Silber und Drache 119

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Ein Dutzend neugierige Zwerge starrten mich an. Ich fragte mich welche Erwartungen in ihren kleinen Köpfen herumspukten. Keine einzige ihrer Traditionen waren mir bekannt, so beschloss ich nicht zu versuchen irgendwelchen Vorgaben zu entsprechen.

So vorsichtig wie möglich nahm ich den dünnen Arm des Zwerges und zog ihn zurück auf seine Füße.

„Das ist sehr schmeichelhaft von euch. Wir suchen jedoch nur einen Gasthof zum Übernachten."

Mit einem Kichern schlang Juna ihre Arme von hinten um mich. Sie küsste meine Wange. Ein Raunen drang durch die Menge.

„Wirst du nun einen Zwerg wählen und mich verlassen?", flüsterte sie in mein Ohr.

Dabei streichelte sie meine Seite.

Meine Liebste konnte unmöglich eifersüchtig sein, wegen dieses kleinen Wichtes. Nicht wenn sich ihr links und rechts jegliche Wesen betört zu Füßen warfen.

„Natürlich er ist hinreißend.", entgegnete ich trocken.

„Du!"

Sie zog mir an den Haaren. Es ziepte ein wenig.

„Als ob ich das zulassen würde. Ich zeig allen gleich wie sehr wir zusammengehören."

Mit einem Schnaufen drückte sie mir einen Kuss auf. Ich ließ mich küssen, doch schob sie gleich darauf von mir.

„Das kannst du ruhig. Aber wenn wir allein sind. In Ordnung."

Meine Königin hielt mich noch fest und starrte gierig auf meine Lippen.

Dann blinzelte sie und schickte ihren Blick über unsere Zuschauer. Mütter hielten ihren Kindern die Augen zu, junge Zwergenmädchen beobachteten uns durch ihren gespreizten Finger hindurch und die Männer räusperten sich verlegen.

„Ah so ja. Zu viele Zwerge. Ich wollte doch mit dir allein sein. Vielleicht sollten wir doch woanders hinreisen."

Ihr ernster Tonfall verriet mir, dass sie wirklich darüber nachdachte. Da ich noch bleiben wollte, um die fremde Kultur genauer kennenzulernen und ich so schnell auch keine weitere Reise durch ein Schattentor wagen wollte, platzte ich rasch heraus:

„Wir könnten zuerst etwas Essen. Es riecht hier doch ganz wundervoll."

Prompt positionierte sich ein dicker Zwerg mit stolzgeschwellter Brust vor uns. Er tippte an seine hohe, weiße Mütze.

„Die zwei Schönheiten riechen meine Gebäckwaren. Ich wage zu behaupten, der beste Bäcker in ganz Zwergfelden zu sein und wäre geehrt, wenn sie mein Gebäck probieren wollten."

Wenn er mit Zwergfelden sein winziges Dorf meinte, sprach das Eigenlob nicht unbedingt für seine Backkunst. Ich fragte nicht weiter und nickte nur.

Mein Magen knurrte ebenfalls zustimmend. Juna seufzte leise und nahm meine Hand.

„Dann Essen wir eben zuerst."

„Wir bekommen schon Zeit für uns. Wir sind doch nicht umsonst weggelaufen."

Im Versuch sie aufzumuntern küsste ich ihre Wange. Meine Liebste lächelte, noch nicht ganz zufriedengestellt.

Dennoch folgte sie mir und dem Bäcker zu seiner Backstube. Die Dorfbewohner flatterten uns hinterher wie ein Schwarm Gänse. Wir bekamen keine Sekunde für uns. Nicht einmal in einem fremden Land.

An dem sonnengelben Haus, zu dem er uns führte, rankten sich Blumenranken an den Wänden entlang. Ein breites Fenster mit verschnörkelten Rahmen zeigte die Auslage des Geschäftes. Davor standen in Gruppen Holztische mit Stühlen. Wir passten nicht auf die Möbel, also legte der Bäcker ein Tischtuch auf den Kiesboden und bat uns Platz zu nehmen.

Er verschwand in seinem Haus. Wie auf dem Präsentierteller saßen wir umringt von Zwergen. Juna lächelte strahlend und nahm meine Hände. Sie küsste meine Finger.

Als wollte sie der Menge ein Schauspiel bieten. Meiner Liebsten hatten öffentliche Zuwendungen noch nie viel ausgemacht. Ich fühlte mich wie im Zirkus. Zum Glück tuschelten unsere Zuschauer nur miteinander und applaudierten uns nicht.

„Seid ihr Liebende?", piepste ein neugieriges Stimmchen.

„Natürlich.", antwortete Juna. Sie blickte an mir vorbei. Sofort wand ich mich um. Ein niedliches Zwergenmädchen mit dicken, hellblonden Zöpfen und einer großen violetten Blume an ihrer Mütze, war aus der Menge herausgetreten.

„Dann müsst ihr den Lichterwald besuchen. Es ist nicht weit von hier. Alle Liebespaare gehen dorthin.", sagte das Mädchen.

Ihre Wange glühten tiefrot. Wie viele junge Mädchen verzückten sie Liebesgeschichten. Ich hatte nur zu oft in meiner Jugend mit einer Schar junger Drache am Lagerfeuer gesessen, die kichernd und seufzend Liebesgeschichten erzählten.

Damals verstand ich die dargestellten Gefühle nicht. Heute wusste ich es besser und begriff ihre Euphorie. Die wahre Liebe raubte den unbarmherzigsten Drachen Vernunft und Härte.

Jetzt wollte ich unbedingt in den Lichterwald mit meiner Liebsten. Obwohl ich noch nichts darüber wusste.

„So?"

Juna zog eine Augenbraue nach oben, „und warum wollen alle Liebespaare dorthin?"

Das Mädchen presste beide Fäuste über ihr Herz und seufzte laut.

„Weil man für immer zusammenbleibt, wenn man sich beim Schrein der heiligen Mutter verbindet."

Meine Liebste lächelte mich an und drückte meine Hände fester.

„Dann sollte wir unbedingt dorthin. Nicht wahr?"

Ich nickte. Wir waren vor unserer pompösen Hochzeit davongelaufen. Vielleicht konnten wir still und heimlich fernab von allem Trubel die Ehe eingehen.

Bevor wir mehr über den Lichterwald erfahren konnten, kam der Bäcker zurück. Er schleppte ein reichbeladenes Tablett. Wie für ein Picknick verteilte er Teller mit Gebäck, Broten und Obst zwischen mir und meiner Liebsten auf dem Tischtuch.

Viel zu viel, um alles aufzuessen. Ich zog mir einen Teller mit einem in Honig getränkten Zopf aus Speckteig heran.

Juna beschloss so viele Speisen wie möglich zu probieren und brach sich Stücke von Kringeln mit dicker, weißer Zuckerkruste ab, teile ein Gebäckstück, aus dem rote Marmelade hervorquoll und seufzte zufrieden, als sie sich ein vor Honig triefendes Stück Brot in den Mund schob. Der Versuch mich zu füttern scheiterte, als ich aus Reflex zurückwich.

Meine Königin streckte mir die Zunge heraus und schob sich die Süßigkeit selbst in den Mund. Dann strafte sie mich, indem sie mir nichts weiter anbot und begann Zuckerkugeln und Obst an die Zwergenkinder zu verteilen.


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