Silber und Drache 85

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Meine innere Unruhe ließ mich nicht still halten. Ohne Rast dachte ich an die Königin. Irgendwann würde sie nicht mehr geduldig warten und anfangen nach mir zu suchen.

Wie viel Zeit würde sie mir geben?

Das Tageslicht schwand und die Glutstunde nahte.

Die Sonnen sanken träge.

Bevor die Elfe mich vermisste, musste ich ihr meine Situation erklären. Nur so machte ich mir weniger Sorgen.

Kräftig hämmerte ich an die Tür meiner Zelle. So lange, bis mir eine der Wachen öffnete.

„Brauchst du etwas. Iris.", fragte mich Tam.

Gelangweilt saßen die anderen neun Wachen auf dem Boden des Ganges. Eine paar vertrieben sich die Zeit mit einem Würfelspiel. Mich zu bewachen war eine öde Aufgabe. Ich machte scheinbar viel weniger Ärger als erwartet.

„Ich muss dringend einen Brief schreiben. Damit sie sich keine Sorgen macht. Es ist sehr wichtig."

Unschlüssig runzelte Tam die Stirn.

„Wer soll den Brief erhalten?"

Niemals würde man mir erlauben, eine Nachricht an die Elfenkönigin zu schicken. Deshalb plante ich den Weg zu ihr auf andere Weise.

„An meine Schwester. Sie wird sich Sorgen machen."

Mein Freund brauchte eine Weile, bis er mir antwortete. Vermutlich waren keine klaren Befehle zu meiner Person erteilt worden.

„Du brauchst ihr nicht schreiben. Ich schicke jemanden zu Rosalie, der ihr deine Lage erklärt. Das sollte dein Problem lösen. Oder?"

Zögernd nickte ich. Nicht die beste Lösung, doch zumindest hatte ich einen Schritt in die richtige Richtung erreicht.

Um meine eigentlichen Absichten nicht zu verraten, bedankte ich mich schnell und ließ mich wieder einsperren.

Meine Hoffnung lag nur auf Rosalie und ihrem scharfen Verstand. Sicherlich würde sie der Königin Bescheid geben.

Dennoch dachte ich über einen Plan zur Flucht nach. Nicht um die Elfe zu finden. Ich wollte keine Wachen der Drachen vor ihre Tür führen.

Doch um mit Vigour zu sprechen. Vernünftig und ruhig.

Bevor ich erneut um meine Freilassung bat, würde ich ihm mit Samuel helfen.

Die Möglichkeit zur Flucht bot sich früher als erwartet. Ein lautes Klopfen ertönte an meiner Tür.




Extra

Die Glutstunde brach an und Iris war noch nicht zurück gekehrt. Ich schloss die Vorhänge, denn das tiefrote Licht beunruhigte mich. In meinem Palast schwebte zur Glutstunde ein sanfter, roter Schimmer über den Bäumen. Hier brach sich das Licht scharf auf dem Stein und verwandelte die Wände für kurze Zeit in Blut.

Mit Iris an meiner Seite, störte mich das groteske Schauspiel nicht. Wenn ich nur auf ihre Rückkehr wartete, hielt ich es nicht aus.

Das Ausharren fiel mir schwer, weil ich meine Liebe in Gefahr wähnte. Ich misstraute Vigour. Sein Charakter offenbarte den Egoismus eines verzogenen Kindes.

Der Wunsch ihn den Winterstein hinunter zu werfen, brannte immer noch in mir. Ich schwieg darüber, denn ich wollte meine rachsüchtige Seite vor Iris nicht zeigen.

Mit einer kleine Handbewegung hätte ich das Problem aus der Welt geschafft. Und vermutlich eine Menge mehr erschaffen.

In diesem kurzen Moment hatte nur das Bitten meines wunderschönen Drache mich aufgehalten. Ohne Iris wäre Vigour gestorben.

Um mich zu beruhigen, holte ich den Kamm meiner Liebe hervor. Seitdem er sich in meinem Besitz befand, nahm ich ihn überall mit. Wie einen Talisman.

Sorgfältig begann ich mein Haar zu kämmen. Strähne für Strähne, um mich abzulenken.

Ein sanftes Klopfen ertönte. Es stammte nicht von Iris. Ihre Fäuste verursachten mehr Lärm.

Ich erhob mich, steckte den Kamm in meine Tasche und warf mir das Haar über die Schulter zurück.

Nachdem ich die zierliche Seidenschürze meines Kleides gerichtet hatte, war ich bereit Gäste zu empfangen.

„Herein!"

Leise öffnete sich die Tür. Rosalie, die kleine Schwester meiner Liebe, trat ein.

Ein Knoten schnürte sich in meine Eingeweide. Ich kam mit dem Mädchen nicht zurecht, obwohl sie mir nur Freundlichkeit entgegen brachte.

Ihre enge Beziehung zu dem Teil in Iris, denn ich niemals kennenlernen konnte, weil er in der Vergangenheit verborgen lag, weckte in mir eine seltsame Art von Eifersucht. Ein dummes Gefühl, das ich vor meinem süßen Drachen niemals zugeben würde.

„Willkommen, Rosalie. Was führt dich zu mir? Iris ist leider nicht hier."

„Ich weiß.", antwortete das Mädchen, „ich habe so eben eine Nachricht von ihr erhalten. Ich bin hier, um sie an dich weiter zu geben."

Mein Atem stockte. In Rosalies Gesicht vermischte sich Sorge und Angst. Ich hätte Iris niemals allein zu Vigour gehen lassen sollen.

„Was ist geschehen?"

Meine Stimme zitterte. Ich krampfte die Finger um mein Handgelenk, um nicht die Fassung zu verlieren.

„Beruhige dich bitte. Es geht ihr gut. Eine Wache kam zu mir und teilte mir mit, dass Vigour Iris nicht fort lassen möchte und sie deshalb unter Hausarrest gesetzt hat. Sie ist aber nicht im Gefängnistrakt und sie wird gut versorgt. Sie kam freiwillig mit, deshalb ist sie unverletzt."

Meine Liebe gefangen genommen und ich sollte mich beruhigen? Unmöglich.

„Wo ist sie?"

Natürlich würde ich Iris sofort befreien. Ein Schattenportal zurück in meinen Palast war schnell aufgestellt. Länger im Winterstein zu verweilen, schien nun zu gefährlich.

„Ich weiß es nicht. Die Wache wollte es mir nicht verraten. Wir sollten ohnehin nichts überstürzen. Iris denkt sicherlich genauso."

Rosalies Worte interessierten mich nicht. Ohne sie zu Beachten, schritt ich an ihr vorbei.

„Ich werde nicht warten. Iris ist mit mir hergekommen. Damit ist sie Teil meines Gefolges und ich bin für sie verantwortlich. Ich werden euren König zur Rede stellen."

Schwungvoll riss ich die Tür zum Gang auf. Die Wachen, die mich bewachten, zuckten erschrocken zusammen.

„Aber vergesst nicht euren Status. Und seinen. Das ist kein einfacher Streit zwischen zwei Personen. Hier geht es um die Herrscher zweier Länder.", rief mir das Mädchen frech hinterher.

Als ob ich es nicht wüsste.

Für Iris, die sicherlich dasselbe dachte wie ihre Schwester, würde ich vorsichtig sein. Doch nur solange Vigour kein Haar auf dem Schopf meiner Liebsten krümmte.


Drache und SilberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt