adern unter meiner Haut und zeichneten sie federleicht nach. Meine Königin trat näher, ein Lächeln auf den traurigen Zügen.

„Du denkst nur niemals dran. Dass ich deinen Tod gesehen habe. Meine einzige Liebe wurde mir entrissen. Wie hilflos ich war. Wie verzweifelt. Und wenn ich dich kämpfen sehe. Du dich verletzt. Dein Blut fließt. Bin ich wieder dort. Auf dem Feld. Und du stirbst."

Einen Moment vernebelte ihr glasiger Blick. Eine Erinnerung holte sie ein.

Rasch riss ich sie in meine Arme. Ich versagte nicht nur, wenn ich mit ihr stritt. Mein Versagen führte viel weiter. Ich vergaß, sie zu verstehen.

Eine schlimme Erinnerung verblasste nicht, nur weil sie lange vergangen war und wir uns jetzt liebten. So wie ich immer noch nachts aufschreckte, verzweifelt bemüht die Schmerzen und die Angst in den Alpträumen vom Krieg zurückzulassen, trug sie den Kummer in sich.

„Es tut mir Leid.", schwor ich, auch wenn sie mir nicht glaubte.

„Es tut mir Leid."

Das Kämpfen lag in meiner Natur, ich konnte es nicht lassen. Ihr zu verspreche mich nie mehr dabei zu verletzen glich einer Lüge.

Meine Liebste seufzte leise. Ihre Finger krallten sich in meine Schultern.

„Wird es wieder so enden? Verlier ich dich?"

Ihr Rücken bebte. Fest rubbelte ich meine Hände über ihre Haut und hauchte einen Kuss in ihr Haar.

„Niemals. Ich sterbe nicht so leicht. Selbst damals hab ich überlebt. Damit wir uns wieder treffen."

Verlegen räusperte ich mich. Die Stimme wollte mir versagen.

Vielleicht hatte ich wirklich nur deshalb überlebt. Hatte die Narben und schlechten Erinnerungen aus dem Rubinkrieg mitgenommen, mich vom der Schwelle des Todes zurück ins Leben gekämpft, damit mich mein Weg zu ihr zurückführte.

Juna schaute auf. Der Blick so verletzlich, hob sie die Hand und strich mir zart über die Wange.

„Meinst du, wir werden immer wieder zueinander finden. Ganz egal was passiert?"

Die Antwort darauf wusste nur der große Drache. Oder vielleicht die Erdenmutter der Elfen.

„Wir glauben einfach dran. Wie sollten wir nicht, wenn wir uns so seltsam wiedergefunden haben."

Mit einem verschmitzten Lächeln stupste sie mir auf die Nase.

„Ich habe dich gefunden. Du hast mich gar nicht erkannt. Du gemeiner Drache."

Ihr Lachen vertrieb alle schlechten Erinnerungen. Spielerisch boxte sie mir in die Seite. Sie zerrte mich zum Bett und schubste mich darauf.

„Dafür bestraf ich dich jetzt."

Und weil sie Recht hatte, wehrte ich mich nicht.


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