Kapitel 5

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| Ariana |

Als wir in der Küche ankommen, setzte ich mich sofort auf einen freien Stuhl. Ich kann einfach nicht mehr stehen, denn die Schule war unglaublich anstrengend und was jetzt kommt ist wahrscheinlich noch anstrengender. Ich schlucke schwer, ehe ich meinen Blick hebe und geradewegs in das Gesicht von Edon's Mutter sehe.

»Also... du wolltest mit mir sprechen?«, bringe ich nach einigen Sekunden leise hervor, da ich unter ihrem intensiven Blick beinahe ersticke. Diesen hat Edon auf jeden Fall von ihr.

In Lorena's Gesicht ändert sich kurz etwas und ich brauche garnicht lange nachdenken, um zu wissen, dass sie Mitleid empfindet. Mitleid für meinen Bruder, meinen Vater und für mich, doch genau das ist es, was ich nun am wenigsten brauche.

Ich brauche kein Mitgefühl, denn ich komme damit klar.

Das muss ich ja irgendwie...

»Es geht um deine Mutter...«, beginnt sie nach kurzem Zögern, was meine Theorie bestätigt. Ich nicke langsam, doch in meinem Inneren kommen etliche Erinnerungen hoch, die ich am liebsten sofort wieder abschütteln würde. Die Bilder die durch meinen Kopf schießen schmerzen und sind wie eine Last auf meinen Schultern, die mich immer tiefer zieht.

»Wie geht es ihr?«

Seufzend sehe ich zu Lorena, die ein trauriges Funkeln in den Augen hat. »Den Umständen entsprechend«, wispere ich kaum hörbar. Ich versuche ein Lächeln aufzusetzen, doch es wirkt sicher erzwingt und absolut jämmerlich.

»Und... und wie geht es dir?«, hakt sie dann vorsichtig nach und ich hätte beinahe aufgelacht. Diese Frage habe ich in den letzten Monaten so unfassbar oft gestellt bekommen und doch hat es keiner so ernst gemeint, wie Lorena. Das ist auch der Grund, warum sich meine Lippen zu einem Ernst gemeinten Lächeln verziehen.

»Mir geht es gut. Danke, dass du fragst.«

Sie mustert mich skeptisch. »Bist du dir auch sicher?«

Ich nicke nachdem ich tief durchatme.

»Du weißt, dass du immer hierher kommen kannst, wenn irgendetwas ist. Edon ist für dich da, genauso wie ich, okay?« Ihre Stimme ist sanft und hört sich so ehrlich an, dass ich nicht anders kann, als erneut zu schlucken.

»Danke, Lorena. Wirklich

Ich kann einfach nicht in Worte fassen, wie unheimlich dankbar ich dieser Frau bin. Ich weiß nicht, was Mace und ich ohne sie getan hätten. Sie hat uns beigestanden. Sie war für uns da, als wir keinen hatten, an dem wir uns festhalten konnten. Genau wie Edon, hat sie unsere Hand gehalten und immer wieder gesagt, dass wir den Kopf über Wasser halten sollen. Denn irgendwann hat das alles ein Ende. Und bis dahin würde sie bei uns bleiben. In guten wie in schweren Tagen.

Ganz wie eine Mutter.

Eine Mutter, die wir nicht mehr hatten.

»Du brauchst dich nicht bedanken, Ariana. Und das weißt du auch..« Lorena lächelt warm und ich kann nicht anders, als es zu erwidern. Es ist zwar nur ein schwaches Lächeln, aber es ist echt. Und genau das ist gerade das ausschlaggebende.

»Okay... jetzt erzähl mal, wie läuft es so bei dir?« Ihre trüben Augen fangen wieder an zu strahlen und ich fühle mich mit einem mal besser. Amüsiert zucke ich mit den Schultern. »Ganz gut«, erwidere ich dann halbherzig und sehe Lorena dabei zu, wie sie etwas am Ofen umstellt.

»Das freut mich. Ach, fast hätte ich vergessen zu fragen - wie ist es eigentlich mit der Mathe Nachhilfe? Bemerkst du eine Verbesserung bei Edon oder...« Ehe sie überhaupt zu Ende sprechen kann, wird sie durch das Läuten meines Handys unterbrochen.

Hastig krame ich es heraus und bin mehr als erleichtert, als ich sehe, dass Mace gerade anruft. Denn ich konnte noch nie gut Lügen und wenn ich Edon nun beschützen würde, würde es Lorena sicherlich bemerken und dann wäre nicht nur er, sondern auch ich dran.

Nervös sehe ich auf, doch versuche alles mit einem Lächeln zu überspielen. »Tut mir leid, aber da muss ich ran..«, erkläre ich kurzgebunden und nehme den Anruf an, ohne auf eine Antwort von Lorena zu warten.

»Mace?«, spreche ich erfreut in den Hörer.

»Hey Ari, ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich jetzt Zuhause bin und das ihr rüberkommen könnt. Sag Edon Bescheid. Bis später.«

Ehe ich mich versehe hat er auch schon wieder aufgelegt. Gereizt packe ich mein Handy zurück. Ich hasse es einfach abgrundtief, wenn Mace auflegt, bevor ich überhaupt etwas auf seine Worte erwidern kann. Verdammt, dass macht er immer.

Schluckend wende ich mich wieder Lorena zu, die ich dann entschuldigend mustere. »Ich muss jetzt leider los. Mace wartet.«

Sie nickt lächelnd. »Klar, tu dir keinen Zwang an.«

Ich bedanke mich noch einmal bei ihr, ehe ich in den Flur marschiere und innehalte. Scheiße, ich muss ja noch Edon rufen. Frustriert sehe ich zu den Treppen, die mir in diesem Moment so unglaublich lang und anstrengend vorkommen.

»Edon!«, schreie ich durch den Flur, doch es folgt keine Antwort. War ja klar. Seufzend mache ich mich auf den Weg nach oben und halte vor seinem Zimmer kurz inne. Ich atme tief durch, ehe ich die Türklinke runterdrücke und ins Zimmer husche.

Sofort erblicke ich Edon, der mit dem Rücken zu mir steht. Doch gerade als ich zum Sprechen ansetzten möchte, zieht er sich das Shirt über den Kopf und bringt mich somit zum Schweigen. Geschockt schließe ich meinen Mund wieder und hätte mich beinahe an meiner eigenen Spucke verschluckt.

Heilige scheiße...

Meine Augen weiten sich und mir ist bewusst, dass ich wegsehen sollte. Doch noch nicht einmal diese Erkenntnis schafft es, mich vom starren abzuhalten. Mein Blick wandert wie von selbst Edon's Rücken hinauf und bleibt an seinen breiten Schultern hängen. Ich schlucke schwer, ehe ich mich mit klopfendem Herzen umdrehe und möglichst leise einen Schritt in Richtung Tür setzte. Denn ganz plötzlich wird mir bewusst was ich hier tue und ich möchte nichts anderes, als zu verschwinden.

Doch in der letzten Sekunde hält mich seine raue und zum Teil amüsierte Stimme auf. »Ich weiß, dass du gestarrt hast.«

Sofort beiße ich mir fest auf die Zunge, um nicht hochrot anzulaufen. Doch genau das tue ich. In diesem Moment wäre ich nämlich am liebsten im Erdboden versunken, doch noch nicht einmal das klappt. Schweratmend drehe ich mich wieder zu Edon, der gerade dabei ist, sich ein frisches Shirt überzuziehen.

Seine Augen treffen auf meine und ich hätte beinahe sehnsuchtsvoll geseufzt. Seine Augen sind so wunderschön... so braun..

Doch auch dieses mal werde ich aus meinen Gedanken gerissen, da ein raues und verdammt attraktives Lachen ertönt.

Beschämt sehe ich zu Edon, der mit einem breiten Grinsen auf mich zukommt. »Mund zu Ari. Und jetzt komm, oder willst du Mace den ganzen Tag warten lassen?« Sekunden später ist er auch schon durch die Tür gelaufen und lässt mich vollkommen verdattert zurück.

Oh man, warum muss sowas nur immer mir passieren?

A/N:

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xoxo

Casanova ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt