Drache und Silber 120

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Kaum hatten wir aufgegessen, zog mich meine Königin auf die Beine. Wir boten dem Bäcker Geld für seine Dienste, doch dieser schüttelte energisch den Kopf.

„Niemals würde ich von den edlen Damen Geld nehmen. Es war eine Ehre für mich, Schönheiten wie die strahlende Sonne und wertvollsten Edelsteine bewirten zu dürfen. Erlaubt mir auch euch ein Bett für die Nacht anzubieten."

Geneigt dazu das Angebot anzunehmen, lag mir eine entsprechende Antwort bereits auf der Zunge. Da Juna und ich bereits einen ganzen Tag wach gewesen waren vor unserem Aufbruch, gähnte ich schon eine Weile übermüdet vor mich hin.

Doch meine Liebste kam mir zuvor.

„Das wird nicht nötig sein. Wir brechen gleich auf. Vielen Dank für eure Gastfreundschaft."

Sie ergriff meine Hand und zog mich fort. Das überraschtes Brummeln der Menge folgte uns. Der Bäcker starrte uns mit offenem Mund nach.

„Juna. Wir müssen irgendwann mal schlafen. Ich weiß hier sind zu viele Zwerge, aber..."

„Ich weiß schon wo wir hin gehen. Dort ist hoffentlich niemand.", unterbrach mich meine Liebste.

Mit einem Lächeln auf den Lippen wand sie sich um und drückte mir ein Bussi auf die Wange.

Dann strich sie mir das Stirnrunzeln fort.

„Du willst auch dorthin. Ich habs gesehen, du hast dem Mädchen genau so gespannt zugehört wie ich. Ein Wald für Liebenden. Willst du nicht für immer mit mir zusammenbleiben?"

Ihre Augen glänzte, doch sie drückte meine Hand noch fester. Unsicherheit verbarg sich hinter ihrem Lächeln. Als ob sie daran zweifelte, dass ich sie für immer lieben wollte. Ich sagte es ihr zu selten, wie sehr ich sie liebte. Und wir schlossen eine Drachenehe, die nur 50 Jahre hielt. Dachte sie, ich lechzte danach davonlaufen?

„Ich will nichts mehr, als für immer mit dir zusammen zu sein. Und auch wenn ich glaube, dass wir dafür keinen Wald brauchen, möchte ich sehr gerne dorthin."

Das Gesicht meiner Liebsten strahlte heller als die Sonne.

Kaum hatten wir die letzten Häuser des Dorfes hinter uns gelassen, stellte Juna ein Schattenportal auf. Diesmal eilten die Schatten wie nie zuvor und innerhalb einer Sekunde erwartete uns eine spiegelblanke Schwärze. Zum Reisen bereit.

Die Vorstellung heute noch einmal durch die Schatten zu gehen, behagte mir nicht. Doch wortlos folgte ich meiner Liebsten, die meine Hand umklammerte.

Ich schloss die Augen und wagte den Schritt ins Ungewisse. Frische, kühle Luft empfing mich, gefüllt mit dem Parfüm des Waldes. Feuchte Erde, Moos und der Duft unzähliger Pflanzen vermischten sich und ließen mich tiefer Atmen. Bekannt, doch fremdartig.

Als ich die Augen öffnete, blinzelte ich ins schattige Dunkel. Nach den weiten Feldern, auf die die Sonne grell hinunter brannte, fehlte mir zunächst die klare Sicht. Doch schon bald lichtete sich mein Blick und offenbarte mir die wilde Schönheit des Lichterwaldes.

Weiches Laub dämpfte meine Schritte. Meine Königin hielt immer noch meine Hand, während auch sie sich umsah.

In den knorrigen Ästen der mächtigen Bäume, tanzten winzige Lichter. In der Nähe plätscherte ein Bach; silberne Fische flitzten über seinen sandigen Grund.

Das dichte Blätterdach bildete einen dunkelgrünen Himmel. Eine Höhle aus Bäumen.

„Das ist ein Elfenwald. Ich spür es genau. Wir sind richtig hier.", flüsterte Juna.

Sie wand sich zu mir und fasste meine beiden Hände.

„Die Mutter wohnt hier und wird uns ihren Segen geben. Sie empfängt uns friedlich. Sie liebt dich, wie sie auch jede Elfe liebt."

Die Augen meiner Liebsten glänzten schöner als die Lichter des Waldes. Röte betupfte ihre Wangen und verriet ihre Aufregung.

Mein Herz flatterte wie ein Vogel im Käfig. Ein seltsames Gefühl, denn wenn ich meine Königin ansah, erfüllte mich nur Frieden.

Mir war vollkommen egal, ob mich die Mutter liebte. Juna liebte mich, mehr brauchte ich nicht.

„Ich weiß wo wir den Schrein finden. Die Mutter ruft uns."

Ungeduldig zog mich meine Liebste vorwärts. Wir kletterten über moosbewachsene Steine, bogen Äste zur Seite und kämpften uns durch Büsche. Nicht einmal ließen wir uns los.

Blätter verfingen sich in Junas Haaren und die kleinen Lichter in den Bäumen regneten auf uns herab und zauberten eine leuchtende Krone auf ihr Haupt.

Vogel zwitscherten versteckt in den Baumkronen. Insekten summten uns herum, wie um uns zu Begrüßen. Sie schillerten in allen Farben des Regenbogens.

Das Kleid meiner Liebsten, gewebt in den dünnen und sehr unpraktischen Stoffen, die die Elfen liebten, blieb hängen und zerriss an den vielen Zweigen, die über unsere Beine strichen. Bald schon baumelten Fetzen um ihre schlanken Fesseln.

Doch die Äste streichelten uns sanft, keines der Insekten stach uns und wir stolperten kein einziges Mal. Noch niemals zuvor hatte mich ein Wald so freundlich empfangen. Selbst im Elfenpalast fiel ich regelmäßig über hervorstehende Wurzeln.

Durch das schummrige Halbdunkel drang ein Strahlen. Juna drängte schneller voran.

Wir brachen aus dem Dickicht auf eine Lichtung. Große Lichtkugeln hingen in den Baumkronen, sie überschwemmten uns mit sanftem, gelbem Licht. Dort, auf einem unbehauenen Felsen, thronte die Mutter. Die grobe Nachbildung einer Schwangeren aus glattem, dunklem Holz, das Gesicht unbehauen. Ein Kranz aus Efeu zierte ihr Haupt.

Die Einfachheit der Figur widersprach dem Prunk, mit dem die Elfen sich normalerweise umgaben. Stattdessen erinnerte mich der Schrein an die Altare des weisen Drachen. Die groben Umrisse eines mächtigen, beflügelten Wesens, das sich um einen Felsen schlang, bildeten den Kern unserer heiligen Stätten. Die Statue der Mutter barg dieselbe Macht in sich, die alles andere überstieg. Die Götter brauchten kein Gold, keine Opfer und keine mächtigen Bauten. Sie besaßen bereits alles notwendige.

Die Mutter und der weise Drache schenkten uns Liebe und wir gaben ihnen Liebe zurück. Daraus erwuchs das Leben.


Drache und SilberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt