Kapitel 15

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Einpaar weitere, anstrengende Unterrichtsstunden später verlasse ich die Highschool mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Der Kies knirscht unter meinen Sohlen, während ich über den Hof laufe und meinen Blick zum Himmel wandern lasse, der heute trüber scheint als sonst.

Ich atme tief durch und schließe meine Augen, um einen halbwegs klaren Gedanken fassen zu können. Heute ist es so weit. Ich weiß, was nun kommen wird. Oder besser gesagt, was ich tun muss.

Mein Brustkorb zieht sich allein bei dem Gedanken daran schmerzhaft zusammen und ich muss mit den aufkommenden Erinnerungen kämpfen, die mich von Innen verschlingen zu scheinen.

Schluckend öffne ich meine Lieder wieder und sehe mich auf der Hauptstraße um, an der ich gerade angekommen bin. Ich setzte ein Fuß vors andere und versuche möglichst zügig durch die gefüllten Straßen zu laufen. Der kühle Wind zerrt währenddessen an meinen Haaren und ich ziehe meine dünne Jacke enger um mich.

Meine Schritte hallen in meinen Ohren und sind neben den vorbeifahrenden Autos und meinem schnellen Herzschlag das Einzige, was zu hören ist. Ein fetter Klos bildet sich in meinem Hals, der wächst, umso näher ich dem großen, weißen Gebäude komme.

Sobald ich es in voller Pracht erblicke, scheint das Blut in meinen Adern zu gefrieren. Ich versuche die Ruhe zu bewahren und mich zusammenzureißen, doch das ist beinahe unmöglich. In meinem Inneren scheint ein Sturm zu toben, der alle meine Gefühle durcheinander bringt und die ganzen Erinnerungsfetzten die in meinem Kopf herumfliegen tragen dazu bei, dass mir immer übler wird.

Du darfst nicht nochmal einen Rückzieher machen.

Du schaffst das, Ariana.

Das musst du einfach...

Meine Innere Stimme flüstert mir immer wieder die selben Worte zu, was zu funktionieren scheint, da ich mich endlich wieder auf das Krankenhaus konzentriere und die schwere Eingangstür aufschiebe. Stumm laufe ich an der Rezeption vorbei. Die junge Dame vom Empfang lächelt mir während ich an ihr vorbei schreite mitleidig zu, da sie anhand meines Gesichtsausdruckes wahrscheinlich schon ahnen kann, dass ich nicht zum Spaß hier bin.

Mit gesenktem Kopf schlendere ich den Gang entlang und versuche die Last von meinen Schultern zu bekommen, die immer größer wird. Ebenso wie das Stechen in meiner Brust, dass mir den Atem zu rauben scheint. Alles in mir würde am aller liebsten auf der Ferse kehr machen, einfach umdrehen, von hier weglaufen und nie mehr zurückkehren.

Doch ich kann nicht.

Auch wenn ich nicht hier sein sollte, nicht an sie denken sollte, ich tue es dennoch. Ständig. Die Erinnerungen verfolgen mich bis in den Schlaf und auch wenn ich versuche ein neues Kapitel in meinem Leben zu starten, ich scheitere jedes einzelne mal daran.

Ich komme vor dem bekannten Zimmer zum stehen und ringe mit mir selbst. Kurz halte ich inne um mich zu sammeln, ehe ich zögerlich nach der kühlen Türklinke greife und sie runterdrücke, um im nächsten Moment ins Zimmer zu huschen und die Tür hinter mir wieder leise zu schließen.

Meine Augen schweifen wie von alleine durch das Krankenzimmer und bleiben an ihr hängen. Erneut bildet sich ein Klos in meinem Hals, doch dieses Mal kann ich ihn nicht einfach runterschlucken. Das Bild was sich gerade in meinen Kopf brennt ist viel zu grausam, als das ich das könnte.

Mein Atem wird immer schwerer, mit jedem Schritt, dem ich mich ihr nähre. Es ist hart gegen die aufkommenden Tränen anzukämpfen. Das ist es immer wieder. Ich versuche sie wie sonst auch tapfer wegzublinzeln, doch es klappt nicht. Meine Versuche scheitern immer wieder.

Es ist vergeblich.

Ich bin erbärmlich...

Schwach.

Stockend nähre ich mich dem Krankenbett und hocke mich kurz nachdem ich zum stehen komme zu ihr herunter. Mein Herz pocht wie verrückt, während ich schweratmend auf sie blicke und versuche zu verstehen, warum ich mir das überhaupt antue.

Der Anblick von ihr ist grausam... nein, mehr als das. Sie liegt so leblos da.. wie eine Puppe. So schlapp. All das Leben scheint ihr aus dem Körper gewichen zu sein. Ihre Augen sind geschlossen, man könnte beinahe meinen sie würde schlafen. Doch es ist kein Schlaf, in dem sie sich befindet. Es ist der Raum zwischen Leben und Tod.

Schweratmend versuche ich die grausamen Gedanken loszuwerden. Meine Hände zittern, während mein Körper zu beben beginnt. Dann plötzlich, erinnere ich mich an ihr Lachen. An das funkeln in ihren Augen. An das liebevolle Lächeln, dass sie mir immer geschenkt hat. Ich erinnere mich an so viel, aber nur an das Gute.

Das Schlechte scheint in diesem Moment wie vergessen. Obwohl ich in den vergangenen Monaten nur an das Schlechte gedacht habe. An die Momente an denen ich geweint habe, wo ich mir nichts sehnlicher gewünscht habe, als bei ihr zu sein. Das sie zurückkommt und für mich da ist.

Die Sehnsucht scheint mich von Innen zu zerfressen, während der stechende Schmerz mein Herz in seine Klauen nimmt und fest umschließt. Nach kurzem ringen mit mir selbst, greife ich nach ihrer Hand und umschließe meine Finger mit ihren. Ein noch stärkeres Gefühl macht sich in mir breit, dass ich am liebsten sofort im Keim ersticken würde.

Dieses Gefühl.

Von Trauer und so viel mehr.

Meine Beine geben nach und ich sacke ganz zu Boden, lasse ihre kalte Hand dennoch nicht los. Ich weiß einfach nicht mehr, wie lange ich das alles noch durchhalten kann. Das Verdrängen, das Vergessen. Ich weiß nicht, wie lange mein Herz alldem standhalten soll.

Und mit einem mal geschieht es wieder. Sie kommen hoch. Die Erinnerungen. Die schlechten. Die, die ich über Monate tief in mir gegraben habe und hoffte, sie niemals mehr ertragen zu müssen. Sie rauben mir den Atem, bringen mich zum keuchen.

Bilder schießen mir durch den Kopf, in denen mein Herz explodiert. Bilder von Mace. Von meinem Vater. Von uns dreien. Bilder, die ich nicht ertragen kann. Den leeren Ausdruck in den Augen meines Bruders. Der schmerzliche, verletzte Blick meines Vaters. Und das alles war wegen ihr. Wegen der Frau, die mir zuvor noch mehr als die Welt bedeutete. Wegen diesem einen Fehler. Der Fehler, der mein noch so schönes Leben zerstört hat.

Lass es hinter dir... höre ich die Stimme in meinem Inneren flüstern. Sonst wirst du niemals darüber hinwegkommen. Lass die Wut los.

»Ich verzeihe dir...«, bringe ich nach einer langen Stille keuchend hervor und versuche nicht an Ort und Stelle zusammenzubrechen. »Ich verzeihe dir, Mum.«, wiederhole ich schluchzend. Meine Sicht verschwimmt allmählich unter den zahllosen Tränen, die sich einen Weg nach draußen bahnen.

Ich stoße die angehaltene Luft aus, lasse dabei auch das letzte Stück Erinnerung entweichen. Meine Schultern sacken erschöpft zusammen, während mein Herz in der unendlichen Dunkelheit in mir unterzugehen scheint. »Ich verzeihe dir... nur bitte komm zurück.«

A/N:

Guten Abend ihr da draußen.☁️🙆🏻

Habt ihr schon geahnt das etwas in Ariana's Leben nicht ganz so perfekt ist, oder kam die neugewonnene Erkenntnis überraschend?

Wir lesen uns❤️

Casanova ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt