Drache und Silber 110

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Wir gingen nicht schlafen. Zurück in meinen Räumen küsste ich Juna und schob sie Richtung Schlafzimmer. Ein Gute-Nacht-Kuss.

Denn unsere Abreise rückte näher und ich hatte noch nichts eingepackt.

Meine Liebste bestand darauf mir zu helfen. So wühlten wir die halbe Nacht in Schränken und Kisten, bis eine Truhe gefüllt waren.

Ein Leben, dass mich immer wieder auf Reisen schickte, hatte mir wenig Gepäck hinterlassen. Noch weniger davon erachtete ich als notwendig für meine Zukunft.

Das wichtigste, meine Hosen und Hemden, nahm ich alle mit. Damit mich Juna nicht in ihre kitschigen, bunten Elfenkleidchen steckte.

Dann verstaute ich Erinnerungen, Abbilder meiner Familie und die Besonderheiten, die mir nur das Drachenland bieten konnte. Süße Marmelade aus Rakmehlien, Trockenfleisch und Würste.

Ich versperrte die Truhe und sah mich in meiner Küche um. Ein wonniger Schmerz schlich sich in mein Herz.

Die dicken Felsen des Wintersteins, grau und mächtig, die mich immer schützend umgaben, seit meiner Kindheit, musste ich morgen verlassen.

Die Hand auf dem glatten Gestein, schloss ich die Augen. Eine Sekunde hing ich den Erinnerungen nach. Meinen eigenen kleinen Füßen tappten auf den Gängen. Ich horchte aufgeregt dem Echo meiner Schritte, bis es verhallte. Dann brüllte ich die verbotenen Worte, für die mich meine Mutter ausgeschimpft hatte. Hundertfach warfen die Wände sie wieder.

Ein Kichern entkam meiner Brust. Das war also die letzte Erinnerung, die der Berg mir mitgab. Von einem ungehorsamen Kind.

So fühlte ich mich. Damals ebenso wie heute.

Meine Liebste wühlte noch durch eine Kiste mit Krimskrams.

Rasch zog ich sie davon fort und drückte einen Kuss auf ihre weichen Lippen.

„Ich liebe dich.", hauchte ich ihr zu.

Ganz mutig, wie das kleine Kind, das Schimpfwörter brüllte. Hierher hatte mich meine wilde Art geführt. Dort wo ich sein sollte.

Juna lächelte. Sie fädelte ihre Hand in meine und zog mich fort ins Schlafzimmer.

Wir ließen das Packen sein, bis zum nächsten Morgen.




Die Empfangshalle war deutlich leerer als bei unserer Ankunft. Ein paar müde Wachen lehnten auf ihren Speeren. Nur wenig Schaulustige tummelten sich an den Rändern der Halle und trauten sich nicht näher zu treten.

Momo gähnte herzhaft auf dem Arm meiner Schwester. Mein Papa tat es ihm gleich. Die Freude meine Familie zu sehen, trübte auch die Abwesenheit meiner Mutter nicht.

Die Wut auf sie schwelte noch in mir. Schwach, doch bereit jederzeit ein gewaltiges Feuer zu entfachen. Eine störende Emotion bei einem Abschied.

Mit feierlichem Schmerz auf seinen Zügen, schloss mich mein Papa fest in seine kräftigen Arme. Mein Rücken knackte, er presste mir die Luft aus den Lungen, dennoch genoss ich jede Sekunde der Umarmung.

„Ich komm euch doch besuchen. Papa. Durch das Schattenportal bin ich ganz schnell hier."

Meine tröstenden Worte zeigten nicht viel Wirkung. Noch fester schlang er die Arme um mich. Ich sah schwarze Pünktchen lustig tanzen.

„Mein Baby zieht endgültig aus. Das dieser Tag tatsächlich kommen musste.", jammerte er vor sich hin.

„Ihr seid auch herzlich nach Elfenhain eingeladen. Jederzeit."

Die süße Stimme drang zu meinem Papa durch. Ruhig setzte er mich ab, doch hielt meinen Arm fest, als fürchtete er ich würde sofort wegrennen und ins Portal zum Elfenreich springen.

Mit einem dankbaren Lächeln wandte ich mich meiner Liebsten zu, die für ihre Rückkehr wieder die volle Uniform einer Königin präsentierte.

Vielleicht überzeugten ihre Worte deshalb. Sie schüchterte meine Familie zu sehr ein.

Momo hatte das Gesicht längst in die Schulter meiner Schwester vergraben, die sich verlegen auf die Lippen biss.

Gehüllt in einen Traum aus rot und goldenem Samt zierte sogar die filigrane Elfenkrone aus einander verflochtenen Zweigen und zarten Blüten, das, in einer Flechtfrisur gefangene, Haar meiner Liebsten.

Ihre sonst so blassen Wange schmückte entzückende Röte, als sie merkte, wie sie meine Familie durcheinanderbrachte.

Zärtlich legte ich meine Hand an ihre heiße Backe.

„Ich verabschiede mich noch schnell hier. Willst du solange noch mit Vigour reden?"

Sie wusste selbst, welche Aufgaben eine Königin zu erfüllen hatte und es störte Juna, dass ich sie fortschickte. Ihr Stirnrunzeln verriet mir ihre Gedanken. Dennoch verließ sie uns wortlos.

Ich hoffte, dass sie meine Gründe verstand. Meine Familie waren einfache Leute. Die Erscheinung einer wahren Königin hemmte sie zu sehr. Nur meine Mutter trat dem unbeeindruckt entgegen. Das hatte ich von ihr geerbt.

Momo drückte mir einen dicken Kuss auf die Backe und Rosalie quetschte ein paar dicke Tränen hervor.

„Hier. Damit du nicht verhungerst."

Ein großes Paket bester Drachenwürste wechselte den Besitzer. Dann erdrückte mich mein Papa ein weiteres Mal fast.

Die letzten Worte wechselte ich mit Ranja, die mich abfing, bevor ich mich den Elfen vor dem Schattenportal anschließen konnte.

Gründlich darauf bedacht, den Elfen stets den Rücken zuzukehren, umarmte sie mich fest.

„Ich glaub er guckt Ranja. Einer von de Elfen guckt ganz klar. Willst du ihm keinen Abschiedskuss verpassen.", zog ich sie auf.

Sie boxte mir in die Seite.

„Halt die Klappe. Sei froh, dass du jetzt fort gehst, sonst würd ich dich verprügeln."

Ein weiterer Klaps. Diesmal liebevoller.

„Ich komm dich bald besuchen. Glaub nicht, dass du mich loswirst."

Fest stieß sie mich fort. Ich strauchelte und bevor ich mich gefangen hatte, war sie bereits verschwunden.

Mein Blick schweifte durch die Halle, zu den dicken Säulen aus massivem Stein und hohen grauen Decken. Schwermütig verabschiedete ich mich auch vom Winterstein, meiner Heimat.

Mit einem letzten Winken zu meiner Familie wandte ich mich ab zum Schattenportal, wo meine Liebste auf mich wartete.

Beim Blick in ihr schönes Gesicht, fühlte ich mich ganz leicht. Alles Schwere blieb im Winterstein zurück. Fest fasste ich ihre weiche Hand.

Zusammen traten wir durch Schatten in ein neues Leben.


Drache und SilberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt