Drache und Silber 118

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Juna öffnete ein kleines Schattentor direkt bei uns im Schlafzimmer. Fasziniert beobachtete ich ihren Zauber. Mit Leichtigkeit lenkte sie die Magie und unterwarf die Schatten ihrem Willen. Emsig wirbelte sich die Dunkelheit größer, bis sie zu einer blanken Fläche erstarrte.

Meine Liebste grinste mich an. Wahrscheinlich, weil ich sie anstarrte wie ein Drache aus dem Hinterland, der noch nie einen ähnlich schönen Zauber beobachten durfte. Bisher hatte ich immer brav das offizielle Schattentor für meine Reisen verwendet.

„Starr nicht so als hättest du mich noch nie zaubern gesehen. Du weißt doch, dass ich sowas kann."

Zärtlich küsste sie die Verwunderung von meinem Gesicht herunter.

„Natürlich weiß ich es. Aber du erinnerst mich immer wieder daran, wie wundervoll du bist."

Röte brannte auf meinen Wangen. Zwar überschüttete ich Juna in meinen Gedanken häufig mit Komplimenten, doch ich sprach sie nicht oft genug aus. Wenn sie danach fragte, bekam sie stets wundervolles zu hören. Ungefragt fiel es mir schwer.

„So wundervoll bin ich nur für dich. Mein Drache."

Ich grinste nur verlegen. Eine Lüge. Ihr ganzer Hofstaat wusste es besser.

Sie streckte mir die zarte Hand entgegen.

„Und? Bereit wegzulaufen?"

Mehr als bereit. Kaum reichte ich ihr meine Hand, zog sie mich zu sich her. Aus dem Gleichgewicht gebracht rumpelte ich gegen sie und wir fielen gemeinsam in die Dunkelheit. Für einen kurzen Moment verschlangen uns die Schatten, in grelle Helligkeit spuckten sie uns wieder aus.

Geblendet zwickte ich die Augen zusammen und öffnete sie langsam erneut. Gelbe Weizenfelder wiegten sich in einer leichten Brise. Die langen Halme rauschten wie das Meer. Über uns erstreckte sich ein weiter, blauer Himmel.

Es erinnerte mich an die Landschaften, die ich auf dem Rücken meines Pferds durchquert hatte, auf dem Weg zum Palast der Elfen. Meine Königin lehnte an meinen Rücken und schlang die Arme um mich. Eine Berührung die mich damals vollkommen aus der Fassung gebracht hatte. Am Rande des Drachenlandes hatten wir in einem Dorf Halt gemacht, um eine Bäckerei zu besuchen.

Hier entdeckte ich ebenfalls ein Dorf. Nicht weit von uns standen eine Reihe kleiner Häuser mit runden, roten Dächern. Ein süßer Geruch von frisch aufgebackenem Gebäck stieg mir in die Nase.

Die fremdartigen Häuser verrieten mir nicht, wohin mich meine Liebste entführt hatte.

Ein Kitzeln an meiner Wange riss mich aus meiner Beobachtung. Juna kicherte. Sie wedelte einen langen Weizenhalm vor meiner Nase herum.

Ich schnappte danach und sie lachte lauter.

Dann warf sie den Halm fort und nahm meine Hand.

„Lass uns ins Dorf gehen. Ein Zimmer für die Nacht suchen."

Sie zerrte mich vorwärts, doch ich hielt dagegen. Ein tiefes Stirnrunzel zeigte ihre Verwirrung.

„Sag mir erst wo wir sind. Ich beweg mich nicht gern in unbekannten Gefilden."

Juna schmunzelte.

„Muss ich dir das sagen? Diesmal hab ich dich entführt, also sag ich dir das einfach nicht."

Mit dem Zeigefinger tippte sie mir frech auf die Nase.

„Das ist gemein. Ich kann nicht zurück, ohne mich auszukennen."

Tatsächlich bereitete es mir Sorge, dass sie mich an einem fremden Ort gebracht hatte. Zwar wollte ich ihren Entscheidungen vertrauen, aber ich konnte uns beide besser beschützen, wenn ich mich bei Land und Leuten auskannte.

„Vertrau mir.", hauchte sie mir zu. Sie winkte mir zu ihr zu folgen und wandelte durch den goldenen Weizen davon.

Vollkommen entspannt strich sie mit den Handflächen über die Spitzen der langen Halme.

Dieser Ort konnte nicht gefährlich sein, wenn sie sich so wenig fürchtete. Ich erinnerte mich an ihre immerwährende und grundlose Angst um mich. Wahrscheinlich hatte sie mich an den friedlichsten Ort gebracht, den sie kannte.

Ich eilte ihr nach und fing ihre Hand. Fest verschränkten wir die Finger.

Im Dorf wohnten kleine Wesen. Sie trugen adrette, lange Kleider in Naturtönen. Dicke Mützen bedeckten ihre hellen Haare. Als sie uns mit pausbäckigen Gesichtern und großen, erschrockenen Augen anstarrten, erinnerte sie mich an eine niedlichere Ausgabe von Ronald.

„Zwerge?", wisperte ich Juna zu.

Diese nickte und strahlte die Dorfbewohner freundlich an.

Mich hatte keiner von Vigours Aufträgen je ins Zwergenreich geführt. In meiner Vorstellung lebten die kleinen Wesen versteckt in Bergen, ähnlich wie wir Drachen.

Nur das die Zwerge sich anstatt hinauf zur Spitze ihres Heimatberges, immer tiefer und tiefer in die Erde hinein gruben. Vermutlich, weil sie von Gold und nicht vom Fliegen träumten.

Doch von diesem Dorf aus konnte ich keinen Berg am Horizont entdecken. Nur endlose, goldene Felder erstreckten sich in meinem Blickfeld, dazwischen befanden sich Gruppen kleiner Häuser.

Die Zwerge schreckten vor mir zurück. Eine Mutter zog ihr Kind von mir fort, dass sich neugierig genähert hatte und schob es hinter ihren Rücken. Ich hätte das Kleine gerne begrüßt, mit den dicken, roten Wangen erinnerte es mich an Momo.

Zu meiner Königin fassten sie schnell vertrauen und ein Zwergenmann trat mutig vor sie, zog seinen Hut und verbeugte sich.

„Ich bin nur ein bescheidener Zwerg und weiß nicht viel. Aber ich weiß, in der Tiefe meines Bartes ihr wundervolles Wesen, dass ihr aus einem Strom reinen Goldes geboren wurdet. Alles andere verblasst vor eurer Schönheit. Verzeiht mir, wenn ich euch in meiner bescheidenen Hütte in unserem Dorf willkommen heißen möchte."

Während er sprach hob er nicht einmal sein Haupt.

Scheinbar neigten alle Zwerge dazu, meine Königin mit peinlichen Komplimenten zu überschütten.

Dann stürzte ein weiterer Zwerg nach vorne. Dünner Bartflaum bedeckte seine runden Wangen und er zitterte am ganzen Körper, als er ebenfalls seinen Hut zog und sich vor mir niederwarf.

„Oh Schönste aller Schönen, die ihr geboren seid aus den glitzernden Edelsteinen, den Schätzen der Erde. Eure Augen leuchten prachtvoll wie der Himmel. Erweist mir die Ehre euch in meine bescheidene Hütte einzuladen und euch reichlich zu bewirten.", brüllte er.

Verblüfft starrte ich den kleinen Mann an, der immer noch am Boden lag.

Damit hatte ich nicht gerechnet.


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